Cover von La mutation écologique

Wahrscheinlich habe ich in diesem Blog über keinen Autor so viel geschrieben wie über Bruno Latour. Seit meiner Arbeit für das Web Literacy Lab an der FH Joanneum lese ich Latour. Vor allem durch Latours Bücher Face à Gaïa (Latour, 2015; dt. Kampf um Gaia 2023a) und Où atterir (Latour, 2017; dt. Das terrestrische Manifest 2018) habe ich erkannt, wie radikal sich unsere historische Situation durch die Klimakrise und die Anthropozän-Situation verändert hat.

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In ihrem Podcast Das Klima (seit Jahren einem meiner Lieblings-Podcasts) stellen Claudia Frick (@fuzzyleapfrog) und Florian Freistetter (@astrodicticum) jetzt wöchentlich ein Kapitel des neuen österreichischen Sachstandsbericht zum Klimawandel (AAR2, APCC, 2025) vor. Für die erste Folge dieser Serie haben sie Daniel Huppmann (@daniel_huppmann) eingeladen, um einen Überblick zu über den Bericht zu geben und seinen Aufbau zu erläutern (Frick & Freistetter, 2025). Sie diskutieren mit Daniel Huppman auch darüber, was an Wissenschaftskommunikation für den Bericht geplant ist. Außer einer interaktiven Website gehören dazu u.a. auch TikTok-Videos – möglicherweise identisch mit der Serie, die Verena Mischitz gerade auf YouTube gestartet hat (Verena Mischitz, 2025).

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Notizen zu Texten von Quinn Slobodian und Bruno Latour

Saudi-Arabien als Vorbild

Durch einen Essay bin ich auf Quinn Slobodian aufmerksam geworden. In Does Trump Want America to Look More Like Saudi Arabia? (2025) stellt er dar, wie sehr Donald Trump Saudi-Arabien verehrt und wie eng Trumps Beziehungen dorthin sind. Slobodians These, die ich zuerst als nur ironisch missverstanden habe, ist: Wenn man ein Vorbild dafür sucht, wie Trump die USA umgestalten will, ist Saudi-Arabien wichtiger als die Faschismen der 20er und 30er Jahre. Die fossilen Größenphantasien Trumps (Slobodian nennt es nicht so; sein Fokus ist hier nicht die Klimaproblematik) gleichen denen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.

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Gestern abend habe ich bei John Berger gelesen (und dabei an Elon Musk gedacht):

Die Tatsache, dass die Tyrannen der Welt ex-territorial sind, erklärt das Ausmaß ihrer Überwachungsmacht, weist aber auch auf eine kommende Schwäche hin. Sie operieren im Cyberspace und residieren in bewachten Zonen. Sie haben keine Kenntnis von der sie umgebenden Erde. Außerdem tun sie dieses Wissen als oberflächlich und nicht tiefgründig ab. Nur die extrahierten Ressourcen zählen. Sie können nicht auf die Erde hören. Auf dem Boden sind sie blind. Im Lokalen sind sie verloren.

Für die Mitgefangenen ist das Gegenteil der Fall. Die Zellen haben Wände, die sich über die ganze Welt hinweg berühren. Wirksame Aktionen des nachhaltigen Widerstands werden nah und fern in das Lokale eingebettet sein. Widerstand im Outback, auf die Erde hören. (“Meanwhile,” Übersetzung mit deepl.com, von mir redigiert, in Berger, 2016)

Seit Dienstag, als ich mit Ana in der Dramatisierung seines Romans A und X im KiG gewesen bin, gehen mir Formulierungen Bergers durch den Kopf. Schon länger denke ich über die Bedeutung des Lokalen, des Orts, im Kampf gegen die Klimakatastrophe und die mit ihr verknüpften Krisen nach. Den Horizont dafür bildet für mich der Begriff der geosozialen Klasse (Latour & Schultz, 2022).

