Astrid Schwarz hat Helge und mich für Ö1 gefragt, woran man erkennt, ob Weblogs glaubwürdig sind [als Download hier, vorher ähnlich auf fm4 gesendet]. Ich habe ziemlich unvorbereitet geantwortet, und ich muss zugeben, dass ich über die Frage der Glaubwürdigkeit von Blogs und anderen Online-Quellen viel zu wenig nachgedacht habe. Vor allem wenn sie journalistisch ernst genommen werden wollen, müssen Blogs in einer nachvollziehbaren Weise auf die Glaubwürdigkeit ihrer Inhalte geprüft werden können. Übrigens spielt die Frage der Glaubwürdigkeit auch eine entscheidende Rolle bei der Diskussion des Verhältnisses von Journalismus und PR. PR kann nur dann behaupten, mehr als manipulativ zu sein, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit ausweisen kann.
Glaubwürdigkeit ist wohl eine Qualität, die es nur innerhalb von bestimmten sozialen Gruppen gibt, und sie ist immer an so etwas wie Prüfungs- und Autorisierungsverfahren gebunden. Mit diesen kollektiven Praktiken — die sich von technischen Praktiken nicht trennen lassen — muss man sich beschäftigen, wenn man über die Glaubwürdigkeit von Online-Quellen nachdenkt. Es spricht viel dafür, dass für Online-Publikationen noch Verfahren entwickelt werden müssen, die denen der klassischen Massenmedien entsprechen. (Was nicht heisst, dass Online-Medien nicht auch nach herkömmlichen Kriterien glaubwürdig sein können, und auch nicht, dass die herkömmlichen Medien diesen Kriterien immer oder auch nur meist entsprechen.)
Dass Menschen, die nur die Arbeitsweise klassischer Medien kennen, Probleme mit der Glaubwürdigkeit von Weblogs haben, hängt zu einem großen Teil damit zusammen, dass sie die Regeln der sozialen Gruppen nicht kennen, die Weblogs schreiben und lesen. Wer sich mit Blogs auskennt, hat eine Reihe von Anhaltspunkten dafür, ob man einer Autorin oder einem Autor trauen kann oder nicht: Kommentare, Links, Technorati-Autorität usw. Leute, die wie Armin Thurnher das Internet als Medium nicht ernst nehmen, beherrschen diese Regeln in der Regel nicht, ihnen ist das Internet als soziale Realität fremd — so wie übrigens auch vielen Bloggern die soziale Realität der älteren Medien und ihre Regeln fremd sind. Sinn dieser Regeln ist es zum einen, die Wahrheit von Behauptungen zu prüfen und zum anderen Personen Glaubwürdigkeit zuschreiben zu können, die solche Prüfungsverfahren anwenden.
Diese Regeln der Glaubwürdigkeit sind aber nicht einfach Konventionen unterschiedlicher sozialer Gruppen, sie sind an Technologien und Infrastrukturen gebunden, die sich bei Massenmedien und sozialen Medien deutlich unterscheiden. Innerhalb eines bestimmten technologischen und sozialen Rahmens wurden und werden Verfahren entwickelt, mit denen sich die Wahrheit von Aussagen überprüfen lässt, und mit denen sich die Glaubwürdigkeit von Personen, die Aussagen machen, bewerten lässt. (Personen, die bestimmte Verfahren nicht anwenden oder nicht auf sich anwenden lassen, sind nicht glaubwürdig.) Zum herkömmlichen Journalismus gehören solche Verifikationsverfahren (vom check, cross-check, double-check!
bis zur Interviewtechnik), die von Bloggern mit journalistischem Anspruch übernommen werden. Tatsächlich gibt es aber in der Blogosphäre nur sehr simple Verfahren, um Personen oder Publikationen Glaubwürdigkeit zuzusprechen — im Wesentlichen beruhen sie auf der Autorität einer Person unter Bloggern, und damit setzen sie möglicherweise das voraus, was sie bestätigen sollen.
Vor diesem Hintergrund finde ich Tim Berners-Lees Versuche, den Wahrheitsgehalt von Online-Quellen bewertbar zu machen und in Publikationen zu deklarieren, wie sie produziert wurden (also z.B. ob und wie Fotos bearbeit wurden) nicht so naiv oder abwegig, wie sie vielen erschienen sind. Es muss Möglichkeiten geben, Personen und Publikationen an Kriterien der Vertrauenswürdigkeit zu messen, nicht um das Web Autoritäten zu unterwerfen, sondern um im Web dezentral Glaubwürdigkeit zuschreiben zu können.
Diese Überlegungen sind sehr provisorisch. Beim Schreiben erscheint es mir immer wahrscheinlicher, dass Verfahren zur Feststellung/Zuschreibung von Glaubwürdigkeit eines der wichtigsten Themen bei der weiteren Entwicklung von sozialen Medien bilden werden.
geschichte, die mich leider recht massiv beschäftigt, da ich u.a. genau an der schnittstelle zwischen menschen mit klassischem medienverständnis und den anforderungen der neuen medien operiere. und wie du schreibst: leider ist diesen menschen das netz einfach fremd und: sie haben leider kein interesse diesen zustand zu verändern. weshalb ich eigentlich zuallererst damit befasst bin, die wahrnehmung der leute sohingehend zu manipulieren, dass sie am netz schlicht nicht mehr vorbei kommen…