Ich kommentiere hier einen Artikel in der Kleinen Zeitung, dem meinungsbildenden Print-Organ in der Steiermark: Vollath will sich von FH-Rektor trennen. Es ist mir nicht gelungen, ihn auf der Site der „Kleinen“ zu kommentieren: Die Regelung des Logins kommt mir ähnlich wirr vor wie die Berichterstattung in dieser Sache.

[…]

Der Text ist ist unverständlich, kein Leser kann begreifen, um was es geht. Tatsache ist: Die Bildungslandesrätin der Steiermark will sich vom Rektor der FH Joanneum trennen. Dafür gibt es, so weit ich es als Lehrender an der FH und als Mitglied des Kollegiums weiß, verschiedene Gründe. Sie hängen mit der Amtsführung des Rektors zusammen, und mit seiner Loyalität zur „politischen Führung“.

Die Öffentlichkeit wird zur Zeit von allen interessierten Seiten manipulativ informiert. Die Kleine Zeitung macht sich zum Instrument. Sie hat gestern Indiskretionen aus dem Aufsichtsrat der FH kolportiert, die offenbar die Position des Rektors bei den Verhandlungen über eine Vertragsaufösung schwächen sollen. Sie bringt heute ein Interview mit dem Rektor, das PR-Zwecken dient, und politische Stellungnahmen (Fluch, Lechner-Sonneck), die parteipolitisch motiviert sind.

Die FH braucht dringend einen Neuanfang. Ihr guter Ruf ist nicht von den Mitarbeitern, den Lehrenden und Studierenden gefährdet worden, sondern von Provinzpossen in der politischen und administrativen Führung. Das Wichtigste für die FH ist jetzt Unabhängigkeit von politischen Einflussnahmen und eine offene (und öffentliche) Diskussion der Zukunft. Sie kann — das ist meine persönliche Meinung — mit dem jetzigen Rektor nicht gelingen; er hat keinerlei Initiative zur Weiterentwicklung der Hochschule gezeigt. Sie wird auch nicht gelingen, wenn die FH weiter politisiert geführt wird. Die FH muss ihre Position im Wettbewerb europäischer Bildungseinrichtungen behaupten, nicht in steirischen Landtagswahlkämpfen.

Als Mitarbeiter der FH appelliere ich an alle Verantwortlichen und vor allem an die Öffentlichkeit — denn die Hochschule wird vom Steuerzahler finanziert: Stellen Sie sicher, dass sich die FH an akademischen Kriterien orientiert und machen Sie sie nicht noch länger zum Spielball politischer und persönlicher Interessen. Die Studierenden, die Lehrenden und die Steuerzahler haben Besseres verdient!

(Anmerkung, 13.4.2010: An der durch Auslassungszeichen gekennzeichneten Stelle habe ich einen Link auf die PDF-Version des Artikels in der Kleinen entfernt.)

Ich möchte in diesem Post den Blogger Louis Gray vorstellen. Einerseits, um — vor allem meine Studenten — auf ihn hinzuweisen, andererseits mit der Frage, was diesen Blogger, den vor einem Jahr fast noch niemand kannte, so erfolgreich macht. Und da ich mit mich mit Louis Gray auch beschäftige, um meinen Unterricht vorzubereiten, gehe ich manchmal ins Detail: Ich schreibe langatmiger, als mein Gegenstand ist — aber das ist vielleicht das Schicksal des Lehrenden.

Louis Gray hat es in einem Jahr an die Spitze der amerikanischen Tech-Blogger geschafft. Mark Evans stellt ihn so vor:

These days, one of the hottest one-man shows on the tech blogging scene is Louis Gray, who has literally come out of nowhere in the past few month. Now, Gray is literally everywhere – breaking stories, providing in-depth coverage of new startups such as FriendFeed, and cementing himself within the Techmeme 100 [Who’s Louis Gray? | Mark Evans].

Scouting

Gray lebt im Silicon Valley und schreibt meist über das Web 2.0. Über wichtige Social Media-Dienste hat er als einer der ersten gebloggt. Er arbeitet als Scout und entdeckt Themen, die in der Luft liegen:

I like writing about topics that haven’t already been trodden over a dozen times by other bloggers. While it’s clear I have a serious focus on next-generation RSS readers, link sharing and aggregation, and lifestreaming, I still like talking up Apple, Google, TiVo, or sports. [Who’s Louis Gray? | Mark Evans]

Einen Teil seiner Bekanntheit verdankte er sicher diesen Themen. Aber seine Beliebtheit geht vor allem darauf zurück, wie er sie behandelt.

