In dem Kollegium, zu dem ich gehöre, gibt es keinen Konsens über Blogs und das Bloggen. Leider gibt es auch keinen Konsens darüber, wie und wie weit man Dissens publizieren kann/darf/soll, und es gibt auch keine Übereinstimmung darüber, wie Lehrende und Studiengang auf kritische Äußerungen in studentischen Blogs reagieren sollen. Ich vertrete selbst den Standpunkt, dass man über andere bis auf Ausnahmen nur publizieren darf, was diese auch selbst publizieren oder publizieren wollen, also kann ich mich hier mit solchen Äußerungen und Positionen nur schwer auseinandersetzen. Andererseits möchte ich nicht darauf verzichten, meinen Standpunkt zu vertreten, auch und gerade in Blogs. Nicht nur, aber auch, weil ich Studierende zum Bloggen anrege und das auch weiterhin tun werde.

Wenn Leute wie Michael Thurm und Jochen Hencke, die bei mir studieren, Posts (1, 2) zu unserem Studiengang publizieren, in denen es unter anderem um das Bloggen und die Grenzen des Bloggens geht, kann ich als Lehrender, der dieses Thema im Unterricht behandelt, nicht dazu schweigen — sonst steht, was ich praktiziere, in Widerspruch zu dem, was ich lehre. Einfacher ausgedrückt: Als akademischer Lehrender für Web Publishing halte ich mich nicht nur für berechtigt, sondern für verpflichtet, zu Blogposts von Studierenden Stellung zu nehmen, in denen es um das Publizieren von Blogposts über unseren Studiengang geht.

Ich werde mich an folgenden Grundsätzen orientieren:

  1. Kritik am Verhalten von Personen gehört nicht in ein öffentliches Weblog, es sei denn, das Verhalten ist Teil ihrer öffentlichen Tätigkeit.

  2. Öffentlich gemachte Aussagen können öffentlich zitiert, diskutiert und verlinkt werden. Wenn ich in meinem Blog auf eine Aussage z.B. in einem Studenten-Blog verweise, nehme ich Stellung zu dieser Aussage und nicht zu kompletten Posts und ihren Kommentaren.

  3. Kritik an einem Studiengang ist öffentlich möglich. Tatsächlich agieren wir durch Uni-Rankings, Diskussionen in Social Networks und Blogs ohnehin mehr oder weniger öffentlich. Als Lehrende müssen wir die Studierenden auch (nicht nur) wie Kunden behandeln; wir können Kunden nicht verbieten, im Web über unsere Leistungen zu sprechen.

  4. An unserem Studiengang, der sich mit Kommunikation und Webkommunikation beschäftigt, wäre es absurd, Kritik in Weblogs oder irgendwelchen anderen Online-Foren zu unterbinden.

  5. Posts und Kommentare können nur ernst genommen werden, wenn sie namentlich gezeichnet sind. Wer anonym schreibt, entzieht sich der Konversation und dem Dialog, die er zu führen vorgibt.

Zum Anlass der Einträge Michael Thurms und Jochen Henckes: Eine Person innerhalb unseres Kollegiums hat intern wegen einer Äußerung in einem Kommentar des Blogs von Michael Thurm mit juristischen Maßnahmen gedroht. Nach einer Rüchfrage hatte ich den Eindruck, dass diese Drohung ernst gemeint war, und habe Michael informiert, um ihm die Möglichkeit zu geben rechtzeitig zu reagieren. Wie Michael in seinem Blog schreibt, ist inzwischen klar, dass es keine Klage befürchten muss. Aber allein die Möglichkeit rechtlicher Schritte durch einen Lehrenden hat bei bloggenden Studierenden erhebliche Unruhe ausgelöst. Von Anfang an war allerdings klar, dass hier nicht das Kollegium oder der Studiengang über Maßnahmen nachgedacht hat.

Ich bin kein Jurist, und ich lehne es auch ab, Auseinandersetzungen wie diese vor allem auf einer juristischen Ebene zu führen. Die Formulierung, um die es ging, ist verletzend (auch für mich) und lässt sich tatsächlich als Beleidigung verstehen. Allerdings dürfte die Betroffenheit begrenzt gewesen sein, denn keiner meiner Kollegen hat in den drei Monaten, die seit diesem Kommentar vergangen sind, den Betreiber des Weblogs um eine Korrektur, eine Stellungnahme oder eine Löschung gebeten. Im Grunde handelt es sich um eine Formulierung, die man am besten ignoriert — zumal sie anonym gepostet wurde. Schade ist, dass der Eintrag, zu dem sie gehört, nach wie vor weder in Blogs noch in einem anderen Forum des Studiengangs angemessen diskutiert wurde, er hätte es verdient.

Im Grunde ist diese ganze Auseinandersetzung oder Nicht-Auseinandersetzung ein Zeichen für Dialogunfähigkeit. Ich kann an meine Kollegen nur appellieren — und ich weiss, dass ich damit einen Dissens öffentlich austrage: Nutzt Kommunikationsmittel wie Weblogs, kommentiert in ihnen oder schreibt selbst welche! Es ist eine Illusion zu glauben, sie würden wieder verschwinden. (Es ist auch eine Illusion zu glauben, der Hochschulunterricht werde sich durch die Online-Medien nicht radikal verändern.) Gerade unser Studiengang wird immer mehr daran gemessen werden, wie transparent er ist.

Von den Studierenden erwarte ich, dass sie zwischen der allgemeinen, sachlich-methodischen Ebene, die öffentlich diskutiert werden muss („Wie soll bei uns unterrichtet/gelernt werden?“), und der Kritik am Verhalten von Personen unterscheiden. Die Kritik an persönlichem Verhalten gehört nicht in die Öffentlichkeit des Webs, wenn nicht alle Beteiligten zustimmen. Sie gehört allerdings in die Öffentlichkeit des Studiengangs, wenn dieses Verhalten sich auf den ganzen Studiengang auswirkt.

Einige meiner Kollegen werfen Studierenden, die Kritik in Blogs äußern, vor, dass sie die Kritik nicht persönlich vorbringen. Ich glaube, dass dahinter ein grundsätzliches Missverständnis von Blogs und sozialen Medien steht: Sie sind nicht ein Ersatz für persönliche Kommunikation, sondern eine Erweiterung. Sie ermöglichen andere, z.B. mehrstimmigere und ausgedehntere Dialoge, als sie in der face-to-face-Kommunikation möglich sind. Öffentlichkeit ist dabei weniger ein Ziel als ein Mittel, um etwa noch mehr Teilnehmer zu gewinnen (allerdings ein Mittel, dessen Konsequenzen berücksichtigt werden muss; Blogs sind eben nicht nur privat). Zu verlangen, man solle auf sie verzichten und stattdessen mündlich kommunizieren, ist letztlich eine Forderung nach Einschränkung der Kommunikation und hat für mich — da Blogs eine schriftliche Kommunkikationsform sind — auch etwas von der barbarischen Abwehr der indirekten, schwierigen oder mittelbaren schriftlichen Kommunikation (womit ich die Kritiker des Bloggens nicht zu Barbaren erklären will!).