Im letzten Jahr hat sich mein Leben nicht viel verändert. Aber ich habe das Gefühl, dass ich auf einige Veränderungen zugehe. Die wichtigste kommt dadurch zustande, dass ich seit Juni einen Enkel habe, also im Großvater-Alter angekommen bin. Gestern sind wir aus Berlin zurückgekommen, wo die ganze Familie Weihnachten gefeiert hat—zum ersten Mal nicht bei mir, sondern bei meinem Enkel Levi und seinen Eltern. Einen Enkel zu haben kommt mir viel weniger selbstverständlich vor als selbst Kinder zu haben. Es ist mit weniger Verantwortung verbunden, aber vielleicht mit mehr Ungewissheit.

Wenn Levi so alt ist wie mein mein Vater jetzt, 96 Jahre, dann hat das zweite Jahrzehnt des 22. Jahrhunderts längst begonnen. Mein Vater, den ich in ein paar Tagen besuchen werden, kann noch von den Demonstrationen vor der Machtergreifung der Nazis erzählen. Einen Zeitraum von 200 Jahren, wie ich ihn aus Geschichtsbüchern kenne, kann ich mir auf einmal beinahe vorstellen. Und dabei nehme ich wahr, wie veränderlich und zufällig die Lebensformen sind, an die ich mich gewöhnt habe.

Ab März werde ich mehr Zeit für meinen Enkel in Berlin und meinen Vater in Frankfurt haben. Ich werde nur noch drei Tage in der Woche arbeiten. Meinen Leitungsjob habe ich zum Jahresende niedergelegt und werde noch zwei Monate vollzeit arbeiten, damit die Übergabe an meinen Nachfolger so reibungslos wie möglich funktioniert. Auch wenn ich meine Arbeit mag: Ich warte auf den Moment, in dem nicht mehr für den ganzen Studiengang verantwortlich bin und mehr als die Hälfte der Woche Zeit für Dinge außerhalb der FH habe

Ob es an meinem Alter liegt oder an politischen Ereignissen: Ich kann vieles von dem, was ich beruflich tue, nicht mehr so ernst nehmem wie vor ein paar Jahren. Der Fortschrittsoptimismus, den ich übernommen habe, seit ich in den 80ern und frühen 90ern das Ende des Ostblocks und den Anfang des World Wide Web miterlebt habe, ist mir verloren gegangen.

Wir fahren diesen Planeten gerade an die Wand. Und niemand steigt auf die Bremse, sondern alle drücken das Gaspedal noch durch.

Hans Joachim Schellnhubers Sätze fassen für mich die Nachrichten des letzten Jahres am besten zusammen. Der Brexit, Trump, Kurz und Strache im Vordergrund und die ökologischen Katastrophen dahinter: Ich merke jeden Tag, wie naiv es war zu glauben, dass sich die Lebensbedingungen hier und auf der Erde überhaupt fast automatisch verbessern.

Ich weiss nicht, wie ich mit dieser Situation umgehen soll. Ich möchte mich nicht darauf zurückziehen zu kommentieren, was ich aus zweiter Hand, aus Nachrichten und Berichten kenne. Zum Aktivisten bin ich vielleicht nicht zu alt, aber das Vertrauen, die Welt durch konsequentes Engagement retten zu können, fehlt mir—so sehr ich Menschen bewundere, die sich engagieren. Ich möchte gerne die Kenntnisse über das Publizieren im Web, die ich habe, mit einer anderen, weiteren Perspektive—oder auch mit meinen subjektiven Gesichtspunkten verbinden, aber ich suche noch nach Schritten dorthin.

Ich habe immer davon geträumt, essayistisch zu schreiben. Damit meine ich nicht, feuilletonistisch mit Halbwissen zu jonglieren. Ich meine, aus Denkgewohnheiten auszusteigen, Alternativen auszuprobieren—auch in Texten von anderen danach zu suchen. Ich habe mir das immer als eine gelassene Tätigkeit vorgestellt. Jetzt denke ich eher an eine militante Vernetzung mit anderen Positionen, um Entropie zu reduzieren statt ihre Erzeugung zu beschleunigen.

Wie kann ich konkreter werden? Ich weiss es noch nicht. Ich will den Faden in den nächsten Tagen wieder aufnehmen.

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