Der Verbraucher bestimmt die Agenda

Auf dem Gebiet der Technik haben sich in den USA in den letzten Jahren professionelle Blogs durchgesetzt. Das bekannteste ist wohl Arringtons TechCrunch. Vor diesem Hintergrund von Technik-Blogs, die klassischer journalistischer Berichterstattung vielleicht manchmal überlegen sind, aber sich oft nur wenig von ihr unterscheiden, erstaunt es viele besonders, dass eine Person wie Gray so großen Erfolg hat. Aber Grays Erfolg ist eben genau darauf zurückzuführen, dass er wie ein Amateur schreibt, oder besser: dass er nicht den Blickwinkel der Anbieter und Entwickler übernimmt. Er schreibt, könnte man sagen, als ein gebildeter Verbraucher:

I’m one of those odd people with a liberal arts degree who is completely enamored with technology, but can’t code much more than HTML and simple JavaScript, so I cling to all things technology from a consumer perspective. [Who’s Louis Gray? | Mark Evans]

Viele Leser teilen seine Perspektive, wenn auch nicht sein Insider-Knowhow. Gray bietet Service: Man erfährt viel über neue Produkte und ihren Nutzen. Nie überschreitet er das Maß, das für einen Verbraucher und User interessant ist. Er macht Erfahrungen als first user, benutzt neue Tools, spielt mit ihnen und berichtet davon.

Übrigens wird der bloggende Consumer von der Industrie, über die er berichtet, sehr ernst genommen: Interessante Startups im Silicon Valley haben ihn eingeladen, sich an weiteren Entwicklungen zu beteiligen:

Now, I have the ability to make change at some of the most innovative companies, through conversations, where I couldn’t before. Also, I’ve been able to help expose and promote new services that have come to market but aren’t well known, especially in the RSS and lifestreaming arena. [Who’s Louis Gray? | Mark Evans]

Gray reflektiert über diese Rolle und er versteht sie als beispielhaft für neue Formen des Dialogs zwischen Firmen und Kunden. Unter dem Gesichtspunkt des Vendor Relationship Management ist es nicht unwichtig, dass die Diskussion über die Produkte beim Verbraucher stattfindet und nicht auf irgendwelchen Firmen-Sites.

Schreiben als darstellende Kunst

Gray ist ein geschulter professioneller Schreiber. Er bloggt nicht über seinem Beruf, aber er beschäftigt sich wohl auch in seinem day job mit Kommunikation. Unter dem Gesichtspunkt: Was kann man bei ihm für das Schreiben lernen? möchte ich nicht auf einzelne Techniken eingehen, die kann man sich auch bei anderen Autoren abschauen. Was man bei Gray lernen kann, ist die konsequente Selbstinszenierung, die Inszenierung des Schreibenden oder besser: des Beschreibenden, den die Leser beim Beschreiben und bei den Erfahrungen, über die er schreibt, beobachten. Fast kein Post ist nicht situierbar, bezieht sich nicht auf eine datierte und lokalisierte persönliche Erfahrung — und Ort und Zeit dürften jeden faszinieren, der sich für Grays Themen interessiert:

That I get to enjoy the sheer geekery of the Valley at the same time is a major plus as well. [louisgray.com: iPhones Aplenty in Silicon Valley Geek Mecca]

Gray ist kein monothematischer (auf ein Thema beschränkter) Blogger. Er schreibt auch über Sport, über Filme und über seine Familie. In einem seiner Posts denkt er über das Bloggen nach und sagt: Dein Blog ist deine Marke! Durch kein Profil in einem sozialen Netzwerk kann man so viel über sich offenbaren, kann man sein Bild in der Öffentlichkeit so gut gestalten wie durch ein Blog:

it seems to me the clearest, newest definition of a blog is that it is your personal brand. Whether you have tens of visitors or tens of thousands, whether you have dozens of comments or none at all, the content on your blog, in total, represents you, and if done well, can define you, to those who know you well, or those who do not [louisgray.com: New Reality: Your Blog Is Your Brand].

In jedem Post spielt die Person Louis Gray mit, die der Leser kennengelernt hat und gerne begleitet. Es gelingt ihm, salopp gesagt, rüber zu kommen. Wer ihn liest, interessiert sich für den sehr lebendigen Menschen Louis Gray, der genau den sympathischen Geek verkörpert, den viele seiner Leser selbst gern darstellen möchten.

Howard Rheingold spricht vom Schreiben als darstellender kunst. Vermutlich ist jeder erfolgreiche Blogger ein guter Performer, der das Blog als Bühne benutzt. Aber wenige beherrschen diese Kunst so gut wie Louis Gray.

