Ein Hinweis auf Eric Altermans Out of print: Alterman reflektiert die Krise der Print-Zeitungen in den USA, deren dramatisches Ausmaß wöchentliche Hiobsbotschaften auch den professionellen Gesundbetern deutlich machen. Ein Viertel der Stellen in den amerikanischen Zeitungen ist seit 1990 verschwunden. Seit Ende 2004 sank der Börsenwert der New York Times um 54%. Nur 19% der 18-34jährigen Amerikaner lesen nach eigenen Aussagen Tageszeitungen. Der Durchschnittsleser ist über 55. Schon seit 2004 stehen Zeitungen bei jungen Amerikanern am letzten Platz der Nachrichtenmedien, weit abgeschlagen hinter dem Internet. Nur 8% dieser Altersgruppe verlassen sich noch auf Zeitungen.

Diese dramatischen Zahlen sind für Altermans Artikel nur der Ausgangspunkt. Er stellt fest, dass die Zeitungen auf die Krise vor allem reagieren, indem sie sparen, Stellen streichen und die Inhalte reduzieren — es den Lesern also noch mehr erleichtern, auf dieses Medium zu verzichten. Alterman stellt den klassischen Qualitätszeitungen einerseits die Online-Zeitung Huffington Post gegenüber, die in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Nachrichtenmedien geworden ist. Sie arbeitet mit wenig Personal, verlässt sich auf Links zu anderen Nachrichtenquellen und vielfach auch einfach auf Tratsch im Netz. Andererseits erwähnt er den investigativen, communitygestützten Online-Journalismus im Stil von Talking Points Memo.

Man kann Altermans dichten Artikel schwer resümieren. Er interpretiert die aktuelle Situation vor dem Hintergrund der Geschichte des Journalismus in den USA; auch deshalb ist er für Leser diesseits des Atlantik sehr aufschlussreich. In amerikanischen Medienblogs löste er eine kleine Lawine von Verlinkungen aus.

Interessant ist die idealtypische Gegenüberstellung zweier Modelle der Funktion des Journalismus, von denen eines auf Walter Lippmann, das andere auf John Dewey zurückgeht. Für Lippmann ist der Normalbürger nicht dazu in der Lage, politischen und sozialen Entwicklungen kompetent zu folgen. Objektive Information ist eine Sache professioneller Eliten, die ihrerseits auch nur Eliten erreichen. Lippmanns intelligence buraus sind der Idealtyp der Redaktionen von Qualitätsmedien, die den Anspruch erheben, umfassend und objektiv zu informieren und dabei strikt zwischen Bericht und Information zu unterscheiden. Für John Dewey vergessen die Anhänger dieses Modells, dass auch die informierten Eliten Interessen vertreten und die Wirklichkeit interessengebunden wahrnehmen — wobei sich übrigens die Interessen der politischen Eliten und der Eingeweihten, die über diese Eliten informiert sind und informieren, überlappen. Dewey steht für ein Modell des Journalismus, das die öffentliche gesellschaftliche Debatte in den Vordergrund stellt. Sehr, vielleicht zu sehr vereinfacht gesagt, stirbt für Alterman mit der gedruckten Qualitätspresse das an Lippman orientierte Modell des Journalismus; in der Blogosphäre siegt Deweys Konzept der öffentlichen Debatte.

Alterman schließt nicht mit Antworten, sondern mit Fragen: Was wird aus der Demokratie, wenn sich nicht länger investigative Journalisten um versteckte oder unerschlossene Quellen bemühen, so dass sie den debattierenden Lesern überhaupt erst sagen können, was diese wissen müssten? Was wird aus verfolgten Aktivisten ohne eine mediale Öffentlichkeit, die sie schützt? Wie lassen sich katastrophale gesellschaftliche Entwicklungen verhindern, wenn sie nicht mehr von einer Armee professioneller Reporter beobachtet werden?

Altermans Perspektive ist die der Qualitätsmedien des letzten Jahrhunderts, nicht die eines media hackers (Dave Winer). Er nimmt an den Internetmedien wahr, was sie mit den älteren journalistischen Medien vergleichbar macht: das Verhältnis zu den Quellen, die Beziehungen zwischen Bericht und Meinung, Darstellung und Diskussion. Er schreibt nicht über die technische Realtät der neuen Medien, über die Infrastruktur des Web, über die Funktion von Verlinkungen und die technisch ermöglichte Verbreitung von Nachrichten in sozialen Netzen. Hier könnte eine Diskussion seines Aufsatzes ansetzen, die Altermans dystopische Wahrnehmung des Endes des Printjournalismus in Frage stellt, ohne euphorisch was fällt, das soll man stürzen zu rufen.

(Zur Debatte zwischen Lippmann und Dewey habe ich diese kurze Darstellung gefunden.

3 Kommentare zu “Out of print – Eric Altermans Grabrede auf den amerikanischen Qualitätsjournalismus

  1. Ich finde es schön mit einem Aufruf zur Diskussion einen Blogeintrag enden zu lassen! Eine Frage dazu von mir wäre, wie die langfristige Position des Journalisten, oder des journalistisch Arbeitenden im Bereich der Demokratieerhaltung realisierbar bleibt. Eine andere – immer wieder auftauchende – Frage, in welchem Medium diese Arbeit erfolgen soll, interessiert mich dabei jetzt weniger, obwohl sie indirekt natürlich damit verbunden ist. Ich würde es soweit vereinfachen, dass die Art und Weise recherchierte Arbeiten zu publizieren einfach der Zeit und den Menschen, die ich erreichen will, angepasst sein muss. Keine Pädagogik bzw. Missionierung in Sachen Medium sollte dabei zur Anwendung kommen. Neue redaktionelle Strukturen zur Qualitätsicherung zu entwerfen, um mit möglichst wenig finanziellen Mitteln bestmögliche Ergebnisse zu erzielen, finde ich weitaus spannender zu diskutiern!

  2. Ich fürchte, die Frage ist nicht nur indirekt mit dem Medium verbunden, sondern sogar sehr direkt. Es gibt genügend talentierte Journalisten, die auch investigative Themen aufgreifen könnten(!), es fehlt nur an Medien, die a) die Zeit haben und b) diesen Aufwand auch bezahlen wollen und können.
    Aus ökonomischer Sicht auch klar verständlich: Wieso soll ich dem Journalisten für einen Artikel so viel bezahlen, wenn er mir doch am Schreibtisch fünf machen kann. Ich glaube, dass der Absatz „Er stellt fest, dass die Zeitungen auf die Krise vor allem reagieren, indem sie sparen, Stellen streichen und die Inhalte reduzieren — es den Lesern also noch mehr erleichtern, auf dieses Medium zu verzichten.“ einer der wichtigsten ist. Die klassischen Medien reagierten und reagieren großteils falsch auf die aktuelle Entwicklung. Das Internet sollte idealerweise als Ergänzung betrachtet werden – P.R.-technisch als „Dialoginstrument“ zwischen Lesern und Journalisten – und nicht als Verdränger.

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