Bei zwei Veranstaltungen in Graz hat Christian Zeller von Ökosozialismus gesprochen. Mir ist das, was ich mir unter diesem Audruck vorstelle, nicht unsympathisch. Eine sozialistische Gesellschaft, in der es keine durch Eigentumsunterschiede definierten Klassen gibt, und die innerhalb der planetary boundaries lebt, halte ich für erstrebenswert. Ich stelle sie mir, sehr vage und im Bewusstsein, nicht viel von Wirtschaft zu verstehen, vor wie etwas zwischen schwedischer Sozialdemokratie und jugoslawischem Selbstverwaltungssozialismus, aber mit ökologischem Vorzeichen.

Mir ist aber auch das Konzept einer ökologischen Marktwirtschaft nicht unsympathisch. Dass eine sozialistische Gesellschaft ohne Markt nicht funktioniert, gehört zu den wenigen Dingen, die man sicher aus der Geschichte lernen kann. Meine naive und unwissenschaftliche Erklärung dafür ist, dass soziale Entwicklungen zu komplex und zu unvorhersehbar sind, um zentral geplant werden zu können. Dass eine Ökologisierung der Marktwirtschaft, also eine Einpreisung der ökologischen Folgen jeder wirtschaftlichen Handlung, notwendig ist, ergibt sich für mich zwingend aus dem Wissen über die ökologische Katastrophen, die sich gerade vollziehen.

Trotzdem halte ich weder Ökosozialismus noch ökologische Marktwirtschaft für adäquate Bezeichnung dessen, was auf den fossilen Kapitalismus folgen muss. Beide Bezeichnungen stehen für die Verbindung eines Gesellschaftsmodells aus der Industrie- und Wachstumsgesellschaft mit einer ökologischen Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft. Sie machen aber schon als Wortzusammensetzungen deutlich, dass dabei zwei Komponenten miteinander verbunden werden, die man sich auch unabhängig voneinander vorstellen kann. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass man sozialistische oder marktwirtschaftliche Modelle aus der Vergangenheit mit ökologischen Komponenten koppeln kann und dann zu einer Gesellschaft gelangt, die die planetary boundaries respektiert.

Ich lerne gerade bei der Lektüre von Pierre Charbonniers neuem Buch, wie schwierig und zugleich wie notwendig es ist, politische Konzepte zu entwickeln, die nicht auf einer Opposition von Gesellschaft und Natur beruhen—wobei Charbonnier zeigt, dass in den neuzeitlichen Konzepten von Wirtschaft und Politik die Natur oder Umwelt immer beteiligt ist, wenn auch in anderen Gestalten, wie denen des Bodens oder der Meere, auf deren Freiheit der frühneuzeitliche Handel beruht.

Ich glaube nicht, dass man ein ausformuliertes Modell einer zukünftigen Gesellschaft braucht, um politisch zu handeln, und ich glaube auch nicht, dass man ein solches Modell formulieren kann. Man kann zukünftige Entwicklungen komplexer Systeme nicht vorwegnehmen. Aber man kann vielleicht einige ihrer Elemente benennen. Die Elemente, die mir am wichtigsten erscheinen, werden von Ausdrücken wie Ökosozialismus oder ökologischer Marktwirtschaft nicht erfasst. Damit meine ich:

  • Postwachstum: Eine Gesellschaft innerhalb der planetary boundaries muss die Nutzung natürlicher Ressourcen strikt limitieren und in vielen Bereichen reduzieren. Das ist mit weiterem Wirtschaftswachstum nicht vereinbar, weil Wachstum exponentiell verläuft und nicht von einer wenigstens minimalen Nutzung materieller Ressourcen gelöst werden kann.

  • Dezentralität und Diversität: Eine Alternative zur globalen Zerstörung von Ressourcen erfordert, dass die meisten wirtschaftlichen und politischen Prozesse auf einem lokalen Niveau erfolgen und damit auch unterschiedliche Entwicklungen unterschiedlicher Communities gefördert statt unterdrückt werden.

  • Digitale Vernetzung: Digitale Technologien erlauben eine intelligente dezentralisierte Wirtschaft jenseits der Industriegesellschaft. In der digitalen Wirtschaft haben sich schon Paradigmen funktioniender sozialer und technischer Strukturen herausgebildet, die weder zentral kontrolliert werden noch im traditionellen Sinn kommerziell sind: die Open Source-Bewegung, das Internet und das Web.

  • Posthumanistische soziale Strukturen: Ich glaube, dass der eigentliche Schlüssel zu einer neuen Gesellschaft darin liegt, in den sozialen Praktiken und im Rechtssystem über die Entgegensetzung vom menschlichen Subjekten und nichtmenschlichen, beliebig ausnutzbaren Objekten (natürlichen wie technischen) hinauszukommen. So schwer das zu denken und vorzustellen ist: Wenn es keinen Schutz von komplexen Systemen mit menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren gibt, wird sich die industrielle Ausbeutung des ganzen Planeten nicht auf Dauer begrenzen lassen.

Diese Elemente einer zukünftigen Gesellschaft—die es alle schon gibt, wenn auch nicht gleichmäßig verteilt—widersprechen nicht unbedingt den Ideen eines Ökosozialismus oder einer ökologischen Marktwirtschaft. Sie werden aber von diesen Modellen, deren Ursprung im politischen Denken der Epoche der Industrialisierung liegt, möglicherweise verdeckt. Deshalb eignen sich Ökosozialismus und ökologische Marktwirtschaft nicht gut als politische Leitbilder in Zeiten der ökologischen Katastrophe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.