„Der Nebel von Dybern“ von Maria Lazar. Inszenierung am Schauspielhaus Graz. Ensemble (c) Lex Karelly
„Der Nebel von Dybern“ von Maria Lazar. Inszenierung am Schauspielhaus Graz. Ensemble (c) Lex Karelly

Gestern war ich im Schauspielhaus in Der Nebel von Dybern. Das Stück wurde in den 30er Jahren geschrieben, damals aber in Graz nicht aufgeführt, weil die Autorin, Maria Lazar, aus einer ursprünglich jüdischen Familie stammte. Jetzt ist es wiederentdeckt worden, und zwar parallel hier in Graz und in Wien.

Die Aufführung ist kurz, etwa anderthalb Stunden lang. Das war, glaube ich, die Dauer der antiken Tragödien, und mit antiken Tragödien hat das Stück eine große Ähnlichkeit. Aus einem Chor lösen sich einige Personen als Protagonistinnen und Protagonisten. Der Chor trägt das Stück.

Zur Katastrophe dieses Stücks führt der Austritt von Giftgas aus einer Chemiefabrik, der lange nicht entdeckt wird. Menschen in Dybern, das in der Nähe des Schauplatzes der Handlung—dem Ort der Fabrik—liegt, sterben. Als der Zusammenhang mit einer Wolke, in der vermutlich dieses Giftgas enthalten ist, offensichtlich wird, fliehen sie in ein als Schutzraum eingerichtetes unterirdisches Kino direkt an der Fabrik. Dort werden sie mit Sauerstoff versorgt. Es bricht Panik aus, Militär wird gegen die Geflüchteten eingesetzt. Eine der Protagonistinnen, damit hört das Stück auf, beendet ihre Schwangerschaft. Sie will Kinder nicht einer Welt aussetzen, in der überall Unglücke wie der Gasaustritt möglich sind.

Das Stück ist eine Reaktion auf den Gaskrieg. Es lässt viele Interpretationen zu, man kann es auf die Atome-Energie, auf die Pandemie und natürlich auf die Klimakrise und die mit ihr verbundenen Krisen beziehen. Es geht um die Wahrnehmung enormer und tödlicher technischer Macht in der Öffentlichkeit und den Umgang mit denen, die von ihr profitieren. Gezeigt wird nicht die eigentliche Katastrophe, sondern gezeigt werden die Reaktionen darauf, kollektive wie individuelle. Der Programmzettel macht auf eine Haupteigenschaft dieser Reaktionen aufmerksam: Es kommt nicht zur gemeinsamen Aktion. Es gibt die Möglichkeit zu rebellieren, aber der Rebell im Stück kann den Rest des Chors nicht motivieren. Es gibt die Möglichkeit, weiter auf ein individuelles Glück zu hoffen, das von den Katastrophen verschont bleibt. Für dieses Glück steht das Kind der Protagonistin, das nie geboren werden wird. Der Generaldirektor der Fabrik repräsentiert die Unfähigkeit, das, was die Technik anrichten kann, zu verstehen. Er kann mit seiner eigenen Macht nicht umgehen und leugnet sie. Sein wichtigster Ingenieur, ein früher Vertreter des Techno-Solutionismus, geht nicht von dem Gedanken ab, dass sich die Katastrophe beherrschen lässt und sorgt mit dafür, dass Widerstand mit Gewalt erstickt wird. Fast der gesamte Chor stellt an manchen Stellen die Presse dar. Für sie ist charakteristisch, dass sie eine sofortige Antwort auf zu simple und scheinbar kritische Fragen will und Zweifel bei denen, die befragt werden, nicht zulässt. Sie kommuniziert Panik, nicht Möglichkeiten aktiv zu werden. Der Arzt, der versteht, was passiert ist, greift in das Geschehen nicht ein. Der sogenannte Oberst, der offenbar die Versuche initiiert hat, die zu der Giftgaskatastrophe geführt haben, tritt überhaupt nicht in Erscheinung. Ihn interessiert, wie es an einer Stelle heißt, die reale Welt nicht. Man denkt an die Milliardäre, die sich vor den ökologischen Katastrophen der Gegenwart mit Raumschiffen oder in Bunker retten wollen. Eine Schwester der Heilsarmee steht für einen gutmütig karitativen, obrigkeitshörigen Umgang mit der Katastrophe, der sie letztlich verschlimmert.

Mich beschäftigen vor allem zweierlei: einerseits die Darstellung des Journalismus, der auf sensationelle Festlegungen dort aus ist, wo das reale Geschehen unklar ist oder im unklaren gehalten wird. Andererseits die Zersplitterung der Betroffenen, die zu gemeinsamem Handeln unfähig sind. Hintergrund ist eine technische Entwicklung, die aus dem Ruder gelaufen ist und auch von den für sie Verantwortlichen nicht verstanden, geschweige denn beherrscht wird. Keine der Personen begreift, was geschieht – auch diese Verblendung erinnert mich an eine griechische Tragödie. Das Stück wirkt auf mich wie eine Parabel auf die Klimakrise: eine Situation, deren Ausmaß und Neuigkeit nicht begriffen wird, Medien, die diese Situation auf Statements von scheinbar Agierenden reduzieren, und eine Bevölkerung, die durch die Verschlimmerung der Situation nicht solidarischer wird, sondern fragmentierter.

Dies ist ein Blogpost, keine Theaterkritik. Deshalb steht hier nichts über Inszenierung, darstellerische Leistung oder Bühnenbild. Sie alle sind eine Analyse wert. Danke für den Abend! (Auch David und Melli, die Ana und mir die Karten geschenkt haben.)

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