Für den ORF-Fernsehdirektor ist das Web kein Medium, sondern eine Droge zur Flucht aus der Wirklichkeit. Ausgerechnet er muss jetzt erfahren, dass sich auch in Österreich eine verlinkte Öffentlichkeit herausbildet, die den Monopolanspruch seines Mediums schon gebrochen hat.

Ob Wolfgang Lorenz nachgedacht hat, bevor er am Freitag über das Scheiss-Internet schimpfte und den jungen Leuten im Publikum klar machte, dass ihm ihre Meinung egal ist? Wenn, dann hat er sicher nicht mit einem öffentlichen Echo gerechnet, allenfalls mit einem geschönten und offiziösen Bericht, wie ihn die APA dann auch ablieferte. Ein paar Tage später musste der ORF-Fernsehdirektor öffentlich versuchen, seinen Auftritt zu relativieren — wobei das Ergebnis (Ich bin Täter, nicht Opfer) wieder zeigt, dass Lorenz vom Internet nichts verstanden hat und auch nicht merkt, wie peinlich seine Selbststilisierungen sind.

Zwischen der Podiumsdiskussion am Freitag und dem verunglückten Kurzinterview am Montag war etwas passiert, das ich so noch nicht erlebt habe (vielleicht nur, weil ich in diesem Fall beteiligt war): Einige Blogger und Twitterer berichteten von dem Event, viele regten sich auf, und schon am Sonntagabend reagierte der Onlinestandard mit einer Meldung, die in Kurzform am Montag auch in die Printausgabe fand. Berichte der Blogger — der Standard verweist ausdrücklich auf Hans-Peter Lehofer — wurden auf einmal so ernst genommen wie die der österreichischen Presseagentur. (Disclosure: Ich war persönlich beteiligt und kenne außerdem Sebastian, Jochen, Michael und Maresa, die als Augenzeugen von dem Event berichteten, als Studenten.) Inzwischen sind übrigens weitere Berichte in redaktionell erstellten, klassischen Online-Medien erschienen: von Klaus Höfler in der Presse und von Richard Pyrker (mit Links auf mehrere Blogs) bei CHiLLi.cc.

Ich will die Bedeutung der Diskssion nicht übertreiben: Der ORF-Fernsehdirektor ist nicht der Nabel der Welt, auch wenn er sich dafür hält. Aber das mediale Echo zeigt, dass sich inzwischen auch in Österreich eine Web-Öffentlichkeit herangebildet hat, die mit Mitteln arbeitet, die sich von denen des älteren Journalismus unterscheiden. Durch mehrere Faktoren wurde in diesem Fall eine Nachricht anders gemacht als im herkömmlichen Dreieck von PR (es handelte sich um eine vom ORF mitorganisierte Veranstaltung), Agenturjournalismus und Presse:

  1. eine kritische Masse von Bloggern (es waren mehrere Blogger anwesend, die ihre Berichte bestätigen konnten);

  2. Verstärker in der Blogosphäre, hier u.a. in Gestalt von Rivva;

  3. eine intensive Kommunikation via Twitter (Twitter funktionierte dabei nicht als Alternative zu Blogs, sondern als schnelles Austausch- und Nachrichtenmedium unter Leuten, die zum Teil auch bloggen);

  4. Aufmerksamkeit für Blogger bei klassischen Medien wie dem Standard.

Die Geschichte ist nicht zuende, vielleicht beginnt sie erst. Gerade schreibt Jana über den Wert der Mikronischenrevolte. Aber es ist schon jetzt deutlich, dass die massenmediale Logik auch hier bei uns nicht mehr allein funktioniert, dass es eine Weböffentlichkeit gibt, die korrigiert und auch Druck ausüben kann. Vielleicht hat sie auf ein Ereignis wie den Lorenz-Auftritt gewartet, um die Eihüllen loszuwerden.

[Update, 11:49: Link auf Maresa Mayers Blog
ergänzt.]