Wir waren am Mittwoch mit den Studierenden von #cos16 bei Facebook London und konnten uns dort mit John McGarvey, Edd White, Liam O’Neill und Mike Atherton vom Content-Strategie-Team unterhalten. Sie haben uns vor allem beschrieben, wie ihr täglicher Job aussieht, und wie sie in den Teams bei Facebook mit Codern und Designern zusammenarbeiten.


Beim Mittagessen in der Facebook-Kantine habe ich dann von Mike noch einiges über die Firmenkultur bei Facebook erfahren. Bei uns an der FH ist lange in einem mühsamen Prozess festgelegt worden, welche Jobs und Karriere-Möglichkeiten es gibt. Das hat Jahre gedauert, und gerade jetzt schafft die tatsächlicher Einstufung auch ziemlich viel Unmut. Die Kultur bei Facebook ist das genaue Gegenteil einer solchen hierarchischen Firmenkultur. Es gibt, abgesehen vom Top Management, keine formale Hierarchie. Im Prinzip kann jeder bei allem mitreden. Jeder kann sehen, was die anderen Kolleginnen und Kollegen weltweit tun und sich einmischen. Man benutzt keine hierarchischen Jobtitel wie Senior und Junior Content Strategists. Der Jobtitel Manager bezeichnet eine Rolle. Die Manager sind nicht die Vorgesetzten der anderen Facebook-MitarbeiterInnen. Entscheidungen werden nach Diskussionen konsensual getroffen – oft schnell, treu dem Firmenmotto Move fast!.
Diese Struktur führt zu ihren eigenen Problemen. Wer etwas durchsetzen will, muss Einfluss auf andere ausüben, statt sich auf eine festgeschriebene Funktion berufen zu können. Es hat sich wohl auch etwas wie eine Senioritäts-Hierarchie etabliert. Leute, die schon länger bei Facebook arbeiten, haben größeren Einfluss, vor allem weil sie die Firmenkultur besser kennen.
Ich habe auch gefragt, wie bezahlt wird. Die Bezahlung ist nicht für alle gleich. Boards entscheiden über das Gehalt.
Zu dieser ganz auf eine Community ausgerichteten Firmenkultur passen auch ein paar Dinge, die wir inhaltlich erfahren haben. Z.B. ist es für die Texte, für die die Content-Strategen bei Facebook zuständig sind, wichtig, dass sie von den Usern nicht wahrgenommen werden. Je unsichtbarer die Wörter sind, je weniger sie im Wege stehen, desto besser sind sie. Einer der Kollegen hat auf die Frage, was man vor allem lernen müsse, wenn man bei Facebook arbeiten will, gesagt, not to be precious about your own writing. Das, was man schreibe, könne immer wieder von anderen über den Haufen geworfen werden.
In Übereinstimmung mit dieser Haltung steht hinter Workplace, an dem hier in London gearbeitet wird, eine Konzeption davon, wie man in einer Firma zusammenarbeiten kann. Man passt sich also ganz bewusst nicht bestehenden Modellen von Firmen oder Kollaboration an. Workplace hat explizite — wenn auch zurückhaltend vorgetragene — Botschaften. Dabei greifen alle Ebenen des Inhalts von den Interface-Texten bis zur übergreifenden Botschafts-Architektur ineinander.
Zu der Firmenkultur von Facebook gehört die Research-Orientierung. Alles was getan wird, wird getestet. Auch bei kleinsten Änderungen versucht man immer empirisch herauszufinden, was funktioniert und was nicht, und revidiert Hypothesen dementsprechend schnell
Ich habe früher öfter mit Apple zu tun gehabt — Apple hat wie Facebook einen missionarischen, gelegentlich fast sektenhaften Charakter. Wenn ich meinen sicher sehr oberflächlichen Eindrücken nach zwei Besuchen vorgestern und vor einem Jahr trauen darf, unterscheidet die Bescheidenheit und Unaufdringlichkeit, etwas beinahe Franziskanisches im Auftritt, Facebook von Apple. Dazu passt das Bild, das Marc Zuckerberg von sich selbst vermittelt: Der Dienst an der Community steht beinahe wie in einem Mönchsorden ganz oben.
Man kann jetzt leicht einwenden, dass die unhierarchischen Strukturen bei Facebook nur die Oberfläche bilden, dass es sich in Wirklichkeit um ein knallhartes Unternehmen handelt, in dem letztlich Entscheidungen im Interesse der Shareholder getroffen werden. Ich glaube, wenn man diese beiden Perspektiven als Gegensätze ansieht, versteht man nicht, wie ein solches Unternehmen funktioniert und warum es erfolgreich ist. Um noch einmal auf religiöse Bewegungen zurückzukommen: Die Erfolgsorientierung auf der einen Seite und die von allen getragene und auch alle gleich machende Kultur auf der anderen Seite gehören zusammen und bedingen sich vielleicht sogar gegenseitig. Bei Facebook verbindet wohl nicht zuletzt die Research-Orientierung beides miteinander und sorgt — außer von allen getragenen Kernbotschaften — dafür, dass das ganze Unternehmen tatsächlich erfolgreich ist.
Frage: Wie könnte eine solche hierarchielose Struktur an einem Studiengang oder an einer ganzen Hochschule aussehen? Was würde passieren, wenn wir alle Berufsbezeichnungen und Arbeitsplatzbeschreibungen z.B. auf student, teacher und administrator beschränken? — Ich glaube, das würde dann funktionieren, wenn Elemente wie die Research-Orientierung bei Facebook dafür sorgen würden, dass sich alle an den Zielen der Hochschule orientieren. Wenn wir so etwas offen praktizieren könnten, wäre das Leben an der Hochschule nicht einfacher als jetzt, aber wir wären sicher erfolgreicher.
Vielen Dank an Mike Atherton für Input und wichtige Korrekturen. Für Hypothesen und Fehler bin ich allein verantwortlich.