Alle in der Klimabewegung suchen nach Wegen, das fossile System so schnell los zu werden, dass eine völlig unbeherrschbare globale Katastrophe noch verhindert werden kann. Auf eine wichtige Stimme in dieser Diskussion, Robert Costanza, bin ich gestern im Circular Metabolism Podcast gestoßen (Athanassiadis, n.d.). Costanza überträgt die Kritik am linearen Denken, die für den Ansatz der Erdsystemwissenschaften und der ökologischen Ökonomie charakteristisch ist, darauf, wie wir Transfomationsprozesse konzipieren.
Der Schwerpunkt von Costanzas neuem Buch Addicted to Growth (Costanza, 2023) liegt auf der Theory of Change. (Ich habe diesen Ausdruck zum ersten Mal von Sven Hillenkamp gehört (Diel, n.d.), und dann vor allem von Moritz Kramer, der im Media and Messaging-Team von Extinction Rebellion Austria mitmacht.) Costanza versteht den Wandel zu einem Postgrowth-System nicht als linearen Prozess. Er stellt die Vision oder das Formulieren einer Alternative zum Bestehenden in den Mittelpunkt. Das gemeinsame Entwerfen einer Alternative kann dann dazu führen, dass sie auch umgesetzt wird. Ein konfrontatives Vorgehen und das Insistieren auf einem bestimmten, eben linearem Weg, führt dagegen eher zur Stärkung der Gegenkräfte.
In seinem neuen Buch benutzt er das therapeutische Vorgehen bei einer Suchttherapie als Vorbild für eine „soziale Therapie“. (Knapp fasst er seinen Ansatz in einem Artikel für die Website des University College London zusammen (UCL, 2023)). Das ist keine Verharmlosung der nötigen Transformation. Im Podcast spricht Costanza ausdrücklich von einer Revolution, die sich aber gewaltlos vollziehen könne. Er setzt auf künstlerische Formulierungen von Utopien und lobt Kim Stanley Robinsons Ministry for the Future als Beispiel. Positiv führt er auch Cancel the Apocalypse (2014) von Andrew Simms an.
Ich kannte Costanza nicht, obwohl er ein zentraler Autor in der Szene der ökologischen Ökonomie ist. Nebenbei: Es hat mich angesprochen, dass er die ökologische Ökonomie ausdrücklich nicht als Disziplin bezeichnet – weil sie die Grenzen der Disziplinen in Frage stellt. Ich kann etwas mehr Vertrauen haben, etwas zu ihr sagen zu können, auch wenn ich keine ökonomische Vorbildung habe.
Im Podcast stellt er eine Grundposition dar, die er mit vielen anderen teilt, z.B. mit Kate Raworth, Tim Jackson und Herman Daly. Sie verstehen Wirtschaft als ein offenes System, das im Austausch mit anderen Systemen, vor allem der Biosphäre steht. Sie wenden sich gegen die Ideologie, dass die Wirtschaft auf einem begrenzten Planeten unbegrenzt wachsen könne. Costanza hat sich intensiv mit der Bewertung der natürlichen Life Support Systems beschäftigt (hier liegt möglicherweise eine Differenz vor einerseits zu finanziellen Bewertungen der Natur in der herkömmlichen Volkswirtschaft und andererseits zu Positionen, die eine ökonomische Bewertung der Natur ablehnen.) Mehrfach wiederholt er im Podcast, dass es neben wirtschaftlichem auch natürliches und soziales Kapital gibt. Das menschliche Wohlbefinden steht nicht in einer linearen Beziehung zum Konsum bzw. zur Verfügung über ökonomisches Kapital, sondern wächst über einem bestimmten Level nicht mehr (Egoismus beeinträchtige sogar das Wohlbefinden). Für das Verfügen über natürliches Kapital, z.B. die Atmosphäre, sei wesentlich, dass der Zugang zu ihm offen sei. Dazu müsse der gemeinsame Besitz institutionell organisiert sein.
Costanza sieht wie Kate Raworth und der Club of Rome (Dixson-Declève et al., 2022) die Sustainable Development Goals der UN als eine konsensfähige Beschreibung der unteren Grenze dessen an, was die Ökonomie leisten muss, während die obere Grenze von den planetaren Belastungsgrenzen bestimmt wird. Er erklärt im Podcast den Lock-in in einen ökonomischen Wachstumsprozess, der zu einer Katastrophe führt, mit der Analogie einer Auktion, bei der ein Dollar versteigert wird und der Zweitbietende seinen Einsatz zurückzahlen muss, wenn der Dollar an den Erstbietenden fällt. Unter diesen Umständen kann es im Interesse der Teilnehmenden sein, mehr als einen Dollar für einen Dollar zu zahlen, weil sie sonst einen hohen Einsatz verlieren würden. Die Angst vor dem Verlust treibt eine Prozess an, der von außen klar als irrational zu erkennen ist.
Dass sich das Bruttosozialprodukt als wichtigste wirtschaftliche Kennzahl durchgesetzt hat und dass die gesamte Wirtschaft vor allem auf Wachstum ausgerichtet ist, liegt für Costanza an der Bedeutung der fossilen Energien. Die vested interests der Fossilindustrie sind das wichtigste Hindernis dabei, die Wirtschaft am Wohlbefinden der Menschen, an der planetaren Gesundheit (Costanza verwendet diesen Ausdruck im Podcast nicht) zu orientieren. Für Costanza ist nicht der Kapitalismus als solcher die Ursache des Wachstums auf Kosten der Life Support Systems. Er führt u.a. das Konzept eines Kapitalismus 3.0 (Barnes, 2006) an.
Costanza tritt dafür ein, dass viele politische Probleme durch Bürger:innen-Versammlungen gelöst werden. Seine Argument sind sehr ähnlich wie die von Extinction Rebellion: Mehrheitsentscheidungen können dazu führen, dass eine große Minderheit ein Ergebnis nicht akzeptiert. In den heutigen Demokratien setzen sich vor allem Interessengruppen durch.
Costanza hat zu vielen Themen geforscht und einige grundlegende Arbeiten geschrieben. Transformation, soziale Therapie, ist nur eines seiner Themen. Hier in Graz haben wir die Chance, seine Konzepte in die Arbeit an der schnellen Dekarbonisierung der Stadt einzubringen. Auch deshalb bin ich gespannt darauf, sein neues Buch zu lesen.