Die EU-Wahlen stehen bevor. Von ihrem Ausgang hängt ein großer Teil der europäischen Klimapolitik ab—in den entscheidenden Jahren bis 2030. Die aktuellen Nachrichten lassen nichts Gutes erwarten. Die EU passt sich schon an die Forderungen von populistischen Parteinen und Wirtschaftsliberalen an. Kampagnen von Landwirt:innen sind gerade um vieles wirkungsvoller als die Klimabewegung—auch, weil gemeinsame EU-Politik zu einem großen Teil Agrarpolitik ist (guter Artikel dazu in der New York Times). Der geopolitische Hintergrund wird immer düsterer. Die Ukraine ist jetzt vor allem auf die EU angewiesen—die Folgen werden die politischen Diskussionen in der EU und den Wahlkampf bestimmen. Noch mehr als nach der Invasion vom Februar 2022 droht die Geopolitik die Klimapolitik zu dominieren. Weiterlesen

In seiner Falter-Kolumne der vergangenen Woche zitiert Armin Thurnher Armin Wolfs Rudolf Augstein-Vorlesung. Darin sagt Armin Wolf, es sei

„… die wichtigste Aufgabe journalistischer Medien eine gemeinsame Faktenbasis bereitzustellen die wir als Grundlage für einen sinnvollen öffentlichen Diskurs über unsere gemeinsamen Angelegenheiten brauchen.“

Ich versuche jetzt seit knapp einem Jahr, die Berichterstattung einiger Zeitungen zur Klimakatastrophe zu verfolgen (also nicht die öffentlich-rechtlicher Medien, um die es Wolf vor allem geht). Mein Eindruck—eher eine Hypothese: Die einzige dieser Zeitungen, die Wolfs Anspruch gerecht wird, ist der Guardian. Bei allen anderen sind die Lücken groß—und dass sie nicht größer sind, verdanken sie zum Teil dem Guardian. Nur der Guardian erlaubt es, die vielen Dimensionen der globalen Erhitzung tatsächlich zu verfolgen. In den anderen Zeitungen, deren Klimaberichte ich regelmäßig lese (Standard, taz, Libération, Repubblica und New York Times), gibt es viele wichtige Nachrichten und Berichte, aber sie bleiben punktuell. Vielleicht bin ich ungerecht—die großen deutschen Zeitungen habe ich zum Beispiel nicht auf dem Programm. Aber die Klimaberichterstattung scheint mir noch immer nicht nur quantitativ ungenügend zu sein: Sie ist vor allem nicht vieldimensional genug.

Damit ist, wenn ich es richtig verstehe, 1,5° tatsächlich tot:

Der CO2-Gehalt der Atmosphäre wird 2024 weiter steigen, so dass die vom IPCC erarbeiteten Pfade, um das 1,5°-Ziel einzuhalten, nicht mehr eingehalten werden können. Das ergibt sich aus einer Studie des britischen Met Office, die sich auf die Daten des Mauna Loa-Observatoriums in Hawai stützt. (Die obere Grenze der Unsicherheitsbereiche dieser Pfade ist erreicht, selbst wenn der El-Niño-Einfluss abgezogen wird. Ein Einhalten der Pfade würde ein sofortiges Absinken des CO2-Gehalts erfordern.) https://www.liberation.fr/environnement/climat-les-concentrations-de-co2-cette-annee-menacent-la-limite-de-15c-daugmentation-globale-des-temperatures-20240119_6JIALPQDBNADFGNHS4MVDXR5QA/?redirected=1

Bericht: https://www.metoffice.gov.uk/research/climate/seasonal-to-decadal/long-range/forecasts/co2-forecast-for-2024

Die Schluss-Statements Andrea Fischers im Video sind ein gutes Beispiel für ein falsches Verständnis der politischen Rolle der Klimawissenschaft. Anders als bei anderen gesellschaftlichen Fragen ist die Formulierung der politischen Probleme bei der globalen Erhitzung abhängig von der Wissenschaft. Wird die „Bewertung“ der Politik überlassen, wie es Andrea Fischer hier nahelegt, dann wird die Relevanz des Problems im gesellschaftlichen Diskurs heruntergespielt. Gletscherforscherin Andrea Fischer: „Blockaden sind nicht der richtige Weg“ – Natur – derStandard.de › Wissen und Gesellschaft

