Ich habe am Wochenende einige Texte gelesen, die sich mit den Folgen der Finanzkrise beschäftigen, vor allem A User’s Guide to 21st Century Economics von Umair Haque und Work on Stuff that Matters von Tim O’Reilly. Sie beziehen sich nicht aufeinander, aber sie zielen in dieselbe Richtung: Die aktuelle Wirtschaftskrise als Anlass zu nutzen, die Konsumgesellschaft als solche in Frage zu stellen und zu überwinden — also eine Wirtschaft, die darauf basiert, immer mehr und immer billigere Konsumgüter zu produzieren und die Kosten dafür den ärmeren Ländern und den nächsten Generationen aufzubürden.

O’Reilly spricht vom Biggest Ponzi Scheme of Them All. (Ponzi hat den Kettenbriefbetrug erfunden, den in jüngster Zeit Bernard Madoff praktiziert hat.) Für O’Reilly ist das Ponzi Scheme eine Metapher für die gegenwärtige Wirtschaft insgesamt: Der Konsum wird durch Schulden finanziert, die später nur durch wiederum steigenden Konsum zurückgezahlt werden können, und dabei werden endliche Ressourcen aufgebraucht und damit allen denen genommen, die nicht heute und nicht in den wenigen wirklich reichen Gesellschaften leben. Für Haque muss sich die Wirtschaft in der Zukunft, statt sich am mehr und billiger zu orientieren, um komplexe Produkte und Dienstleistungen bemühen, die wenig Ressourcen verbrauchen und Produzenten und Konsumenten miteinander vernetzen.

Ich frage mich, ob man diesen Gedanken auf die Medien übertragen kann. Auch dort gibt es eine Krise, und auch dort war bisher die Massenproduktion der wichtigste Wert, nur dass man eher von Reichweite und Auflagen sprach. Die Massenmedien, wie sie sich im letzten Jahrhundert entwickelt haben, bieten gleiche Produkte in möglichst großer Zahl einer möglichst großen Menge an. Die Krise, in die sie gerade geraten sind, hat spezifische Gründe, aber trotzdem kann man auch hier das Modell der Massenproduktion in Frage stellen und überlegen, ob nicht komplexe Dienstleistungen in Communities von Produzenten und Prosumern an die Stelle der uniform distribuierten packaged news treten können. Dabei kann es sich um Angebote handeln, die von Firmen in Verbindung mit anderen Produkten und Dienstleistungen angeboten werden (also um PR, wenn man so will), um on-demand-Inhalte, die für interessierte Gruppen produziert werden, oder auch um öffentlich finanzierte Medien, die die Informationsbedürfnisse z.B. von Gemeinden oder Regionen befriedigen. Immer ist nicht nur das Produkt, etwa die Nachricht, wichtig, sondern die interaktive Beziehung, in der die Macher zu den Verbrauchern stehen.

Dieser Gedanke ist noch lange nicht zuende gedacht. Ich möchte mit einem etwas vagen Hinweis schließen: Mark Bernstein hat 2007 das Konzept des NeoVictorian Computing formuliert: Individuell entwickelte Software, handwerklich auf ganz spezifische Bedüfnisse zugeschnitten. Vielleicht beginnt auch für die Medien eine neoviktorianische Phase.

Ein Kommentar zu “Medien nach der Krise: Abschied vom mehr und billiger?

  1. 100%ige Zustimmung. Der Journalismus (bzw. die großen Medienportale) geht daran zu Grunde, dass alle die selben Pressemitteilungen veröffentlichen und es auch qualitativ kaum Unterschiede in der Berichterstattung gibt. Es fehlt einfach der USP, der unique selling point. Warum sollte ich zu irgendeinem Thema besser zum Spiegel statt zum Standard gehen? Letztlich benötigen wir Produzenten von guten, von richtig guten Inhalten, die dann jeder für sich zu seinem eigenen Nachrichten-Stream aggregieren kann. Schade, das dieses Potenzial so wenig erkannt wird.

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