Jeff Jarvis entwirft in einem IdeaStorm auf allen Ebenen und in allen politischen Bereichen, um laufend Vorschläge und Ideen der Bürgerinnen zu sammeln.

  • Persönliche politische Webseiten möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger, in denen die eigenen politischen Positionen, Wünsche und Vorschläge publiziert werden (so etwas wie Profile in einem politischen Social Network); ein politisches Gegenstück zum Konzept des Vendor Relationship Management, an dem Doc Searls und viele andere arbeiten.

  • Jarvis will die repräsentative Demokratie nicht aufheben, sondern ergänzen. Seine Vorschläge laufen auf eine Open Source-Politik hinaus, wobei wohl auch für Jeff Jarvis offen ist, wie sich Social Networking-Elemente schließlich politisch übersetzen lassen. Ein Motiv ist, politische Prozesse zu demokratisieren, die Mittel des Web zu verwenden, um die Politik aus ihrer bürokratischen und mediokratischen Erstarrung zu lösen. Genauso wichtig ist die Hoffnung, dass die offene Kommunikation die Politik effizienter macht. Jarvis glaubt (und da schließe ich mich gerne an), dass mehr Beteiligung der Bürger bei der Lösung von Sachfragen dazu führen wird, dass die Suche nach kreativen Lösungen eine wesentlich größere Rolle spielen wird als heute. Er will die Einstellungen, mit denen Google groß geworden ist, politisch fruchtbar machen.

    Mit Sicherheit wird diese Position als naiv, idealistisch und technokratisch verdammt werden. Zu Unrecht, wie ich glaube: Naiv ist eher die Annahme, dass die heutigen Formen der professionalisierten Parteipolitik (statt des Gesuderes der Basis), des institutionalisierten Lobbyismus und der politischen Manipulation über Bild und Glotze (G. Schröder) der Realität einer Wissens- und Informationsgesellschaft und der Komplexität der Probleme gerecht werden können, vor denen die Politik heute schon auf der kommualen Ebene steht.

    Lesenswert sind übrigens auch die Kommentare zu Jarvis‘ Text. Merken werde ich mir einen Satz von Bob Wyman:

    Die wichigste Determinante für die Fähigkeit einer Gesellschaft, eine demokratische Regierungsform zu begründen und zu erhalten, ist die Verteilung und Wirksamkeit der Techniken, die verfügbar sind, um Informationen zu erzeugen und zu teilen.

    Thomas Pleil weist auf Brian Solis‘ Eintrag Cultural Voyeurism and Social Media hin, in dem Solis seinen Satz Social Media is About Sociology Not Technology erläutert (Solis‘ Artikel mit diesem Titel hier). Ich stimme Solis fast überall zu (der soziologische Aspekt der Web-Medien ist das Thema, mit dem ich mich in den kommenden Jahren vor allem beschäftigen möchte; und da vor allem mit den sozialen Aspekten des Hypertexts). Allerdings glaube ich, dass sich in seiner Argumentation an einigen Stellen genau die Trennung von Gesellschaft hier und Technik dort wiederfindet, die es ermöglicht, soziale Medien als Technologie mißzuverstehen. Solis schreibt:

    Technology is just that, technology.

    Das suggeriert, dass man soziale Zusammenhänge unabhängig von der Technik und den Objekten beschreiben könnte, mit denen sie verbunden sind. Ich kann mir nicht vorstellen wie das gehen sollte, oder: Man würde, ginge man so vor, die soziale Dynamik mißverstehen, die durch das Amalgam von menschlichen und nichtmenschlichen, sozialen und techischen Faktoren zustandekommt. Ich finde es sinnvoller, nach den nichtmenschlichen Akteuren (im Sinne Bruno Latours) und ihrer Humanisierung auch im Bereich der sozialen oder Web-Medien zu fragen. Latour selbst beschäftigt sich vor allem mit materiellen Objekten als sozialen Akteuren. Im Web spielen immaterielle, nichtmenschliche Akteure — Akteure auf der Datenebene — entscheidende Rollen; vielleicht fehlt uns aber noch das begriffliche Instrumentarium, um diese Rollen anders als mit Kategorien aus der Zeit vor der Entwickung des Web beschreiben zu können.