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Bruno Latour verweist auf Twitter auf einige Texte zu James Lovelock, der am 26. Juli, seinem hundertunddritten Geburtstag, gestorben ist: einen Nachruf in der Libération von Latour selbst und Sébastien Dutreuil (2022), eine populärwissenschaftliche Darstellung von Sébastien Dutreuil (2022) und einen Essay, in dem Latour seine Lovelock-Interpretation unterhaltsam, unprätentiös und fast beiläufig in einem Bericht über seinen ersten Besuch bei Lovelock vorstellt (Latour, 2018). Es geht in diesen Texten um das, was Lovelocks Gaia-Hypothese von Ansätzen unterscheidet, die ihr ähneln und zum Teil von ihr ausgelöst wurden. Latour und Dutreuil entwickelten ihre Interpretationen im Dialog mit Tim Lenton. Ihr gemeinsames Verständnis Lovelocks stellen Latour, Dutreuil und Lenton in einem ausführlichen Aufsatz in der Anthropocene Review dar (Lenton et al., 2020).

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Bruno Latour: Où suis-je? Cover der Printausgabe
Bruno Latour: Où suis-je? Cover der Printausgabe

Ich habe Bruno Latours neues Buch Où suis-je (deutsch: Wo bin ich?, Latour 2021) in einer Woche gelesen, die mit der Lektüre der Political Summary des IPCC AR6 (IPCC et al., 2021) begann und einer dreitägigen Online Assembly von Extinction Rebellion Austria endete. In dieser Woche habe ich mich zugleich auf das Leben hier in Dubrovnik eingestellt. Latours Ratschlag an uns Erdlinge (französisch: terrestres), die Netzwerke, in denen man lebt und von denen man abhängig ist, von dem Ort aus, an dem man ist, zu erforschen, habe ich auf das Erschließen dieser Umgebung einer mediterranen Stadt übertragen, die ich zwar etwas kenne, aber die gerade jetzt—nach den Lock downs und nach dem Ende meiner Zeit als Angestellter—wieder neu für mich ist.

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In der vergangenen Woche ist ein wichtiges Paper (Brand et al., 2021) erschienen, dass viele Autor:innen gemeinsam verantworten, die aus den Diskussionen über Degrowth und ökologische Ökonomie bekannt sind. Sie nehmen Stellung zu dem Framework der Planetary Boundaries, das Johan Rockström und andere Wissenschaftler:innen entwickelt haben. Der Aufsatz ist eine Positionsbestimmung. Das Konzept der planetaren Grenzen wird aus der Perspektive einer kritischen Sozialwissenschaft aufgenommen und kritisch weitergedacht. Es geht weniger um zusätzliche Fakten und Forschungen als um eine Reflexion der Begriffe und leitenden Ideen. Diese Reflexion stützt sich auf ein Review einer fast unüberschaubar großen Zahl sozialwissenschaftlicher und ökonomischer Arbeiten.

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Einige der bekanntesten Vertreter der Erdsystemwissenschaft haben jetzt in The emergence and evolution of Earth System Science (Steffen et al. 2020) die Geschichte dieser, wie es in dem Artikel heisst, transdisziplinären Wissenschaft dargestellt. Der Artikel macht verständlich, in welchen wissenschaftlichen Zusammenhang Publikationen zu den planetaren Grenzen, zum Anthropozän und zu Kipp-Punkten und Kaskaden von Kipp-Punkten gehören.

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Ich versuche, Content-Strategie als Teil einer sehr breit verstandenen Semiotik zu verstehen. Anlass ist für mich ein Aufsatz Bruno Latours (Latour, 1998b, französisches Manuskript: Latour (1998a)). Mich interessieren dabei vor allem zwei Punkte:

  1. Die énonciation, die Äußerung eines Inhalts, ist entscheidend für das Verständnis des Inhalts—die Interpretation des Inhalts (ohne die es ihn nicht geben kann) erzeugt immer Bezüge zu den Situationen des Akteurs, der den Inhalt äußert (französisch: énonciateur), und des Akteurs, an den er gerichtet ist (französich: énonciataire).
  2. Diese Situationen werden in der Semiotik nicht als gegebene, außersprachliche Kontexte beschrieben, sondern sie sind selbst nur über Inhalte/Äußerungen/Semiosen erfassbar.

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