Ich bin noch immer dabei, Dale Jamiesons Reason in a Dark Time (Jamieson 2014) zu lesen – mit der Frage, warum das Handeln gegen die Klimakatastrophe bisher so erfolglos war. Hier eine Überlegung, die z.T. durch Jamiesons Buch motiviert ist und sich auf die besondere Rolle der Wissenschaft in Bezug auf die Klimakatastrophe bezieht. Ein weiterer Ausgangspunkt ist der, kurze aber wichtige Aufsatz A new paradigm for climate change (Anderson and Bows 2012), in dem Anderson und Bow von den seltenen Gelegenheiten in der Geschichte sprechen, „bei denen etabliertes Wissen durch neue Denkweisen und Erkenntnisse abgelöst wird“1. Sie forderten schon 2012, dass Wissenschaftler:innen über die traditionellen Grenzen ihrer Fachgebiete hinausdenken, deren Verflechtung mit der Politik ernst nehmen und die Politik, die die—z.B. durch ihre Orientierung am Wachstum—die Katastrophe weiter verschärft, mutig kritisieren.2 Weiterlesen

Durch ein Interview mit Jonathan Franzen (Franzen 2023) bin ich auf Dale Jamieson und sein Buch Reason in a Dark Time (Jamieson 2014) gestoßen.

Cover von: Jamieson, Reason in a Dark Time
Cover von: Jamieson, Reason in a Dark Time

Der Untertitel des Buchs ist: Why the Struggle Against Climate Change Failed—and What It Means for Our Future.

Fasziniert habe ich bisher den Beginn und die beiden Schlusskapitel gelesen. Als eine Art Zwischenergebnis und Voraussetzung für die weitere Lektüre versuche ich zu formulieren, was seine Position ausmacht—wobei ich die Kapitel, in denen er die Klimapolitik bis 2014 (das Erscheinungsjahr des Buchs) analysiert, noch nicht gelesen habe. Es hängt mit Jamiesons analytischer Methode zusammen, dass sich seine Position nicht in wenigen Sätzen zusammenfassen lässt.

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Gegen Ende des Podcasts über Europe’s Bet on Net Zero (McTague and Thompson 2023) staunt Tom McTague darüber, wieviel einfacher sich politische Entwicklungen verstehen lassen, wenn man sie durch die Energie-Brille ansieht. Das gilt für diese Folge ganz besonders. McTague und Helen Thompson diskutieren die Zusammenhänge des Übergangs zu erneuerbaren Energien mit geopolitischen Interessen. Dabei geht es nicht nur um Interessenpolitik, sondern um die eigentlich politische Dimension der Bildung von Akteuren in Verbindung mit der Energiepolitik. Die Europäische Union ist als Montanunion entstanden—basierend auf dem Poolen von Energie als Alternative zu Konflikten der Nationalstaaten Deutschland und Frankreich über Energie-Ressourcen. Eine Perspektive, die McTague und Thompson ansprechen, ist eine Erneuerung Europas durch ein gemeinsames Management der Stromnetze. Es geht auch um viele weitere Themen, darunter den systematischen Aufbau der Erneuerbaren in in China und den Zugang zu Metallen. Eine ganz andere Perspektive als die der meisten in der Klimabewegung, aber sehr lehrreich.

McTague, Tom, and Helen Thompson, dirs. 2023. “Europe’s Bet on Net Zero.” These Times. Unherd. https://unherd.com/podcasts/europes-bet-on-net-zero/.

Ich habe mich heute etwas über Emma Goldman informiert, die mir schon in Giorgos Kallis‘ Buch Grenzen begegnet war. Es spricht für sie, und es spricht für den Anarchismus, dass sie sich weder über den Ersten Weltkrieg noch über die Dikatatur in Russland hat täuschen lassen – und zwar von Beginn an. Ich vermute (hoffentlich zu Unrecht, aber das ist unwahrscheinlich), dass wir in der Klimakatastrophe die gleiche Erfahrung machen werden: Es haben die Recht, die sich nicht von den Schönredereien ins Bockshorn jagen lassen – jetzt zum Beispiel vom Hochjazzen der Minimalergebnisse der COP28. Realistisch ist eine Haltung wie die von Kevin Anderson.