Ich bin immer noch mit einer Bronchitis zuhause. Kaum geht es mir besser, werde ich morgens um 6 Uhr wach. Mir geht durch den Kopf was ich alles tun könnte oder sollte. Ich versuche wieder einzuschlafen, und ich sage mir auf, was ich mir wenigstens für das kommende Semester vorgenommen habe:

  • Auf das Schreiben und das Vermitteln von Tools konzentrieren, und auf ein wenig Soziologie;

  • So viel wie möglich von der laufenden Arbeit mitteilen/veröffentlichen, am besten alles;

  • Organisationsjobs Leuten überlassen, die da besser sind;

  • So entspannt wie möglich arbeiten (und nicht zu lange).

Hoffe, dass ich mich daran halte!

In dem Kollegium, zu dem ich gehöre, gibt es keinen Konsens über Blogs und das Bloggen. Leider gibt es auch keinen Konsens darüber, wie und wie weit man Dissens publizieren kann/darf/soll, und es gibt auch keine Übereinstimmung darüber, wie Lehrende und Studiengang auf kritische Äußerungen in studentischen Blogs reagieren sollen. Ich vertrete selbst den Standpunkt, dass man über andere bis auf Ausnahmen nur publizieren darf, was diese auch selbst publizieren oder publizieren wollen, also kann ich mich hier mit solchen Äußerungen und Positionen nur schwer auseinandersetzen. Andererseits möchte ich nicht darauf verzichten, meinen Standpunkt zu vertreten, auch und gerade in Blogs. Nicht nur, aber auch, weil ich Studierende zum Bloggen anrege und das auch weiterhin tun werde.

Wenn Leute wie Michael Thurm und Jochen Hencke, die bei mir studieren, Posts (1, 2) zu unserem Studiengang publizieren, in denen es unter anderem um das Bloggen und die Grenzen des Bloggens geht, kann ich als Lehrender, der dieses Thema im Unterricht behandelt, nicht dazu schweigen — sonst steht, was ich praktiziere, in Widerspruch zu dem, was ich lehre. Einfacher ausgedrückt: Als akademischer Lehrender für Web Publishing halte ich mich nicht nur für berechtigt, sondern für verpflichtet, zu Blogposts von Studierenden Stellung zu nehmen, in denen es um das Publizieren von Blogposts über unseren Studiengang geht.

Ich werde mich an folgenden Grundsätzen orientieren:

  1. Kritik am Verhalten von Personen gehört nicht in ein öffentliches Weblog, es sei denn, das Verhalten ist Teil ihrer öffentlichen Tätigkeit.

  2. Öffentlich gemachte Aussagen können öffentlich zitiert, diskutiert und verlinkt werden. Wenn ich in meinem Blog auf eine Aussage z.B. in einem Studenten-Blog verweise, nehme ich Stellung zu dieser Aussage und nicht zu kompletten Posts und ihren Kommentaren.

  3. Kritik an einem Studiengang ist öffentlich möglich. Tatsächlich agieren wir durch Uni-Rankings, Diskussionen in Social Networks und Blogs ohnehin mehr oder weniger öffentlich. Als Lehrende müssen wir die Studierenden auch (nicht nur) wie Kunden behandeln; wir können Kunden nicht verbieten, im Web über unsere Leistungen zu sprechen.

  4. An unserem Studiengang, der sich mit Kommunikation und Webkommunikation beschäftigt, wäre es absurd, Kritik in Weblogs oder irgendwelchen anderen Online-Foren zu unterbinden.

  5. Posts und Kommentare können nur ernst genommen werden, wenn sie namentlich gezeichnet sind. Wer anonym schreibt, entzieht sich der Konversation und dem Dialog, die er zu führen vorgibt.

Zum Anlass der Einträge Michael Thurms und Jochen Henckes: Eine Person innerhalb unseres Kollegiums hat intern wegen einer Äußerung in einem Kommentar des Blogs von Michael Thurm mit juristischen Maßnahmen gedroht. Nach einer Rüchfrage hatte ich den Eindruck, dass diese Drohung ernst gemeint war, und habe Michael informiert, um ihm die Möglichkeit zu geben rechtzeitig zu reagieren. Wie Michael in seinem Blog schreibt, ist inzwischen klar, dass es keine Klage befürchten muss. Aber allein die Möglichkeit rechtlicher Schritte durch einen Lehrenden hat bei bloggenden Studierenden erhebliche Unruhe ausgelöst. Von Anfang an war allerdings klar, dass hier nicht das Kollegium oder der Studiengang über Maßnahmen nachgedacht hat.

