Ich habe heute drei neuere Artikel von Helen Thompson gelesen: über die zweite Amtszeit Trumps (2025b), über Chinas Vorherrschaft bei seltenen Erden (2025c) und über den Niedergang der europäischen Auto-Industrie (2025a). In den drei Texten analysiert sie die aktuelle amerikanische und europäische Politik. Sie stellt dar, wie die Agierenden durch Zwänge, durch constraints bestimmt werden: durch constraints aufgrund der Verfügbarkeit von Ressourcen (fossile und erneuerbare Energien, seltene Erden), duch finanzielle constraints (Verschuldung der USA) und – in Verbindung mit diesen constraints – durch geopolitische Zwänge.
Die drei Artikel erkären viel zur aktuellen politischen Situation und – das ist der Aspekt, der mich vor allem interessiert – zur verfahrenen Situation bei der Dekarbonisierung. Die chinesische, die europäische und die US-Politik sind von den Kosten der fossilen Energien und der Notwendigkeit, die erneuerbaren Energien zu entwickeln, mitbestimmt, aber in sehr unterschiedlicher Weise. China setzt auf erneuerbare Energien, kontrolliert die für sie nötigen Lieferketten weltweit und beutet gleichzeitig seine eigene billige Kohle aus. Die USA verdanken ihre aktuelle Machtposition zu einem großen Teil dem Shale Oil-Boom, hängen aber auch vom Ölpreis ab und werden zunehmend Öl importieren müssen. Europa reagiert zu spät und zu uneinheitlich auf eine veränderte geopolitische Situation und ist dabei, seine Autoindustrie zu verlieren. Es hat die industriepolitischen Konsequenzen aus der Umstellung auf erneuerbare Energien nicht gezogen, möglicherweise – ich bin unsicher, ob Helen Thompson das so formulieren würde – weil sich die europäischen Länder und vor allem Deutschland auf ein liberales Modell des Welthandels verlassen haben und immer noch glauben, dass es nur vorübergehend in Schwierigkeiten geraten ist. China hat schon 2010 durch ein gegen Japan gerichtetes Embargo gezeigt, dass es Ressourcenbesitz und wirtschaftliche Macht politisch einsetzt.
Mich interessieren die Texte Helen Thompsons nicht nur, weil sie zeigen, gegen welche Kräfte heute Klimapolitik betrieben werden muss. Mich interessiert auch, welche verlässlichen Informationsquellen es zu diesen Entwicklungen gibt und wie man sie erkennen kann.
In den Texten, die ich von ihr bisher gelesen habe, geht Helen Thompson kaum auf die ökologischen constraints, auf die sich verschärfende ökologisch-sozialen Krisen ein. Sie ist keine „Umwelthistorikerin“, aber sie erfasst die second nature, in der politisch und wirtschaftlich agiert wird, illusionslos und genau. (Von einer „second nature“ spricht Latour am Anfangs seines Vortrag über die Affekte des Kapitalismus [2014]. Sie ist im Kapitalismus der Gegenwart „fester, weniger vorübergehend und weniger verderblich “ als die first nature der lebenserhaltenden und im Anthropozän von der Gesellschaft nicht abtrennbaren Systeme des Planeten.)
Ihre Uberzeugungskraft verdanken Helen Thompsons Texte der Identifizierung von wirtschaftlichen und geopolitischen Zwängen, die immer in eine Beziehung zu politischen Handlungen und oft auch zu den Begründungen dieser Handlungen durch die Agierenden gesetzt werden. Außerdem stellt Helen Thompson die historische Dimension dieser Zwänge dar, ihre Entstehung und Veränderung über längere und lange Zeiträume. Die Zwänge, die sie beschreibt, lassen sich dabei der first nature zuordnen, auch wo diese Zuordnung in ihren Texten nicht vollzogen wird. Damit gelingt Helen Thompson eine – düstere – Zeitgeschichtsschreibung, die aus der Persepektive der politischen Ökologie höchst relevant ist.