Ich lese gerade Neue Wissensordnungen von Olaf Breidbach.
Im Unterricht verwende ich manchmal das Begriffstripel Daten — Information — Wissen, das wohl auf Russell L. Ackoff zurückgeht. Bisher habe ich immer versucht, alle drei in einer Art Linie zu verstehen, so wie sie etwa in dieser Grafik gezeigt werden. Nach der Lektüre der ersten Kapitel Breidbachs frage ich mich, ob diese Begriffe nicht eher zu unterschiedlichen Kategorien gehören, vor allem, ob man nicht Wissen als die Fähigkeit verstehen kann, mit gegenwärtigen und zukünftigen Informationen umzugehen. Wissen besteht dann nicht aus Informationen, sondern es basiert allenfalls auf ihnen. (Und Informationen sind nicht kontextualisierte
Daten, sonderen Mitteilungen von Daten.)
Damit referiere ich nicht Breidbachs Wissensbegriff; Breidbach spricht vom Wissen als interpretierter Information.
Ich meine damit nicht, dass man Wissen schlechthin als eine Fähigkeit definieren kann, sondern dass ein solches Verständnis dieses Begriffs heute sinnvoll sein könnte. Ich gehe mit der These, dass Wissen in der Fähigkeit besteht, mit vergangenen und zukünftigen Informationen umzugehen, an die weitere Lektüre von Breidbachs Buch.
Wenn diese These sich aufrechterhalten lässt, dann würde sich ergeben, dass man Wissen nicht vermitteln kann, indem man nur Informationen weitergibt. Wissen ließe sich nur weitergeben, indem man auch Praktiken vermittelt, und wäre immer an die Aktivität der Menschen, denen man es vermittelt, verbunden.
Ein solcher Begriff von Wissen widerstrebt unserem alltäglichen Verständnis wenigstens auf den ersten Blick: Wir sagen, dass jemand viel weiß, wenn er viele Informationen über etwas hat, wenn er viel gelernt hat. Andererseits setzt man auch im alltäglichen Gebrauch wissen
nicht damit gleich, über viele Informationen zu verfügen. Man würde nicht sagen, dass jemand, der ein komplettes Lexikon wiedergeben kann, viel weiß. Von wissen
spricht man erst, wenn er die Informationen in neuen Situationen anwenden kann. Zum Wissen gehören wohl die Aspekte der Anwendung, des Neuen und der Situation oder Situiertheit. (Abgesehen vom sozialen Aspekt: Vielleicht kann man nur in einer Gruppe oder als Mitglied einer Gruppe etwas wissen.)
Mir ist klar, dass ich hier möglicherweise nur den Nordpol wiederentdecke. Aber im Alltag, für mich z.B. im Unterricht, ist es nicht unwichtig, sich diese Basics klarzumachen. Außerdem lässt sich durch eine Klärung des Begriffs Wissen
möglicherweise verstehen, dass ein bloßes Mehr an Information nicht nur nicht zu einem Mehr an Wissen führt, sondern im Gegenteil die Entwicklung von Wissen als der Fähigkeit, die Informationen zu verarbeiten, behindern kann.
Ihre Reflexionen über den Begriff „Wissen“ spiegeln ziemlich genau meine Auffassung des Begriffs „Verständnis“ wider.
Im Wesentlichen betrachte ich „Wissen“ sehr wohl als raffinierte (also aufbereitete) Daten bzw. Information, dass diesem Wissen allerdings ein Verständnis der Materie und die Fähigkeit zur Abstraktion zugrundeliegt, ist keineswegs gesagt. Wissen ist notwendig, aber nicht hinreichend, um zu verstehen.
Das ist interessant. Kann man dazu (am besten online) mehr lesen?
Hm mir scheint, daß es auch in der aktuellen Diskussion (so man von einer sprechen kann) eine interessante Spannung zwischen den verwendeten Begriffen gibt. Zum einen versteht der Volksmund den Begriff Wissen schlicht im Sinne von „abrufbereite Information“. Wenn ich den Artikel richtig verstehe geht Breidbach nun davon aus, daß Wissen aber zugleich in der Fähigkeit besteht die vorhandenen Informationen zu verknüpfen und selbständig weiterzuentwickeln/anzuwenden und trifft den Nagel des altbekannten Problems „Theorie vs. Praxis“ auf den Kopf. Die von mh angesprochene Fähigkeit zur Abstraktion würde ich einmal wie folgt interpretieren: Damit ich auf einem spezifischen Gebiet sinnvoll arbeiten kann, benötige ich eine gewisse Basis an Faktenwissen. Das blose Vorhandensein verschiedener Daten, sagt aber noch nichts über meine Fähigkeit aus, mit denselben adäquat umzugehen. Und dort scheint er sich mit Breidbach zu treffen: „Von wissen spricht man erst, wenn er die Informationen in neuen Situationen anwenden kann.“ (siehe oben) Paradoxerweise scheint es da eine Verbindung zur praktischen Theologie zu geben, die zwischen Orthodoxie (rechter Lehre) und Orthopraxis (korrekter Handlung im Leben des Gläubigen) unterscheidet. Die in der Kirche stattfindende Verkündigung würde demnach Informationen vermitteln, ob diese sich dann aber mit dem Leben der „Bepredigten“ sozusagen verbindet und zu einer positiven Handlungsänderung herausfordert, scheint von anderen Faktoren abhängig zu sein. Und gerade das ist die interessante Frage: Wie funktioniert der psychische Prozeß des Verbindens von Informationen mit der Fähigkeit dieselben in neuen Situationen angemessen anzuwenden?
Interessant wäre, welche Erkenntnisse im Bezug auf die „Intelligenz der Massen“ sich aus der weiteren Vernetzung völlig unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen ergeben könn(t)en. Immerhin entwickelt sich momentan regelrecht eine neue Art von Geisteswissenschaft heraus, die momentan schwer zu bezeichnen ist. Fragestellungen sind meistens Verbindungsmöglichkeiten des Verhaltens von Usern mit neuen technischen Möglichkeiten und dessen gesellschaftlichen Auswirkungen. Cyber-Philosophie sozusagen :)) Interessant sind vor allem im amerikanischen Raum verbreitete Cross-Over-Themengebiete. Paradebeispiel der baptistische Pastor Rick Warren der mit seinem „Seeker Sensitiv Service“ den „weltanschaulichen Markt“ amerikanischer Glaubenskultur nicht mehr als reinen „Angebotsmarkt“, sondern als „Kundenorientierten Markt“ versteht und die Struktur seiner Gemeinde entsprechend angepasst hat… :)) Im Vergleich zu europäischen Verhältnissen eine – zugegeben ungewohnte – Sensation. Theologie als applied science sozusagen 😉
mfg