Für eine Lehrveranstaltung habe ich heute versucht zusammenzufassen, warum es für Journalisten und professionelle Kommunikatoren wichtig ist, sich mit Newsfeeds zu beschäftigen (Mit Newsfeeds meine ich RSS- und Atom- bzw. JSON-Feeds, aber auch proprietäre Arten von Feeds wie bei Facebook und Twitter). Dabei geht es mir hier nicht um den praktischen Nutzen, sondern um die Veränderungen bei der Nachrichtenproduktion und -distribution. Ich bin mit der Ergebnis noch nicht zufrieden, aber hier mein jetziger Stand:
In meinem Modell der Online-Medien gehe ich vom Model-View-Controller-Pattern aus, das in der Software-Herstellung wichtig ist. Die Modelle sind die Texte, Medien usw. in verschiedenen Formaten, z.B. Blogposts, Tweets, Wiki-Artikel. Die Views sind die Zugänge zu diesen Modellen. Newsfeeds sind dabei für mich die journalistisch relevantesten Views. (Ein anderer wichtiger View-Typ ist die Suche. Auch die herkömmlichen Websites und die mobilen Apps kann man als Views verstehen.) Die wichtigsten Controller sind die verschiedenen sozialen Netze, die sich bei den Views vor allem als Filter auswirken.
Wenn man dieses Modell verwendet—unabhängig davon, ob das ein korrekter Gebrauch des MVC-Patterns ist—erkennt man die Unterschiede zwischen dem Universe of News im Web und in der analogen Welt. Die Newsfeeds und die Modelle, also die Inhalte, sind entkoppelt. Bei Zeitungen oder Sendern sind dagegen Inhalte und Distribution aneinander gebunden. Newsfeeds sind der wichtigste Zugang zu News, sie werden aber nicht von den Produzenten der Nachrichten kontrolliert, unabhängig davon ob es sich um klassische RSS-Feeds, um Twitter oder den Facebook-Newsfeed handelt. Wenn man sich klar macht, welche Bedeutung Newsfeeds im Web haben, erkennt man, dass es kein Zurück mehr zu den Verlagsformaten gibt.
Eine weitere wichtige Eigenschaft von Newsfeeds ist, dass sie individualisiert sind, dass also jeder Webnutzer seine eigenen Newfeeds hat. Sie bilden einen personalisierten Zugang zu Inhalten. Dabei hat man die Personalisierung bisher meist selbst vorgenommen, indem man einfach bestimmte Feeds abonniert hat oder z.B. bestimmten Feeds bei Twitter gefolgt ist. Vermutlich wird die Personalisierung immer mehr automatisch vorgenommen werden; ein Beispiel dafür ist ein Service wie my6sense.
Wenn ich im Web Informationen publiziere, muss ich also darauf achten, dass sie auch als Newsfeeds die Benutzer erreichen. Ich muss mich dafür entscheiden, welche Informationen ich wie für Newsfeeds aufbereite, und ich sollte auch tracken, wer mich wo abonniert. Das ist oft interessanter als zu verfolgen, wer auf meine Website klickt.
Als Nutzerin oder Nutzer muss ich mit Newsfeeds umgehen können, um mein Informationsuniversum organisieren zu können. Es gehört zum Medienkompetenz im Web-Zeitalter, zur Web Literacy, mit Newsfeeds arbeiten zu können. Ähnlich wie beim Umgang mit Suchmaschinen geht es hier um die Kompetenz zum Informationsmanagement im Web, über die heute jede und jeder und natürlich vor allem Journalisten und professionelle Kommunikatoren verfügen sollten.
Für das Web ist dabei auch charakteristisch, dass sich das Publizieren und das Rezipieren von Newsweeks nicht deutlich trennen lassen. Ich kann die Feeds, die ich abonniert habe, wiederum publizieren, z.B. im Google Reader, ich kann einzelne Items kommentiert oder unkommentiert teilen, also weiterpublizieren. Als Publizistin oder Publizist kann ich Auswahlen von Newsweeks anbieten, ich kann Feeds kombinieren und filtern.
Vielleicht kann man sogar überhaupt sagen, dass News im Web durch den View-Typ Newsfeed zustande kommen. Der Newsfeed sorgt dazu, dass die Information zeitlich geordnet bei mir ankommt; dabei kann es sich durchaus auch um die Aktualisierung eines dauerhaften Angebots handeln.
Newsfeeds als solche sind ein technisches Format. Der Umgang mit ihnen erfolgt aber immer in einem bestimmten sozialen Kontext. Zu diesem Kontext gehöre ich selbst, soweit ich im Web repräsentiert bin und meine Feeds im Web verwalte, und zu ihm gehören andere, mit denen ich vernetzt bin.
Indem ich Newsfeeds abonniere, vernetze ich mich mit einer bestimmten Quelle. Diese Quelle wird damit zu einem Bestandteil meines sozialen Netzes, und sie kann mich übrigens umgekehrt auch zurückabonnieren, oder sich anders interaktiv mit mir verbinden. Mein News-Universum ist also gleichzeitig mein soziales Universum, und ich bin darin selbst eine aktuelle oder potenzielle Nachrichtenquelle. Social Software, z.B. Facebook, erlaubt es mir, dieses Soziale Netz und meine Identität im Web zu organisisieren und darüber die Newsfeeds zu kontrollieren.
Meine Newsfeeds zu kontrollieren, also zu bestimmen, welche Feeds mich wann und wie erreichen, gehört zu meinem Identitäts- und Beziehungsmanagement im Web, wobei ich mich hier nicht alleine manage, sondern andere, darunter auch Computer und Services wie Google, mich managen. Die Kontrolle/Filterung der Newsfeeds durch soziale Netze übernimmt im Web Funktionen, die früher Redaktionen hatten—und: die Redaktionen oder besser: die Journalistinnen und Journalisten, werden durch Newsweeks, z.B. die Twitter-Streams von Armin Wolf oder Florian Klenk, Bestandteil meines sozialen Netzes im Web.
Zusammengefasst:
- Im Web sind Inhalte und Views auf auf die Inhalte viel loser gekoppelt als in den analogen Massenmedien.
- Newsfeeds sind einer der wichtigsten Typen von Views und der für News/journalistische Informationen charakterististische.
- Newsfeeds sind wiederum locker an soziale Netzwerke gekoppelt (wobei Unternehmen wie Twitter und Facebook versuchen, diese Koppelung fest zu machen). Die sozialen Netzwerke haben für sie vor allem eine Filterfunktion.
- Newsfeeds sind Teil eines Online-Nachrichtenuniversums, das weder in seinen einzelnen Komponenten (Verlinkte Daten—Webtypische Views wie Feeds und Suchen im Web—Soziale Netze und Online-Kollaboration) noch in deren Zusammenspiel direkte Gegenstücke in der analogen Welt hat. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass sich weder die ökonomischen noch die publizistischen Modelle der Offline-Welt in die Online-Welt übertragen lassen.