Ich bin kein Jurist, und ich lehne es auch ab, Auseinandersetzungen wie diese vor allem auf einer juristischen Ebene zu führen. Die Formulierung, um die es ging, ist verletzend (auch für mich) und lässt sich tatsächlich als Beleidigung verstehen. Allerdings dürfte die Betroffenheit begrenzt gewesen sein, denn keiner meiner Kollegen hat in den drei Monaten, die seit diesem Kommentar vergangen sind, den Betreiber des Weblogs um eine Korrektur, eine Stellungnahme oder eine Löschung gebeten. Im Grunde handelt es sich um eine Formulierung, die man am besten ignoriert — zumal sie anonym gepostet wurde. Schade ist, dass der Eintrag, zu dem sie gehört, nach wie vor weder in Blogs noch in einem anderen Forum des Studiengangs angemessen diskutiert wurde, er hätte es verdient.

Im Grunde ist diese ganze Auseinandersetzung oder Nicht-Auseinandersetzung ein Zeichen für Dialogunfähigkeit. Ich kann an meine Kollegen nur appellieren — und ich weiss, dass ich damit einen Dissens öffentlich austrage: Nutzt Kommunikationsmittel wie Weblogs, kommentiert in ihnen oder schreibt selbst welche! Es ist eine Illusion zu glauben, sie würden wieder verschwinden. (Es ist auch eine Illusion zu glauben, der Hochschulunterricht werde sich durch die Online-Medien nicht radikal verändern.) Gerade unser Studiengang wird immer mehr daran gemessen werden, wie transparent er ist.

Von den Studierenden erwarte ich, dass sie zwischen der allgemeinen, sachlich-methodischen Ebene, die öffentlich diskutiert werden muss („Wie soll bei uns unterrichtet/gelernt werden?“), und der Kritik am Verhalten von Personen unterscheiden. Die Kritik an persönlichem Verhalten gehört nicht in die Öffentlichkeit des Webs, wenn nicht alle Beteiligten zustimmen. Sie gehört allerdings in die Öffentlichkeit des Studiengangs, wenn dieses Verhalten sich auf den ganzen Studiengang auswirkt.

Einige meiner Kollegen werfen Studierenden, die Kritik in Blogs äußern, vor, dass sie die Kritik nicht persönlich vorbringen. Ich glaube, dass dahinter ein grundsätzliches Missverständnis von Blogs und sozialen Medien steht: Sie sind nicht ein Ersatz für persönliche Kommunikation, sondern eine Erweiterung. Sie ermöglichen andere, z.B. mehrstimmigere und ausgedehntere Dialoge, als sie in der face-to-face-Kommunikation möglich sind. Öffentlichkeit ist dabei weniger ein Ziel als ein Mittel, um etwa noch mehr Teilnehmer zu gewinnen (allerdings ein Mittel, dessen Konsequenzen berücksichtigt werden muss; Blogs sind eben nicht nur privat). Zu verlangen, man solle auf sie verzichten und stattdessen mündlich kommunizieren, ist letztlich eine Forderung nach Einschränkung der Kommunikation und hat für mich — da Blogs eine schriftliche Kommunkikationsform sind — auch etwas von der barbarischen Abwehr der indirekten, schwierigen oder mittelbaren schriftlichen Kommunikation (womit ich die Kritiker des Bloggens nicht zu Barbaren erklären will!).

Gestern abend habe ich am Wahlkampf-Auftakt der ÖVP teilgenommen. Er bot Willi Molterer die Bühne für eine große Motivationsrede an seine Partei. Die Veranstaltung fand in Helmut-List-Halle in Graz statt. (Berichte: Walter Müller im Standard, Klaus Höfler in der Presse, Claus Albertani in der Kleinen Zeitung; gebloggt hat außer mir nur Lukas Mandl, der das aber als ÖVPler tat und übrigens leider die URLs seiner Posts im RSS-Feed versteckt.) Mich hatte Alexandra Nussbaumer von der ÖVP eingeladen und diese Einladung nachmittags noch mal am Handy wiederholt.

Die ÖVP hat mich als Blogger eingeladen, und als jemand, der nicht zu Ihrer Partei gehört. Dabei ist es den zuständigen Leuten in der ÖVP sicher vor allem wichtig, dass die Szene, zu der sie mich zählt, überhaupt präsent ist. Wenn man an einer solchen Veranstaltung teilnimmt, ist man also auch Teil des Marketing oder der PR der Partei (wobei ich da meine Bedeutung nicht überschätze). Ich glaube, dass andere unabhängige Blogger nicht gekommen sind, weil sie sich nicht funktionalisieren lassen wollten, vielleicht auch, weil ihnen nicht klar ist, was sie bei einer solchen Großveranstaltung überhaupt sollen. Ich habe — nach einigem Zögern — teilgenommen, einerseits, weil mich die ÖVP nach der Teilnahme an mehreren ihrer Großveranstaltungen zunehmend interessiert und langsam zu einem meiner Themen wird, zum anderen weil ich gerne mit Leuten wie Michi Mojzis und Alexandra Nussbaumer Kontakt halten möchte, um mit ihnen über politische Kommunikation sprechen. Ich will auch nicht verhehlen, dass mir im Augenblick ein Kanzler Molterer bei weitem sympathischer wäre als ein Regierungschef im Auftrag einer Boulevardzeitung, die durch Ausländerfeindschaft, antisemitische Töne und eine gnadenlos dumpfe Anti-EU-Kampagne hervorgetreten ist.

