Ein paar der interessantesten Theoretiker des neuen Journalismus lehren in New York. Zwei von ihnen, Jay Rosen und Clay Shirky, haben vor Weihnachten an der New York University miteinander diskutiert. Fast in der Mitte der Diskussion erzählt Shirky, dass seine Studenten gedruckte Zeitungen gar nicht mehr aus eigener Anschauung kennen. „I have to buy physical newspapers“, sagt er—die er dann gleich zerschnitten hat, um an Gewicht festzustellen, wieviel Papier tatsächlich für journalistische Inhalte verwendet wurde, statt z.B. für Kreuzworträtsel und Horoskope.
Videos der Diskussion finden sich mit weiterem Material in der Dokumentation der New York University und bei YouTube. Hier das erste:
Wenn man sich dafür interessiert, was Öffentlichkeit heute sein kann, lohnt es sich, der Diskussion in Ruhe zu folgen. Ich habe es noch nicht geschafft, wenigstens den wichtigsten der vielen Anregungen nachzugehen. Rosen und Shirky interessieren sich für den Printjournalismus nur noch als historisches Phänomen. Sie halten die Suche nach neuen Business-Modellen für die Nicht-mehr-Print-Zeitungen für unwichtig, wenn man die Frage beantworten will, wie eine kritische Öffentlichkeit im Zeitalter der superdistribution funktionieren kann. Denn selbst wenn es Geschäftsmodelle für „Online-Zeitungen“ gäbe: In Web werden nicht Journalisten und Verlage steuern, welche Nachrichten wie viele Bürger erreichen.
Rosen und Shirky haben unterschiedliche Augangspunkte—Rosen die Tradition des Bürgerjournalismus, Shirky die Soziologie der kollektiven Handlung. Beide sehen die entscheidende Veränderung für den Journalismus durch das Netz darin, dass sich die Kontrolle über die Nachrichten auf das vernetzte frühere Publikum verschiebt. Die Diskussion zeigt: In den USA funktioniert die Blogosphäre als demokratisches Kontrollorgan, wenn auch nur sehr eingeschränkt. Bei uns sind wir davon noch weit entfernt.
Bemerkenswert ist auch, wie früh Shirky und Rosen radikale Veränderungen im Nachrichtenuniversum voraussahen, und wie spät man, wenn überhaupt, auf sie hörte. Speziell hier in Österreich sollte man das ernst nehmen. Die Presse in Österreich scheint bisher von der Krise weit weniger getroffen zu werden als die in den USA, während in Deutschland die Zahlen für die verkauften Auflagen schon seit Jahren sinken. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass durch Presseförderung und Regierungsanzeigen die österreichische Presse ohnehin nicht wirklich marktwirtschaftlich funktioniert, und auch damit, dass die Presse in Österreich nie das Ansehen als vierte Säule der Demokratie hatte, das sie in den USA immer mehr verloren hat. Eine Rolle spielt sicher auch, dass sich der Online-Markt und vor allem die Online-Werbung in Österreich erst langsam entwickeln. Aber zu glauben, dass Print-Zeitungen oder Online-Produkte, die das Print-Modell ins Web übertragen, eine längere wirtschaftliche Zukunft hätten, ist in Österreich heute nicht weniger naiv, als es das in den USA vor ein paar Jahren war.