    Sehenswert: Martin Ebners Präsentation Podcasting, Blogging und Wikis auf dem Weg in die Hochschullehre; Video jetzt hier Gut gefällt mir vor allem das Bild des traditionellen Learning-Managements als Burg, mit der Administration oben, dem Learning-Management-System darunter und einem ganz kleinen Tor, durch das die Studierenden Kontakt mit der Außenwelt halten können (ein Bild, das sich auch gut auf Unternehmen übertragen lässt).

    Martin geht es um die Öffnung dieses Systems, von einer Blogging-Plattform wie Elgg bis hin zu Tools für das mobile Lernen und der Integration der neuen internetähigen Geräte jenseits des Computers. (Daneben steht die Öffnung der Forschung durch Open-Access-Publikationen und zunehmend auch durch Tools wie BibSonomy, mit denen sich webgestützt wissenschaftlich arbeiten lässt.)

    Vor einer Stunde habe ich mich bei Utterz angemeldet (thx Boris!). Es ist, österreichisch gesagt, blunzen-einfach, damit Audios (und Videos) zu produzieren und im Web zu veröffentlichen. Für meine eigenen Utters habe ich im Sidebar von Lost and Found ein Widget eingebaut.

    Utterz ist vor allem ein Tool für Mobiltelefone. In den USA und einer ganzen Reihe anderer Länder kann man Audios und Videos mit dem Mobiltelefon aufnehmen und über eine spezielle Nummer direkt an Utterz posten. Mit einem ganzen Arsenal von Widgets lassen sie sich dann weiter publizieren, zum Beispiel in Weblogs. Sie lassen sich taggen, und es gibt die üblichen Social-Network-Features. Podcasting als Convenience.

    Genau so einfach ist es, Audios oder Videos mit einem Computer aufzunehmen oder auch upzuloaden. Das Interface ist Flash-basiert und selbsterklärend.

    Ich habe es noch nicht ausprobiert, aber es scheint auch sehr leicht zu sein, Audios mit Bildern zu begleiten. Hier, wie auch bei den anderen Features von Utterz, merkt man, dass der Dienst tatsächlich durchdacht ist.

    Zu publizieren kostet nichts. Als Benutzer gibt man Utterz the perpetual, irrevocable, non-exclusive, sublicensable right to display that content in any form on any Utterz Service (whether by phone or over the internet) or anywhere else, without limitation.. Das ist natürlich problematisch; man kann nur hoffen, oder besser: man sollte daran arbeiten, dass auch nichtkommerzielle Versionen solcher Dienste ins Leben gerufen werden.

    Utterz finanziert zur Zeit offenbar durch Verträge mit Telefongesellschaften. Sie zahlen, damit ihre Netze noch intensiver genutzt werden. Wirklich kostenlos ist der Service also nicht.

    Ich werde Utterz sicher weiter beobachten. Es ist gut vorstellbar, dass Google bald einen ähnlichen Service anbietet. Interessant finde ich, dass die technische Seite des Publizierens durch solche Dienste regelrecht trivialisiert wird. Für Blogger stellt sich damit die Frage, was man besser schreibt und was man besser sagt — bis Upperz & Co die Audio-Postings automatisch verschriftlichen.

    Mark Bernstein hebt Anna Rogozinskas Präsentation über Diätblogs auf der BlogTalk als fine bit of fine bit of Web scholarshiphervor:

    here’s a lot to be learned, here, both descriptive and prescriptive; I’m not sure we know a lot more about cultivating Web and Wiki communities than we did when Powazek wrote the book.

    Die Präsentation auf Slideshare:

    Anna Rogozinska beschreibt ihre Arbeit hier; Notizen von Stephanie Booth hier

    Anna Rogozinska untersucht, wie Bloggerinnen ihre Identität konstruieren, sie spricht von writing the self und fragt komplemetär how to ‚read‘ identity from the logovisual discourse of the internet.
    Sie spricht vom Kontext als einem Schlüsselbegriff der anthropologischen Untersuchung des Internet, und unterscheidet dabei zwischen medialem, sozialem und kulturellem Kontext. Obwohl sie einen ganz anderen Ausgangspunkt hat, gibt es hier eine Brücke zu Teun A. van Dijks Untersuchungen von Kontextmodellen (meine ersten Notizen dazu hier). Vielleicht stellt sich hier die Frage nach dem Verhältnis von Kontext und repräsentiertem Kontext oder Kontextmodell.