Der Grazer Bürgermeister Nagl leitete kurz ein. Die bemerkenswerteste Aussage Nagls war, dass man Graz als Veranstaltungsort gewählt habe, weil hier eine besonders interessante politische Konstellation gelungen sei — die schwarz-grüne Koalition, die aber nicht ausdrücklich genannt wurde. Es folgte betulich der steirische ÖVP-Chef Schützenhöfer. Molterer präsentierte sich viel entschlossener und aggressiver, als ich ihn bei anderen Veranstaltungen erlebt habe; zum ersten Mal gelang ihm die Selbstinszenierung. Er konnte die versammelten ÖVP-Anhänger begeistern. Zu Beginn der Veranstaltung hatte ich — etwas betäubt durch das wilde Klatschen und die laute Musik und verwirrt von der Unmenge rot-weiß-roter Schals — den Eindruck, dass die ÖVPler angesichts schlechter Umfrageergebnisse laut gemeinsam im Wald pfiffen. Nach Molterers Rede hielten es offenbar die meisten für möglich, die Wahl tatsächlich für sich zu entscheiden.

Die wichtigsten Adressaten der Rede waren die Funktionäre. Wähler außerhalb der traditionellen Klientel stehen jetzt nicht im Fokus. Nicht nur, weil Parteien im Wahlkampf vor allem die eigene Wählerschaft mobilisieren müssen. Die aktuellen Umfragen zwingen zum Kampf um die Stammwähler, denn die ÖVP liegt weit hinter den Ergebnissen, die sie früher erreicht hat.

Andere Parteien wurden nur als Gegner erwähnt. Es fiel kein Satz über mögliche Koalitionen — außer Nagls Anspielung auf die schwarz-grüne Zusammenarbeit in Graz. Wenig verwunderlich ist, dass es der ÖVP vor allem darauf ankommt, nicht von der Macht verdrängt zu werden — Molterers Es geht um alles! war die Kernbotschaft. Programmatische Aussagen spielen im Augenblick allenfalls eine sekundäre Rolle. Betont wurden traditionelle Werte. Den beinahe lautesten Applaus bekam Molterer, als er die Bedeutung der Familie herausstrich.

Die ÖVP-Führung sucht den Schulterschluss mit der Basis und den Anschluss an ihr klassisches Wählerpotenzial; sie will sich nicht durch eine Vision profilieren. Eher aus Nebensätzen und Nebentönen lässt sich erkennen, wie wichtig die Wirtschaftspolitik für Molterer ist, und dass für ihn ein ausgeglichener Haushalt ein Hauptziel bleibt. Wenn ich mich richtig erinnere, wurde die Inflation, die immer wieder zu einem Hauptthema im Wahlkampf erklärt wird, nicht mit einem Satz erwähnt.

Molterer hat betont, dass es für die ÖVP entscheidend ist, die bürgerlichen Wählerschichten zu erreichen. Mir kam die Partei auch dieses Mal viel eher ländlich, kleinbürgerlich, und vor allem katholisch geprägt als bürgerlich vor. Molterer trifft die Stimmung der traditionellen Mitte der Partei — vermutlich besser als sein Vorgänger, dem man den Vertreter des kleinen Mannes nicht so recht abnehmen konnte. Dass es auf Dauer für die ÖVP reicht, sich politisch so sehr auf ihre traditionelle Klientel zu konzentrieren, halte ich für fraglich. Die ÖVP muss Bündnisse mit anderen Gruppen oder Milieus schließen, die in Großveranstaltungen wie der gestern keine Rolle spielen.

Als jemand, der sich für Dialogmedien und neue Formen der Kommunikation interessiert, komme ich mir bei einer solchen Veranstaltung nach wie vor als Fremdkörper vor. Sie repräsentiert das, was lange für Politik gehalten wurde — und wenn zwei Wörter nicht dazu geeignet sind, dieses Verständnis von Politik zu beschreiben, dann sind es Dialog und Konversation. Eine Wahlkampfauftakt-Veranstaltung wie gestern dient der Mobilisierung von oben und nicht dazu, auf die unten, auf die vielen, zu hören. Die ÖVP würde sich nicht um kleine Gruppen wie die Blogger bemühen, wenn sie nicht selbst erkannt hätte, daß diese Form der Mobilisierung heute nicht mehr reicht, um Mehrheiten zu finden. In ihrem Wahlkampf riskiert sie neuen Methoden der politischen Organisation aber wohl noch nicht.

