Mark Canter beschäftigt sich in einem langen Posting mit dem, was er mesh nennt: einer Infrastruktur, mit der die User alle Daten, die mit der eigenen Identität und den eigenen Beziehungen zusammenhängen, aggregieren, organisieren und kontrollieren können. Canters Ziel ist ein offenes, standardisiertes, nicht proprietäres System, das es jedem User erlaubt, uneingeschränkt über die eigenen Daten und ihre Freigabe zu verfügen. Er kündigt eine Serie mit Vorschlägen zu diesem Thema an; in diesem ersten Posting gibt er einen Überblick über die aktuelle Situation, die verschiedenen Standards und (meist proprietären) APIs von Twitter bis OpenSocial. Wichtig und plausibel ist, dass die übergreifenden Fragen des Identitäts- und Beziehungsmanagements in fast allen aktuellen Web-Applikationen und Applikationstypen gemeinsam und direkt angegangen werden müssen. Eine Grafik Canters zeigt, wie das digitale Universum einer Person in diesem mesh organisiert sein könnte:

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Die Grafik macht vielleicht am schnellsten deutlich, worum es Canter in seinem dichten und komplexen Posting geht, sie ersetzt die Lektüre natürlich nicht.

Ich bin sicher, dass sich ein großer Teil der Entwicklung des Web in den kommenden Jahren um die Fragen drehen wird, die Canter formuliert. Vermutlich werden dabei auch viele seiner Antworten aufgegriffen werden. Es kommt mir übrigens so vor, als würden sich diese Initiative und die Linked Data-Initiative von Tim Berners-Lee in dieselbe Richtung bewegen.

Tim Berners-Lee ist in der Times grotesk falsch wiedergegeben worden und korrigiert den Bericht in seinem Blog. Dabei erwähnt er den Media Standards Trust, eine Organisation, die Qualitätsstandards bei Nachrichten durchsetzen will. Diese Organisation versucht gemeinsam mit der Web Science Research Initiative Standards für objektive Berichterstattung formal zu definieren. Das bedeutet, dass eine Reportage (maschinenlesbar in einem RDF-Statement) die Information enthalten würde, dass es sich bei ihr um einen Augenzeugenbericht handelt, oder die Matadaten eines Fotos die Auskunft geben könnten, dass es beschnitten, aber sonst nicht bearbeitet wurde.

Wenn diese Initiative Erfolg hat, könnte sie für den Journalismus (oder Postjournalismus) im Web viel bedeuten. Es wäre zum Beispiel möglich, über die Grenzen von Sites hinweg Originalquellen mit anderen Informationen automatisch zu verknüpfen. Man kann sich einen völlig anderen Workflow vorstellen, als er bis jetzt noch in Verlagen üblich ist.

Natürlich können solche Metadaten gefaked sein. Aber das unterscheidet sie nicht von allen anderen journalistischen Produkten. In jedem Fall machen sie es leichter, den Wahrheitsanspruch des Materials zu überprüfen und seine Entstehung nachzuvollziehen.

Mehr zu der Initiative hier.

Brian Stelter beschreibt in der New York Times, wie junge Leute in Amerika sich über den Vorwahlkampf, vor allem über Barack Obama informieren: Finding Political News Online, the Young Pass It On [via Sebastien Provencher]. Fast wie in einem Lehrbuch zeigt der Bericht, wie soziale Medien funktionieren: Empfehlungen durch die User in sozialen Netzwerken treten an die Stelle der Filterung und Sortierung durch Journalisten in den klassischen Medien. Eine Person gibt ein Link an die nächste weiter, und entsprechend dem Prinzip der six degrees of separation erreicht eine Nachricht ihre Adressaten.

If the news is important, it will find me,

sagt jemand von den befragten Studenten. Mathew Ingram hebt diesen Satz in seiner Analyse von Stelters Artikel hervor. Wie Ingram finde ich, dass jeder Medieninteressierte Stelters Artikel lesen sollte.

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Scott Karp hat wahrscheinlich recht, wenn er schreibt:

Only a social network like Facebook that has no unique value proposition and depends instead on a traditional customer lock-in and monopoly control strategy need fear OpenSocial.

Social Networking dürfte sich zu einer Standard-Funktion vieler Websites entwickeln; irgedwo habe ich gelesen, dass es Facebook so ähnlich gehen könnte wie dem alten AOL-Netzwerk, das sich im Web aufgelöst hat. Karp sieht Ning als den potenziellen Gewinner dieser Entwicklung. Ich vermute, dass sich Netzwerke am ehesten um Objekte entwickeln, an denen es ein gemeinsames Interesse in einer Community gibt, so wie es bei flickr und del.icio.us der Fall ist [-> zengestrom.com: Why some social network services work and others don’t Or: the case for object-centered sociality]. Yahoo! hat da viel beizutragen, außer flickr und del.icio.us auch MyBlogLog.

Wie kann man evaluieren, was es für ein Unternehmen bringt, soziale Medien zu verwenden? Der gangbarste Weg scheint mir darin zu bestehen, die Potenziale zu bewerten, die ein Unternehmen erschließt, indem es sich mit Partnern, Kunden und anderen Interessenten (Stakeholdern) vernetzt. Aufbau und Pflege eines Netzwerks erlauben es dem Unternehmen, auf Ressourcen wie das Wissen, die Glaubwürdigkeit und die Einstellungen der Partner, mit denen es verknüpft ist, zurückzugreifen. Welche messbaren ökonomischen Vorteile ein Netzwerk mit Non Profit-Organisationen für ein Unternehmen haben kann, beschreibt sehr gut der Artikel The Greening of Wal-Mart in der Stanford Social Innovation Review, auf den Thomas Burg hinweist.

