Gestern habe ich zum ersten Mal einen Artikel gelesen, an den man mit einer Content strategy for degrowth direkt anschließen könnte: ‘Small stories of closing loops’: social circularity and the everyday circular economy1 von Kersty Hobson.
Kersty Hobson beschäftigt sich in ihrem Aufsatz damit, wie die Nutzerinnen und Nutzer die Dienstleistungen und Produkte einer Kreislaufwirtschaft (Circular Economy, abgekürzt CE) wahrnehmen und wann und warum sie diese Angebote akzeptieren. Sie kritisiert, dass in den Konzepten einer Kreislaufwirtschaft die Menschen, die in ihr leben sollen, oft ähnlich behandelt werden wie die Empfänger der Botschaften einer überholten Wissenschafts- und Klimakommunikation: als rezeptive, passive und fast eigenschaftslose Wesen statt als lokalisierte, aktive und mitgestaltende Handelnde. Die Elemente einer Kreislaufwirtschaft würden bisher fast ausschließlich von der Angebotsseite her konzipiert (nicht unähnlich den Produkten der meisten traditionellen Unternehmen, die Kundinnen und Kunden nur als Kaufende betrachten). Man entscheidet sich entweder dazu, diese Angebote zu nutzen, weil sie erfolgreich mit den Angeboten der bestehenden Wirtschaft konkurrieren können, oder weil man sie aus ethischen Gründen höher bewertet. In einem auf Konsumismus angelegten Markt können sich aber isolierte Elemente einer Kreislaufwirtschaft kaum behaupten, und abstrakte ethische Motivationen sind wenig verbreitet—sie bestimmen das Handeln höchstens in Nischen so weit, dass alternative Angebote dauerhaft aufrechterhalten werden können.
Die Angebote einer Kreislaufwirtschaft werden oft als Sustainable Product Service Systems (SPSS) bezeichnet. Kersty Hobson fordert, diese SPSS lokalisiert und kollaborativ so zu entwickeln, dass die Nutzerinnen und Nutzer sie als mit ihrer eigenen Identität und ihren komplexen sozialen Erwartungen verbunden erfahren, einerseits ähnlich wie bei den Waren der konsumistischen Ökonomie, die viel mehr sind als bloße Gebrauchsgegenstände, andererseits anders, weil die SPSS zu einer nachhaltigen Lebensweise gehören, die aktiv von Communities mit ihren lokalen Besonderheiten und Traditionen gestaltet werden. Solche SPSS können nicht isoliert genutzt und entwickelt werden, sondern als miteinander und mit ihren Nutzerinnen und Nutzern (diese Bezeichnung ist nicht passend, weil sie zu viel Passivität suggeriert) verknüpft.
Als Beispiel für die erfolgreiche Enwicklung und Nutzung von SPSS weist Kersty Hobson auf das Amsterdamer Viertel Buikslotherham hin, in dem eine lokale Community versucht, eine Kreislaufwirtschaft zu verwirklichen. Sie beschreibt vor allem, wie die Bewohnerinnen und Bewohner des Cleantech Playgrounds De Ceuvel ihre von ihnen selbst gestaltete Umgebung erfahren: als creative, accessible and fun for everyone. Diese Erfahrung hängt mit kleinen Geschichten, z.B. über das Essen dort, zusammen, die mit größeren Diskursen z.B. über ein nachhaltiges Amsterdam und eine Postkarbon-Welt verknüpft sind.
Kersty Hobson beschreibt keine lokale Idylle, und sie ignoriert nicht, dass sich eine Kreislaufwirtschaft nur über eine Transformation des gesamten kapitalistischen Systems realisieren lässt (auch wenn sie leider kaum explizit auf Degrowth-Theorien eingeht). Ihre Ausgangsfrage ist:
Wie können die grundlegenden Ziele, Logiken, Prozesse und Strukturen, die die letzten paar hundert Jahre (mindestens) schnellen sozio-ökonomischen Wandels und der parallelen Umweltzerstörung gestützt haben, geändert werden, und zwar rechtzeitig, effektiv und auf gerechte Weise?2
Sie erforscht mit Methoden der qualitativen Sozialforschung die Bedürfnisse der Menschen, die die Angebote einer Postwachstumsgesellschaft nutzen und gestalten—diese Forschung ist wichtig, auch wenn die Transformation zu einer solchen Gesellschaft nicht durch eine Veränderung der Konsumgewohnheiten erfordern kann, und wenn die Proklamation der Umwandlung zur Kreislaufwirtschaft auf der EU-Ebene parallel zu einer weiteren Intensivierung des fossilen globalen Kapitalismus erfolgt. Experimente wir Buiksloterham sind interstitials, in denen Elemente einer anderen Gesellschaft exemplarisch erfahrbar werden können.
Content strategy for degrowth verstehe ich vor allem als systematisches Design der Inhalte, die zu den verknüpften Sustainable Product Service Systems einer Postwachstums- oder Kreislaufwirtschaft gehören. Kersty Hobson spricht von Geschichten, die lokal sind und die lokale Ebene mit umfassenderen Ebenen bis zur globalen verbinden. Herauszufinden, welche Inhalte in solchen Strukturen nötig sind und welche Inhalte zu ihnen führen, ist für mich die wichtigste Aufgabe der Content-Strategie.
Update, 21.1.: Bei einer zweiten Lektüre würde ich den Aufsatz, der viele Überlegungen und Verweise zu den anthropologischen Dimensionen des Designs von Objekten enthält, zusammen mit Decentering the Human in the Design of Collaborative Cities3 lesen.
Nachweise
Bild: Projektgebiet „De Ceuvel“ in Amsterdam-Noord. Bild: Jam Willem Doormembal. Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Cafe_de_Ceuvel_(40222344863).jpg. This file is licensed under the Creative Commons Attribution 2.0 Generic license.
- Hobson, K. (2020). ‘Small stories of closing loops’: Social circularity and the everyday circular economy. Climatic Change, 163(1), 99–116. https://doi.org/10.1007/s10584-019-02480-z ↩
- Original: How to alter the fundamental aims, logics, processes, and structures that have underpinned the past few hundred years (at least) of rapid socio-economic change and parallel environmental despoilment and to do so in a timely, effective, and equitable manner? Übersetzt mit Hilfe von https://www.deepl.com/translator. ↩
- Forlano, L. (2016). Decentering the Human in the Design of Collaborative Cities. Design Issues, 32(3), 42–54. https://doi.org/10.1162/DESI_a_00398 ↩