Gestern abend habe ich mich an einen guten Vorsatz aus dem Urlaub gehalten und nach dem Abendessen keinen Wein getrunken. Stattdessen habe ich mir im Fernsehen die Debatte zwischen Alexander Van der Bellen und Jörg Haider angesehen. Ich muss zugeben: Es ist mehr nicht ganz leicht gefallen, nüchtern zu bleiben, so öde war diese Diskussion, so langweilig diese Pflichtveranstaltung im Wahlkampf.

Nachher habe ich mich vor allem gefragt: Wer berät eigentlich den Vorsitzenden der Grünen? Van der Bellen vermittelt in allem den Eindruck, dass er nicht nur nicht mit seinem Gegenüber sprechen möchte — in diesem Fall verständlich — sondern dass er auch nicht beabsichtigt, auch nur irgendwie durch persönliche Attraktivität, durch wenigstens einen Funken von Verführungsfähigkeit Wähler zu überzeugen. Er spricht, wenn er sich nicht amtsgmäß bemüht, polemisch zu werden, unpersönlich, abstrakt, im Namen von objektiven Tatsachen: als Stimme der Wahrheit. Manchmal hat er mich an den Bundespräsidenten Fischer erinnert, zu dessen Amt es allerdings gehört, nicht als Vertreter einer Partei, einer bestimmten politischen Position aufzutreten.

Damit hat er für Haider den Raum geöffnet, den dieser dann in der von ihm gewohnten rücksichtslosen polemischen Art genutzt hat. Haider achtet sehr genau auf die Sprache, die er benutzt. Er personalisiert, drückt sich gerne dialektal aus, spricht bezogen auf ein Gegenüber, verwendet die Sprache immer wie eine plastische Masse. Er kann damit die Aufmerksamkeit der Zuschauer oder Zuhörer auf sich lenken, während Van der Bellen darum kämpfen muss, Interesse für wichtige, aber bekannte und häufig auch eher langweilige Aussagen zu erhalten.

Man kann den Vorsitzenden der Grünen damit entschuldigen daß er sich als sachlichen Gegenpol zu einem Populisten wie Haider präsentieren muß. Nur: Er erreicht damit niemanden außer der grünen Stammklientel. Jüngere Leute, mögliche Wechselwähler, Leute aus wissensorientierten Berufen, die für neue Argumente und Argumentationsstile offen sind — sie alle werden so nicht angesprochen. Der Vorsitzende der Grünen wirkt mit dieser Sprache nur auf Leute, die er auch mit schriftlichen Statements überzeugen könnte.

Ich lebe noch nicht lange in Österreich, und ich kenne die Geschichte der österreichischen Grünen nur wenig. Ich habe den Verdacht, dass diese Partei viel zu sehr im eigenen Saft kocht, viel zu sehr von der Richtigkeit ihrer Positionen überzeugt ist, um sich genug Mühe zu geben, Außenstehende, nicht schon Überzeugte, zu gewinnen — und sich von ihnen gewinnen zu lassen. Auf Entwicklungen, die neuer sind als die Partei selbst, insbesondere auf die Prozesse im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien, auf die ganze Entwicklung hin zur Wissensgesellschaft, scheinen sich die Grünen auch nur sehr schwer einzustellen. Ein Christoph Chorherr kann mit seinen dialogorientierten Wahlkampfvorschlägen — oder sollte man besser sagen: Diskussionsmethoden? — die Kampagne der Grünen offenbar nur minimal beeinflussen.

Und wo fange ich nach vierzehn Tagen Blog-Pause wieder an zu schreiben? Am besten da, wo ich aufgehört hatte. Ich hatte in einem vielleicht zu grundsätzlichen Post überlegt, was ich eigentlich an der Fachhochschule unterrichte oder unterrichten sollte. Eine der Antworten auf dieses Post hat mir besonders gut gefallen: Gerrit Eicker sagt, es gehe darum den Studenten beizubringen, wie sie mit den Mitteln des Web in einen nachhaltigen Dialog mit der Öffentlichkeit und Stakeholdern eintreten.

In den Ferien habe ich viel darüber nachgedacht, worauf ich in meiner Arbeit in Zukunft die Schwerpunkte legen soll. Wenn ich von Gerrits Vorschlag ausgehe, kann ich vielleicht sagen, dass es mir um zwei Dinge geht:

  • Zum einen versuche ich, den Studenten eine Reihe von Tools, Techniken oder Instrumenten zu vermitteln;

  • zum anderen reflektiere ich diese Tools und versuche nach ihren gesellschaftlichen Konsequenzen, ihrem Kontext, ihren gesellschaftlichen Bedingungen zu fragen.

