Wie in jedem Jahr, seit ich an der FH Joanneum arbeite, unterrichte ich in diesem Herbst in einem Kurs zur Einführung in HTML. Und wie in jedem Jahr überlege ich, was dabei für Nicht-Entwickler wichtig ist. Geändert hat sich, dass ich auch bei einem Thema wie HTML den Hintergrund der ökologischen Krisen nicht mehr ignoriere. Lässt sich HTML aus dem Zusammenhang einer Wirtschaft lösen, die den materiellen Ressourcenverbrauch ständig und mit wachsenden Unterschieden zwischen Reichen und Armen steigert?
Ich habe darüber nachgedacht, meinen Kurs mit einer Überlegung zu diesem Zusammenhang einzuleiten. Ich habe darauf verzichtet, um nicht als Moralprediger aufzutreten und das Gegenteil von dem zu erreichen, was ich mir wünsche—dass die Studierenden erkennen, dass es auch von unseren Aktivitäten im Beruf und als Verbraucherinnen und Verbraucher abhängt, das Wirtschaftssystem grundlegend umzuformen.
Ich behaupte nicht, dass HTML eine Essenz hat, die es dafür prädestiniert, beim Erreichen einer Postwachstums-Gesellschaft mitzuhelfen. Bisher haben HTML und die mit ihm verbundenen Technologien ganz im Gegenteil zu einem Wachstum beigetragen, das sich gegenüber den Jahrzehnten vor dem Web noch einmal beschleunigt hat. Die Entwicklung von HTML und die Entwicklung mit HTML gehören zum Computational Design und sind viel leichter skalierbar als handwerkliches und industrielles Design. Die Leistungsfähigkeit digitaler Technologien beschleunigt bisher material flows, die negative ökologische Folgen haben und die Ungleichheit vergrößern.
Ich möchte aber zeigen, dass eine HTML-fokussierte Entwicklung von Inhalten und Applikationen, also eine Entwicklung, die die Möglichkeiten von HTML ausnützt, Postwachstums-freundlich, degrowth-ready ist. Semantisches, barrierefreies, hypertextuell verwendetes HTML, also das HTML, das der HTML-Standard empfiehlt und auf das er ausgerichtet ist,
- minimiert den Payload der über das Netz transportierten Informationen und damit den Energieverbrauch,
- ist auf einfachen Geräten lesbar und zukunftssicher, erfordert also nicht immer weiter optimierte Hardware, die unter großen ökologischen Kosten produziert wird,
- erleichtert es, einmal geleistete Inhalte und Funktionen im Sinne der Commons-based peer production weiterzuverwenden und reduziert damit wenigstens potentiell Arbeit und Ressourcenverbrauch.
Der erste Aspekt ist verbunden mit der Forderung nach sauberem, semantischem HTML-Code: Je besser ich HTML nur zum Ausdruck der Inhalte benutze und nicht für rein Design-bezogenes Markup (also für das leider immer noch grassierende Anlegen unzählicher divs
und spans
), und je barrierefreier und responsiver ich das HTML anlege, desto weniger Daten werden über die Leitung geschickt. In der letzten Zeit weist vor allem Gerry McGovern immer wieder darauf hin, wieviel Energie für Datenmüll verloren geht, der produziert wird, weil Energie scheinbar kostenlos ist.
Der zweite Aspekt betrifft die Einfachheit und Rückwärts-Kompatibilität von HTML. In HTML vorliegende Inhalte bleiben lesbar und können Teil des kulturellen Gedächtnisses werden. Sie sind nicht an Techniken gebunden, die untergehen—oft mit den Firmen, denen sie gehören—und sie sind potenziell auf jedem internetfähigen Gerät benutzbar. Vor allem Jeremy Keith betont in seinen Präsentationen, dass HTML sich in einem viel langsameren Rhythmus verändert als andere digitale Technologien. Die ersten Websites sind noch heute verwendbar. HTML hat sich damit von dem Innovationszwang abgekoppelt, der für die digitale Wirtschaft der letzten Jahrzehnte charakterisch ist und enorme ökologische Fußabdrücke hinterlässt. Als Forderung daraus ergibt sich, im Sinne des Sustainalble Web Design für Inhalte HTML zu verwenden und nicht Technologien, die sich schnell verändern und eng an die Leistungsfähigkeit der Hardware und/oder an proprietäre Software gebunden sind.
Der dritte Aspekt kommt desto besser zum Tragen, je mehr HTML auf Wiederverwendung und Wiederverwendbarkeit angelegt wird, je besser also vorhandene Inhalte genutzt werden und die unbedingt nötigen neuen Inhalte für andere nutzbar sind. HTML als Hypertext Markup Language, deren Code zudem immer sichtbar ist, wurde von Beginn an für das Recyceln von Inhalten und Code entwickelt—ein Motiv Tim Berners-Lees am CERN war es, die Forschungen von Menschen, die das Zentrum nach kurzer Zeit verließen, so gut wie möglich weiterzunutzen.
Mir ist klar, dass ich hier zwischen Aussagen über HTML und normativen Aussagen hin- und herspringe. Ich würde das damit rechtfertigen, dass sich die Verwendung von Techniken nie ganz von ökologischen, politischen und ethischen Gesichtspunkten trennen lässt. Bei den alten industriellen Techniken, etwa beim Verbrennungsmotor, ist dieser Zusammenhang leicht zu erkennen, bei digitalen Techniken bleibt er oft verborgen. Deshalb ist er wichtig, ihn in einer Design-Disziplin wie der Content-Strategie zum Thema zu machen.
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