Hörenswert: Die letzte Folge des Steady Stater-Podcast Divesting from Doom, Investing in Education (Czech, n.d.) mit Stephen Mulkey, einem Pionier einer Hochschullehre, die sich den ökologischen Krisen stellt.

Stephen Mulkey hält die Keynote der Konferenz der Association for the Advancement of Sustainability in Higher Education 2015. Quelle: https://youtu.be/1VHHRrR4wWo
Stephen Mulkey hält die Keynote der Konferenz der Association for the Advancement of Sustainability in Higher Education 2015. Quelle: https://youtu.be/1VHHRrR4wWo

Der Podcast ist schon nach der COP26 aufgenommen. Auf die Frage, was nach der enttäuschenden Konferenz nötig sei, antwortet Mulkey eindeutig: Massiver ziviler Ungehorsam. In einem Post auf seinem Blog geht er ausführlich auf das Scheitern der COP26 ein (Mulkey, 2020).

Present progress on addressing climate change is a false summit unless we fully understand the nature of any perceived progress and the extreme danger of ongoing climate and biosphere disruption.

Mich interessiert, wie Mulkey Aktivismus, akademische Lehre und Wissenschaftsmanagement miteinander verbindet. Er zeigt, wie man die Hochschullehre konsequent und erfolgreich transformieren kann—wobei er selbst an die Grenze des Möglichen ging. Im Podcast berichtet von erheblichen Schwierigkeiten in Florida, wo er jetzt unterrichtet.

Mulkey hat als Präsident des Unity College in Maine dafür gesorgt, dass dieses College als erste US-Hochschule alle Investitionen in die TOP 200-Firmen der Fossilindustrie zurückzog. Finanziell war er damit übrigens erfolgreich. Er weist in dem Podcast darauf hin, dass völlig fossilfreie Investionen heute daran scheitern, dass nahezu jeder Teilbereich unserer Wirtschaft mit CO2-Emissionen verbunden ist.

Ein transdisziplinäres Curriculum für Nachhaltigkeit

Mit einem transdiszplinären Ansatz hat Mulkey das als ganzes auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Programm des Unity-College durchgesetzt. Die Studierenden werden dabei nicht erst in einer Disziplin ausgebildet, auf die dann eine die Disziplinen übergreifende Anwendungsebene gepfropft wird. Stattdessen erarbeiten sie sich das Wissen zur Lösung spezifischer und komplexer Probleme. Nach solchen Grundsätzen sollte mein bisheriger Arbeitgeber FH Joanneum die Bachelor-Curricula entwickeln und so die Orientierung an Nachhaltigkeit umsetzen. In der Graduate-Phase, also im Masterstudium, kann vor diesem Hintergrund die intensive Einarbeitung in eine Einzeldisziplin folgen.

Mulkey betont im Podcast die Bedeutung der Liberal Arts für die Ausbildung auch in den Naturwissenschaften. Er greift die alte Trennung von Natur- und Kulturwissenschaften von beiden Seiten aus an. Dabei ist die ökologische Ökonomie ein wesentlicher Bestandteil seines Konzepts von sustainability science als Rahmen für ein komplettes akademisches Programm. So behandelt er in seinen eigenen Undergraduate-Kursen auch die Modern Monetary Theory und das Konzept des Fiat money.

Wissensökonomie und terrestrisches Bildungskonzept

Mulkey fordert, die Hochschulausbildung auf eine ökologische Wissensökonomie (knowledge economy) auszurichten. Der wichtigste und besondere Aspekt dieser Wissensökonomie ist, dass sie auf die ökologische Gesundung oder Restitution der Region ausgerichtet ist, in der sich die Hochschule befindet. Mulkey führt das in einem Text zur Hochschulentwicklung in Maine (Mulkey, 2015) aus. Maine ist von der Klimakrise besonders betroffen und leidet zugleich daran, dass viele gut Ausgebildete abwandern. (Das ist vergleichbar mit der Lage in Kroatien, das als Mittelmeerland besonders unter der globalen Erhitzung leiden wird, und aus dem massenhaft qualifizierte Menschen abwandern.) Ein Nachhaltigkeitscurriculum, wie es Mulkey fordert und umgesetzt hat, soll die Region entwickeln und das dazu benötigte Wissen zur ökologischen Transformation auch über die Region hinaus verfügbar machen.

Transdisziplanarität, Regionalität, ökologische Regeneration und Wissensökonomie gehören bei Mulkey zusammen. Man kann sie als Komponenten eines terrestrischen, irdischen (Latour, 2018) Bildungskonzepts verstehen. Horizont der Bildung oder Ausbildung im Sinne dieses Konzepts sind spezifische ökologische Situationen, die ein Wissen erfordern, das sich dann für andere Situationen und Netzwerke übersetzen und dabei verändern lässt. Bei Mulkey sind diese Situationen regional. Im Sinne von Latour könnte man von Abhängigkeiten sprechen, die auch zwischen geografisch weit voneinander entfernten Punkten bestehen, die aber lokalisiert, mit ihrer besonderen Geschichte und Zukunft entwickelt werden müssen, so dass sich Wissen über diese Beziehungen nicht unverändert auf andere Situationen übertragen lässt.

Wenn man sich z.B. in unserem Content-Strategie-Studiengang mit nicht klimaschädlichen Online-Inhalten beschäftigt, muss man auch nach den Abhängigkeiten zwischen Inhalten und Hardware und etwa nach den Lieferketten fragen, ohne die es keine Hardware für Computer und Mobiltelefone gibt. Diese Abhängigkeiten wirken sich nicht nur auf das industrielle Produkt Mobiltelefon aus, sondern auch auf die Glaubwürdigkeit einer Publikation, die Dekarbonisierung fordert und für sich in Anspruch nimmt. Im Sinne des Konzepts von Mulkey würde man dieses Wissen in Verbindung mit einem konkreten Projekt, z.B. CO2-freier Energieversorgung der Grazer Haushalte, entwickeln. Dabei würde man dann möglicherweise Kommunikations- und Vernetzungsmöglichkeiten entdecken, die bis hin zur Hardware lokalisiert sind, also z.B. Geräte wiedernutzen, für die lokale Lieferanten vorhanden sind. Die Ausbildung wäre nicht in erster Linie auf generische Kompetenzen ausgerichtet sondern auf das Wissen, das für verantwortliches Handeln in spezifischen und komplexen Situationen nötig ist. Das klingt vielleicht provinziell. Aber diese Art von Provinzialität ist für eine ökologische Regeneration nötig, während der Schwerpunkt auf Kompetenzen, die global austauschbar sind, ökologische Besonderheiten und Notwendigkeiten als Vermarktungshindernisse abblendet.

Nachweise

Czech, B. (Podcaster). (n.d.). Divesting from Doom, Investing in Education (with Stephen Mulkey) – The Steady Stater (Season 2 Episode 10). Retrieved December 1, 2021, from https://pca.st/eyhej48u
Latour, B. (2018). Das terrestrische Manifest (B. Schwibs, Trans.; Deutsche Erstausgabe). Suhrkamp.
Mulkey, S. (2015, February 3). A positive vision for Maine: A knowledge-based adaptation economy – The Environmental Century. https://environmentalcentury.net/2015/03/02/a-positive-vision-for-maine-a-knowledge-based-adaptation-economy/
Mulkey, S. (2020, December 27). The false summit of climate change progress. The Environmental Century. https://environmentalcentury.net/2020/12/27/the-false-summit-of-climate-change-progress/

3 Kommentare zu “Ökologische Transformation der Hochschullehre: Stephen Mulkey im Steady Stater-Podcast

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