    Mich interessiert, ob sich Anna Rogozinska auch mit der Beobachtung/Beobachtbarkeit von Blogs und der wechselseitigen Regulierung (z.B. einer von außen zugeschriebenen Identität) beschäftigt hat. Wo findet die Konstruktion der Identität statt? Beim Bloggen oder beim Lesen des Blogs in seinem Kontext?

    Online ist die neue Königsdisziplin! — Das Interview mit Dietmar Dahmen von BBDO möchte ich meinen Studenten und Kollegen empfehlen. Verständlicher, knapper und unaufgeregter kann man nicht formulieren, was sich gerade in den Medien ändert. Z.B.:

    Die Erkenntnis, dass Kommunikation nicht das ist was ich sage, sondern das, was der Konsument hört, ist für traditionelle „Frontal-Agierer“ sehr beunruhigend. Wer im Web gewinnen will, muss die Vernetzung von Communities verstehen und den Zwang der Kontrolle fallen lassen können.

    Jill Walker Rettberg, Weblogs: Learning in Public. Studenten, die bloggen, schreiben nicht für eine Lehrerin oder einen Lehrer allein, sondern für eine Öffentlichkeit. Jill Walker Rettberg (die ich leider nicht früher entdeckt habe) beschreibt, wie Teilnehmer eines ihrer Kurse mit der Erfahrung umgehen, dass ihre Blogs tatsächlich gelesen werden. Ich finde die Kriterien Beobachtbarkeit und Anschlussfähigkeit wieder, in denen sich Blogs von anderen Gattungen unterscheiden. (Assoziationen: Die Schulen und Universitäten organisieren das Wissen bisher zusammen mit dem physikalischen Raum; Wissen erlaubt Macht/Kontrolle über diesen Raum; umgekehrt werden Lernen und Wissen über den Raum kontrolliert. Im Netz wird das Wissen über seine digitale Verarbeitung kontrolliert; umgekehrt ermöglicht es das Wissen, die Datenflüsse zu kontrollieren. Die territoriale Organisation des Wissens gelangt an ihr Ende und wird so vielleicht erst sichtbar. Vielleicht hängt auch die Frage, oder besser: die Krise der Professionalität im Web damit zusammen, dass unseren Vorstellungen von Berufen letztlich räumliche Organisationen zugrunde liegen.) Sie beschäftigt sich vor allem mit den neuen Formen von Regulation und Korrektur, zu denen es durch die Vernetzung von Blogs mit anderen Blogs und Kommentaren kommt. Sie bezieht sich auf Steven Johnsons Emergence:

    Organisation in a network without hierarchical control requires visibility and feedback, Johnson writes:

    Relationships in these systems are mutual: you influence your neighbors, and your neighbors influence you. All emergent systems are built out of this kind of feedback, the two-way connections that foster higher learning. (2002: 120).

    That’s what blogging is about, I said. It’s about taking control of your own learning, finding your own voice, and expressing your own opinions. It’s about responding to the world around you and listening to the responses you receive in return. The class was silent, patiently waiting for the break.

    Dieser Gedanke ist vielleicht ein Gegenstück zu Tons Owning Your Learing Path, das den Lernenden in den Mittelpunkt stellt.

    In diesem Eintrag verwendete Jill Walker Rettberg 2003 wohl zum ersten Mal den Ausdruck network literacy [gefunden via Will Richardson]. Bemerkenswert finde ich auch den Satz:

    Rather than relying on one central infrastructure, new exostructures are developed continuously to give different views of the blogosphere.

    Sie hat sich schon damals nicht nur mit Blogs in der Lehre, sondern auch mit der linguistisch-erzähltheoretischen Untersuchung von Blogs beschäftigt. Sie hat einen Diskurs geprägt, der heute schon fast trivial geworden ist — oder besser: Text wie dieser sind immer noch nicht trivial, während die endlosen Wiederholungen de aus ihnen abgeleiteten Schlagwörter nur noch langweilen.