Die Instrumente, die ich versuche zu unterrichten, hängen alle mehr oder weniger mit digitalem Text zusammen. Ich könnte auch sagen: Ich unterrichte Schreiben oder Texten mit den Mitteln des Webs oder: Ich unterrichte wie man mit den Mitteln des Webs nachhaltige Konversationen — um auf Gerrits Formulierung zurückzukommen — in Gang bringt oder fortsetzt. Ich glaube, dass es den Studenten und mir selbst hilft, mich an der Vorstellung von Instrumenten oder Werkzeugen zu orientieren. Damit meine ich nicht in erster Linie Applikationen, die Verwendung einer bestimmten Software oder von bestimmten Formaten, sondern ich meine das Umgehen mit solchen Tools zu bestimmten kommunikativen Zwecken. Vielleicht könnte ich auch sagen: Es geht mir in erster Linie um rhetorische Instrumente. Aber: Diese Instrumente sind nie von der — im weitesten Sinne — Webtechnologie zu trennen. (Ich bin mir grundsätzlich nicht sicher, ob man überhaupt zwischen Sprache als etwas quasi Natürlichem und Technik als etwas Unnatürlichem, Hinzukommenden trennen kann.)

Der zweite Teil meiner Arbeit entspringt noch mehr als der erste meinen persönlichen Interessen; ich glaube aber, dass auch er für die Studenten wichtig ist. Ich gebe aber zu, daß es mir hier vor allem darum geht, selbst zu schreiben, beziehungsweise selbst klare Vorstellungen zu entwickeln. Dabei muß sich zugeben, dass ich nicht einmal genau sagen könnte, welche Funktionen die theoretische Reflexion in diesem Zusammenhang hat. Ich sehe die Gefahr, dass man zu globalen Aussagen über die technische oder sozialer Entwicklung kommt, die letztlich nur eigene Voreinstellungen wiedergeben und im Grunde beliebig austauschbar sind. Mir ist noch nicht klar — aber genau das möchte ich eben herausbringen — welche Rolle zum Beispiel soziologische oder auch den linguistische Theorien in diesem Zusammenhang spielen können.

Wie auch immer: Ich konzipiere meine Arbeit in den kommenden Semestern um diese beiden Themen oder Perspektiven herum. Ich werde zum einem versuchen die verschiedenen Instrumente, von den ich gesprochen habe, genauer zu beschreiben, Möglichkeiten zu Ihrer Evaluierung herauszufinden, Beispiele für ihren guten Gebrauch zusammenzustellen, und Methoden zu entdecken, sie mit den Studenten zu üben. Es ist klar, dass der Werkzeugkasten, mit dem wir hier arbeiten, offen bleibt, dass es immer möglich und notwendig ist, weitere Werkzeuge zu entwickeln. Zum andern werde ich versuchen, möglichst konkret und orientiert an Beispielen theoretisch zu reflektieren, was bei diesen Web-Konversationen eigentlich passiert, was dabei anders ist als bei anderen Formen der menschlichen Kommunikation, beziehungsweise wie sich überhaupt herausfinden lässt, oder wie sich überhaupt beschreiben lässt, was bei dieser Form von Kommunikation passiert. Soweit für heute — ich bin nicht sicher, ob sich diese Überlegungen in ihrer Vagheit nachvollziehen lassen.

Besser als Michael Sippey kann man kaum sagen, was Social Media Literacy ist:

In short, "media literacy" was focused on creating smarter media consumers; understanding how media’s produced and distributed, the biases behind it, etc. (See also deconstructionism, etc.) "Social media literacy," on the other hand, needs to be focused on creating smarter media producers, who understand the ramifications of a hyper-connected zero-cost-of-distribution world. [this is sippey.typepad.com: jason fortuny and social media literacy]

Eine Kollegin hat mir vor einiger Zeit Watzlawicks Anleitung zum Unglücklichsein geliehen; gestern habe ich das Buch zum ersten Mal zuende gelesen. Man kann es kaum referieren. Fast jeder hat außerdem bereits gelesen, wie Watzlawick die Paradoxien der Kommunikation beschreibt. Aber man kann sich fragen, wo man selbst dafür sorgt, unglücklich zu bleiben — getreu der Devise des Polonius im Hamlet, die Watzlawick zu Beginn zitiert:

Dir selbst sei treu!

Als Web-User kann man auf Arten und Weisen unglücklich sein, die einem mit anderen Kommunikationsmitteln nicht gelingen oder nicht gelungen sind. Der eigene Anteil ist allerdings nicht leicht zu erkennen, denn man trägt am wirkungsvollsten zu seinem Unglück bei, wenn man tut, was man tut, weil die Wirklichkeit so ist, wie sie ist.