Wal-Mart orientiert seine gesamte Konzernstrategie am Ziel der Nachhaltigkeit und kooperiert eng mit unterschiedlichen NGOs — nicht nur um in der Öffentlichkeit als politisch korrekte Firma auftreten zu können, sondern auch, um sich ein stabiles und konstengünstiges sourcing zu sichern. Dabei treten auch bei den Geschäften mit Lieferanten dauerhafte Beziehungen an die Stelle von Transaktionen, die an einem kurfristig realisierten Gewinn orientiert sind. Thomas zitiert eine Schlüsselpassage des Texts:

At the heart of Wal-Mart’s business sustainability strategy is a shift from generating value through price-based, transactional interactions toward generating value from longer-term, collaborative relationships with nonprofits, suppliers, and other external stakeholders. Through its sustainable value networks, Wal-Mart gains a whole-system perspective that helps the retailer find profitable ways to address environmental issues such as fishery depletion, climate change, and pollution. In exchange, nonprofit network members stand to make giant leaps toward their missions because of the scale of Wal-Mart’s operations. And suppliers enjoy not only the stability that closer relationships with the retail giant brings, but also the assistance and guidance of Wal-Mart’s nonprofit partners.

Der Artikel beschäftigt sich nicht mit den Kommunikationsmedien, die Wal-Mart verwendet, aber für diese Art der Vernetzung bieten sich Wikis, Blogs und Soziale Netzwerke an. Evaluieren ließe sich die Verwendung dieser Medien für Aufbau und Erhaltung eines solchen Netzwerks vielleicht entsprechend dem Modell der Corporate Communications Scorecard, das Ansgar Zerfass entwickelt (PDF dazu hier)1.

Der Netzwerk-Ansatz hat für Wal-Mart zwei Vorteile: Mit ihm lassen sich wissensintensive Geschäftsprozesse organisieren, die sich mit linearen Modellen (supply-chains, Wertschöpfungsketten) schlecht oder nicht abbilden lassen. Und er erlaubt es, extrem komplexe Systeme zu managen, z.B. um Elektroschrott zu reduzieren. Mich erinnert die Unterscheidung zwischen einem transaktions- und einem netzwerkorientierten Managementmodell an den Gegensatz von prozeduraler und objektorientierter Programmierung, weil es auch bei der Objektorientierung darum geht, Komplexität managen zu können.

1: Zerfass‘ neueste Publikation dazu kenne ich noch nicht: Zerfass, Ansgar (2008): The Corporate Communications Scorecard – A framework for managing and evaluating communication strategies in: van Ruler, Betteke/Tkalac Vercic, Anna/Vercic, Dejan (Eds.): Public Relations Metrics: Research and Evaluation, Mahwah (NJ), S. 139-153

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[Thx Martin!]

Jeff Jarvis entwirft in einem IdeaStorm auf allen Ebenen und in allen politischen Bereichen, um laufend Vorschläge und Ideen der Bürgerinnen zu sammeln.

  • Persönliche politische Webseiten möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger, in denen die eigenen politischen Positionen, Wünsche und Vorschläge publiziert werden (so etwas wie Profile in einem politischen Social Network); ein politisches Gegenstück zum Konzept des Vendor Relationship Management, an dem Doc Searls und viele andere arbeiten.

  • Jarvis will die repräsentative Demokratie nicht aufheben, sondern ergänzen. Seine Vorschläge laufen auf eine Open Source-Politik hinaus, wobei wohl auch für Jeff Jarvis offen ist, wie sich Social Networking-Elemente schließlich politisch übersetzen lassen. Ein Motiv ist, politische Prozesse zu demokratisieren, die Mittel des Web zu verwenden, um die Politik aus ihrer bürokratischen und mediokratischen Erstarrung zu lösen. Genauso wichtig ist die Hoffnung, dass die offene Kommunikation die Politik effizienter macht. Jarvis glaubt (und da schließe ich mich gerne an), dass mehr Beteiligung der Bürger bei der Lösung von Sachfragen dazu führen wird, dass die Suche nach kreativen Lösungen eine wesentlich größere Rolle spielen wird als heute. Er will die Einstellungen, mit denen Google groß geworden ist, politisch fruchtbar machen.

    Mit Sicherheit wird diese Position als naiv, idealistisch und technokratisch verdammt werden. Zu Unrecht, wie ich glaube: Naiv ist eher die Annahme, dass die heutigen Formen der professionalisierten Parteipolitik (statt des Gesuderes der Basis), des institutionalisierten Lobbyismus und der politischen Manipulation über Bild und Glotze (G. Schröder) der Realität einer Wissens- und Informationsgesellschaft und der Komplexität der Probleme gerecht werden können, vor denen die Politik heute schon auf der kommualen Ebene steht.

    Lesenswert sind übrigens auch die Kommentare zu Jarvis‘ Text. Merken werde ich mir einen Satz von Bob Wyman:

    Die wichigste Determinante für die Fähigkeit einer Gesellschaft, eine demokratische Regierungsform zu begründen und zu erhalten, ist die Verteilung und Wirksamkeit der Techniken, die verfügbar sind, um Informationen zu erzeugen und zu teilen.