Ich möchte auf Paul Adams hinweisen, auf dessen Namen ich immer wieder in Posts zu Google+ gestoßen bin. Adams wird gelegentlich als der Kopf hinter Googles neuem sozialen Netzwerk bezeichnet, wogegen er sich selbst allerdings wehrt.

Vor einiger Zeit wurde eine Präsentation von Adams bekannt. Viele verstanden sie als Hinweis auf Googles Strategie für ein neuen Anlauf gegen Facebook: The Real Life Social Network—bridging the gap between our online and our offline social network. Adams stellt darin dar, dass Menschen nicht in einem, sondern in vielen sozialen Netzwerken leben, und dass die Beziehungen zu den Menschen in diesen Netzwerken nach starken, schwachen und zeitweisen Bindungen gestaffelt sind. Danach verbinden uns strong ties mit etwa 10, weak ties mit höchstens 150, und nur temporary ties mit weiteren Menschen . Beeinflusst werden wir nicht von den Influencern der Marketing-Strategen, sondern von den Menschen, zu denen wir starke Bindungen unterhalten.

Eine geraffte Version seiner wichtigsten Aussagen aus der Marketing-Perspektive hat Adams selbst veröffentlicht:

Einige der Thesen auf Deutsch:

Das Web wird um Menschen herum neugebaut.

Du musst verstehen, was Menschen motiviert so zu handeln, wie sie handeln!

Menschen leben in Netzwerken.

Menschen gehören zu vielfältigen, unterschiedlichen Gruppen.

Die unabhängigen Gruppen werden von Individuen verbunden.

Netzwerke bestimmen, wie Menschen sich wechselseitig beeinflussen.

Beeinflusser wecken unsere Aufmerksamkeit, starke Bindungen bestimmen unsere Entscheidungen.

Komplexität liegt im Mittelpunkt des Marketing-Trichters.

Adams stützt sich auf eine kleine Bibliothek sozialwissenschaftlicher Literatur, die er in diesem Blogpost aufführt.

Adams, der sich selbst als Designer versteht, arbeitet inzwischen bei Facebook. Warum er den Arbeitgeber gewechselt hat und wie es um die Publikation seines Buchs Social Circles steht, erklärt er in seinem Blog: Why I left Google. What happened to my book. What I work on at Facebook.

Ob Adams nun das Mastermind hinter Google+ ist oder nicht: Seine Konzepte begründen, warum sich Googles Architektur sozialer Netze vom einheitlichen Social Network Facebook unterscheidet. Google+ liegt ein Modell unterschiedlicher und oft asymmetrischer sozialer Beziehungen zugrunde, Facebook das Modell eines einheitlichen Social Graph, der sich allerdings durch die Privacy-Einstellungen der Benutzer und durch Seiten, die man liken kann, ebenfalls unterteilen lässt. Das Hilfskonstrukt der Seiten für Personen zeigt allerdings, dass Facebook mit seinem monolithischen Konzept an eine Grenze gekommen ist, an der es an sich selbst zu ersticken droht. Die Personenseiten sind Facebooks Variante des asymmetrischen Folgens, und sie zwingen die Benutzer zu einer Doppelexistenz.

Auch in Bezug auf Google+ und die Theorie, die Adams dazu liefert, stellt sich aber die Frage, ob Social Networks oder Soziale Graphen etwas sind, das in der Wirklichkeit existiert, bevor Werkzeuge zur Vernetzung zur Verfügung stehen. Facebook oder Google+ bilden ja nicht nur Beziehungen ab, sondern sie erzeugen oder verändern Beziehungen, und darin liegt ihre soziale Sprengkraft. Eine grundsätzliche Kritik an der Möglichkeit, soziale Beziehungen digital zu organisieren, wie sie Kevin Cheng formuliert hat, verfehlt möglicherweise, dass es keine „natürlichen“, vortechnischen oder vormedialen sozialen Beziehungen gibt.

Noch eine Schlussbemerkung:

Adams arbeitet im Grenzbereich von Soziologie, Marketing und Webdesign. Berry Wellman, ein Nestor der soziologischen Erforschung sozialer Netzwerke, hat über Google+ gewittert:

.@bkeegan Google+ also reflects what I’ve been writing for 35+ years about clusters & bridges. Granovetter too.less than a minute ago via web Favorite Retweet Reply

Damon Horowitz, der bei Google als in house philosopher beschäftigt, hat die Programmierer gerade aufgefordert, in den Humanwissenschaften zu promovieren. Und auch ein Designer wie Matt Webb (danke an Martin Lindner für den Hinweis!) stützt sich auf humanwissenschaftliche Erkenntnisse, wenn er die Bewegung zur Metapher der dritten Phase des Webs erklärt.

Das Gebiet, das Leute wie Adams, Wellman, Horowitz und Webb erforschen, muss man auf seinem Radar haben, wenn man die aktuellen Entwicklungen im Web verstehen will: die fast unerschlossene Zone, in der die Gesellschaft heute am plastischsten ist.

Ein Kommentar zu “Paul Adams und die Ideen hinter Google+

  1. Ich glaube, der Grund, warum Twitter so ein Erfolg ist, ist weil es nahezu eine 1zu1 Umsetzung der von Granovetter 1973 beschriebenen Stärke von weak ties ist. Interessanterweise ist es für die Stärke von weak ties unabdingbar, dass sie weak bleiben – ein zu enges Kennenlernen würde zu strong ties und damit zu einer für den Wert der Informationen ungesunden Homogenität führen… Twitter erfüllt das besser als soziale Netzwerke…
    -Niederfuchs
    PS Heinz antworte doch auch einfach mal, wenn man Dich nach Ewigkeiten mal auf Skype anschreibt…

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