Ich habe zum Beispiel selbst immer schon die Neigung gehabt, erst dann etwas selbst zu machen oder zu schreiben, wenn ich alle zu einem Thema verfügbaren Quellen kenne und mich so umfassend wie möglich informiert habe. Bevor ich das Web entdeckt habe, hatte ich vor allem zwei Möglichkeiten, tatsächlich so viele Informationen zu finden, dass ich mit Sicherheit schon damit überfordert war, sie zu ordnen: Bibliotheken und die Lektüre möglichst vieler Zeitungen. (Bibliotheken und Zeitungen kann man noch besser benutzen, um die eigene Aktivität aufzuschieben, wenn man einige Sprachen halb lernt und sich in ihnen erst noch so lange perfektionieren müsste, bis man wichtige Texte im Original lesen kann.) Erst im Web aber erlebe ich in Echtzeit, wie die Informationen zu jedem Thema so schnell anwachsen, dass allein ihre Beobachtung unmöglich ist. Dazu kann ich mich auch noch auf Mittel konzentrieren, diese Informationsmenge zu organisieren, und auch die Informationen über diese Mittel wachsen so schnell, dass ich sie schlicht nie überschauen kann. Um tatsächlich bei jedem Thema zu wissen, was ich alles nicht gelesen habe, und um auch noch zu merken, mit welchen Themen ich mich auch noch beschäftigen könnte oder müsste, kann ich eine wiederum ständig wachsende Zahl von Hilfsmitteln verwenden: von RSS-Readern über Social Bookmark Tools bis hin zu den Life Streams von Leuten, die wie ich darunter leiden, dass das Problem des information overflow unlösbar ist.

Dass sich die Zahl der Informationen nicht mehr überschauen lässt, ist aber nur eine der Tatsachen, an die ich mein Verhalten erfolgreich anpassen kann. Ich muss mir auch darüber im klaren sein, dass das Web und vor allem die wichtigsten Angebote im Web nur entwickelt wurden, um mir etwas zu nehmen — im fast idyllisch einfachen Fall nur mein Geld, in den wirklich hinterhältigen Fällen aber meine Daten und mein geistiges Eigentum. Ich kann zwar nicht vermeiden, dass gut organisierte Kräfte alle Spuren meines digitalen Lebens für ihre Zwecke verwenden: Ich bin so schwach, dass ich mir gegen die Übermacht keinerlei Erfolgsschancen ausrechnen kann. Ich werde also weiterhin Google als Suchmaschine verwenden, Betriebssysteme von Microsoft oder Apple benutzen und Facebook über meine Freundschaften auf dem laufenden halten. Ich tue es aber wenigstens mit schlechtem Gewissen und halte mich mit Watzlawick an die puritanische Devise:

Du darfst tun, was du willst, so lange es dir keinen Spaß macht.

Mir fällt spontan noch eine dritte, ziemlich einfache Möglichkeit ein, unter den Realitäten des Webs zu leiden: Man muss auf objektive technische, ökonomische und gesellschaftliche Trends setzen, über die einen eine Vielzahl von Studien und Experten (darunter Medienwissenschaftler und Zukunftsforscher) auf dem laufenden halten. Mit dieser Methode kann man nicht nur die eigene Urteilskraft ausschalten, sondern auch nach oben offene Summen an Geld verlieren. Mir ist auf diesem Gebiet selbst — mangels Eigenkapital — nicht viel gelungen, aber immerhin konnte ich schon frühere Arbeitgeber, darunter einen Konzern wie Bertelsmann, dabei beobachten, wie sie den Einsichten von Managern und anderen Fachleuten in aktuelle Megatrends gefolgt sind und dabei außer ihrem Kapital auch eine Menge Arbeitsplätze abgebaut haben. (Ich glaube, dass diese dritte Form des objektiv begründeten Unglücks mit einer Haltung zusammen hängt, die Watzlawick am Schluss seines Buchs beschreibt: der, das Leben als Nullsummenspiel anzusehen, in dem ich nur gewinnen kann, was andere verlieren. Je mehr ich versuche, mir meinen Anteil aus einem Kuchen herauszuschneiden, an dem ich selbst nicht mitbacken will, muss ich mich auf das verlassen, was mir andere über das Rezept mitteilen.)

Der Kampf gegen die Informationsüberflutung, das Ringen mit den Datenkraken und das Wissen um Zukunftstrends: drei sichere Methoden, im Web unglücklich zu sein. Unter den Chancen, die das Web bietet, um, wie Watzlawick sagt, nicht anzukommen, liegen sie vielleicht am nächsten; es dürfte aber durchaus noch größere geben.