Notizen zu Texten von Quinn Slobodian und Bruno Latour
Saudi-Arabien als Vorbild
Durch einen Essay bin ich auf Quinn Slobodian aufmerksam geworden. In Does Trump Want America to Look More Like Saudi Arabia? (2025) stellt er dar, wie sehr Donald Trump Saudi-Arabien verehrt und wie eng Trumps Beziehungen dorthin sind. Slobodians These, die ich zuerst als nur ironisch missverstanden habe, ist: Wenn man ein Vorbild dafür sucht, wie Trump die USA umgestalten will, ist Saudi-Arabien wichtiger als die Faschismen der 20er und 30er Jahre. Die fossilen Größenphantasien Trumps (Slobodian nennt es nicht so; sein Fokus ist hier nicht die Klimaproblematik) gleichen denen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman.
Slobodian beschäftigt sich mit vielen aktuellen Spielarten des Autoritarismus. Vor zwei Jahren hat er einen ausführlichen Artikel über Saudi-Arabien geschrieben (Slobodian, 2023). Darin stellt er dar, wie die saudi-arabische Führung in den letzten Jahren eine hyper-kapitalistische Utopie entwickelt hat, die sie mit geopolitischen Ambitionen umsetzt. Durch die Ausbeutung seiner Ölvorräte verfügt Saudi-Arabien über enorme Finanzmittel, die weltweit investiert werden. Die Politik der Trump-Administration und die der Saudis greifen offenbar wie Zahnräder ineinander.
Gegen Ende des Artikels über Saudi-Arabien schreibt Slobodian, dass das Land sich für die Strategie eines Klima Behemoth entschieden hat. „Behemoth“ ist der Name eines biblischen Monsters. Geoff Mann und Joel Wainwright benutzen ihn zur Bezeichnung der reaktionären kapitalistischen Antithese zum Klima-Leviathan, dem von ihnen gewählten Ausdruck für die internationale Kooperation zum Kampf gegen die Klimakrise. Auch auf das Buch Manns und Wainwrights (2018) bin ich durch Slobodian gestoßen.
Die Behemoth-Strategie bedeutet: Die herrschende Gruppe dieses Lands verlässt sich nicht auf internationale Kooperation, sondern verfolgt konsequent ihre eigenen Interessen. Wenn ich ihn nicht missverstehe, hat Slobodian Verständnis für die Auffassung, dass sich die Konkurrenz solcher Behemoths und die Konflikte zwischen ihnen letztlich positiver auf das Klima auswirken werden als die nicht ernsthaft vorangetriebene internationale Klimapolitik. Angesichts der dramatischen Veränderungen des Klimas halte ich das eine für abwegige Position. Aber sie dürfte ausgesprochen oder unausgesprochen für viele politisch Agierende bestimmend sein.
Autoritäre Wende
In einem zusammen mit David Bebnowski auf deutsch veröffentlichten Aufsatz (Slobodian & Bebnowski, 2025, zuvor in der ZEIT Online erschienen) weist Slobodian auf die Bedeutung Murray Rothbards und dessen Wirkunsgeschichte in der rechten und libertären Szene in Deutschland hin. Rothbard hat schon 1992 in Right-wing Populism: A Strategy for the Paleo Movement (Rothbard, 1992) einen rechten Populismus gefordert, um eine Koalition von Libertären und Nationalisten an die Macht zu bringen. Slobodians Fokus ist hier nicht die CO2– und Klimaproblematik. Doch die Ideologeme und Netzwerke, die er und Bebnowski analysieren, promoten die weitere fossile Expansion. Man unterschätzt diese Ideologie sicher, wenn man sie nur als Mittel zur Durchsetzung der Interessen der Fossilindustrie versteht. Aber man kann ihre Durchschlagskraft und die Motive ihrer Sponsoren nicht erklären, wenn man nicht sieht, wie eng sie mit dem Kampf gegen eine dekarbonisierte Wirtschaft und Gesellschaft verwoben ist.
Ich höre und lese gerade viel, um die Politik Trumps zu verstehen. Die Schockstarre der Opposition gegen Trump, auf die immer wieder hingewiesen wird, ergibt sich sicher auch aus den Schwierigkeiten, diese neue Form des Autoritarismus zu erkennen und ihre Besonderheiten zu verstehen. Es handelt sich nicht um radikalisierte konservative Positionen. Es wirkt auf mich hilflos, wenn der Oppositionsführer im US-Senat, Chuck Schumer, gegen Trump eine ähnliche Strategie vorschlägt wie gegen George W. Bush (Schumer, 2025). Es handelt sich aber auch nicht um eine der historisch bekannten Formen des Faschismus, so dass die alte antifaschistische Rhetorik nicht viel bewirkt. Slobodians Texte helfen dabei out of the box zu denken, um das Neuartige dieser Bewegung zu erkennen.
Belonging
2002 hat Bruno Latour in einem Vortrag in London eine Einleitung in sein späteres Werk gegeben (Latour, 2010). Zu Beginn geht er auf den Begriff Gaia ein, den er hier sehr einfach als die Gesamtheit der lebenserhaltenden Systeme der Erde erklärt. Um deutlich zu machen, wie bedroht diese Systeme sind, verweist Latour auf James Lovelock, der in The Revenge of Gaia (2006) davon spricht, dass – wenn überhaupt – nur eine halbe Milliarde Menschen die kommenden ökologischen Katastrophen überleben kann. Latour macht sich diese Voraussage nicht zu eigen, aber sie gibt seiner Forderung nach einer neuen Soziologie den Nachdruck.
Gegenstand dieser neuen Soziologie sind connections und attachments, Zugehörigkeiten und Abhängigkeiten. Diese Abhängigkeiten sind nicht emanzipatorisch aufzulösen, sie lassen sich nur beschreiben und sie werden in der Geschichte – hier verwendet Latour ein Konzept Peter Sloterdijks – expliziert: Die Geschichte macht die Abhängigkeiten von Gaia, vom Erdsystem, greifbar.
Ein Wort, das an Latours „attachments“ erinnert, nämlich „sense of belonging“, gehört zu den Trigger-Words auf der Verbotsliste der Trump-Administration (Yourish et al., 2025). Das ist kein Zufall. Die Oligarchen um Trump verfolgen die Utopie eines von den terrestrischen Bindungen emanzipierten Petrostaats – eine Parodie der modernen Trennung von Gesellschaft und Natur. Durch Slobodians Aufsätze beginne ich zu verstehen, welches politische Potenzial mit dieser Utopie verbunden ist.
Ich verweise nicht nur auf diesen Text Latours, weil er es leichter macht, seinen Autor zu verstehen. Er interessiert mich im Zusammenhang mit der Frage, wie sich Beziehungen zwischen den Texten und Informationen herstellen lassen, die sich auf die Klimakrise oder den Klimanotstand beziehen. Im Anschluss an Latour kann man versuchen, diese Beziehungen nicht durch eine Klassifikation, ein über die Informationen gelegtes System von Metadaten herzustellen, sondern durch Verlinkungen, die dem folgen, was Latour „connections“ oder „attachments“ nennt. Die Verbindung zwischen dem Autoritarismus Trumps, den Ölfeldern in Saudi-Arabien und der imaginären Überhöhung eines Petrostaats ist ein Beispiel für solche connections.