Martin Weigert hat mit seinem Post Identität im Netz: Das Glaubwürdigkeitsproblem anonymer Kritik heftige Diskussionen angestoßen. (Ich bin durch Thomas Pleil und Robert Basic darauf gestoßen.)
Ein paar Sätze reichen sicher nicht, um eine Anwort auf die Frage zu geben, ob man mit anonymen Kommentatoren im Web kommunizieren sollte. Ich selbst habe bisher nur selten anonyme Kommentare gelöscht, obwohl ich Tim O’Reillys Blogger’s Code of Conduct unterschreiben würde. Ich habe kein Problem mir Pseudonymen, wenn sich dahinter ein Knoten in einem Beziehungsnetz verbirgt, mit dem man in einen Dialog führen kann.
Ich verachte allerdings Menschen, die andere anonym kritisieren, weil sie ihre Identität nicht in der Öffentlichkeit preisgeben wollen. Dafür akzeptiere ich nur eine Begründung: Dass sie existenziell bedroht werden. Ich kann verstehen, dass jemand aus Unsicherheit die Öffentlichkeit meidet. Aber wer Angst hat, sich selbst zu zeigen, soll nicht andere attackieren.
Michel Foucault hat in seinen letzten Vorlesungen (z.B. hier) die Parrhesia, die Fearless Speech untersucht. Im Athen der klassischen Zeit war die furchtlose Rede ein Recht der freien, autochthonen Bürger. In anderen, autoritären Verhältnissen mussten sich wenigstens politische Berater das Recht zur freien Rede nehmen können, um die Mächtigen zur Einsicht zu bringen. Ohne furchtlose Rede ist eine Demokratie nicht möglich. Wer sich selbst versteckt, kann nicht von anderen Transparenz verlangen. Heute ist die Blogospäre ein Platz für die furchtlose Rede. Wir sollten ihn nicht den Anonymous Cowards überlassen—sonst enden wir wie (hier in Österreich) die Foren des Standard oder des ORF.
Klar, nicht jeder kann furchtlos reden. Nicht nur Dikatoren bedrohen Menschen, die sich frei äußern, sondern auch Vorgesetzte und Auftraggeber. Manche Situationen zwingen zur Anonymität. Ich denke aber, dann muss man so verfahren, wie es uns an unserem Studiengang im letzten Oktober David Barstow erklärt hat, als er über den Umgang mit Informanten sprach, die anonym bleiben wollen. Man muss ihnen klar machen, dass es sich bei der Anonymität um eine Ausnahme handelt, und dass andere für die Äußerung gerade stehen müssen. Barstow sagt Informanten, denen er deutlich machen muss, was ihre Anonymität bedeutet:
I will go to jail for you!
Das ist pathetisch—aber so ähnlich ist es mit den anonymen Kommentatoren: Für sie übernehmen diejenigen die Verantwortung, in deren Blogs sie schreiben.
Ich möchte nicht missverstanden werden: Anonymität im Netz muss möglich bleiben; sie lässt sich—wenn überhaupt—nur durch totalitäre Kontrolle unterbinden. Und ohne Spiel mit Identitäten gibt es keine freie Kommunikation. Aber die diskursive Qualität in den sozialen Medien—und auch ihre politische Bedeutung—hängen davon ab, dass wir auf der furchtlosen Rede bestehen.
Von Jonathan Swift über die Verfasser der ‚Federalist Papers‘ bis hin zu ‚Wir in NRW‘ und ‚wikileaks‘ wurden und werden immer wieder Pseudonyme benutzt. Warum nur?
Andererseits: auch anonyme Statements können Wertvolles zu einer Debatte beitragen. Und Kritik ist mE nicht automatisch unbegründet, bloß weil der Kritiker sich nicht näher deklarieren möchte.
Einleitend ein geklautes Zitat aus einem Kommentar zu einem Online-Artikel in der FAZ:
„Diese leider all zu oft gebrachte Phrase [Anm: Wer nichts zu verbergen hat, der hat auch nichts zu befürchten], basiert auf einem grundlegendem Missvertändnis über die Welt – es wird nämlich unterstellt, dass einem niemand etwas böses will und die ganze Menschheit wie der Staat nur aus gutmütigen Wohlwollenden besteht. In der Realität aber gibt es eine ganze Menge an Kriminellen und Bösewichten, historisch betrachtet sind Staaten die größten Übeltäter – nur eine kleine Minderheit aller Menschen hatte bisher das Privileg staatliche Institutionen zu haben denen sie bezüglich des eigenen Wohlergehens vertrauen konnten.
Der Mensch hat stets eine Menge zu befürchten! Daten zu verbergen ist dabei nur eine der Notwendigkeiten zur persönlichen Gefahrenabwehr.“
Den idealisierten Standpunkt der „Rede auf Augenhöhe“ verstehe ich wohl. Trotzdem führt die Forderung in eine falsche Richtung. Anonyme Rede muss gesellschaftlich akzeptiert bleiben. Verachtung hat hier keinen Platz.
Wohl wahr. Vielleicht kann man sich ja auf folgende Konvention einigen: 1.) Auch anonyme Statements können Wertvolles zu einer Debatte beitragen (wie Anonymus bewiesen hat) 2.) Ein guter Debattenbeitrag ist noch keine Kommunikation. Wer kommunizieren möchte, also Rede und Gegenrede erwartet, sollte den Helm abnehmen: Niemand spricht gerne mit jemandem, der im Nebel bleibt.
So etwa?
Ich sehe keine generelle Verbesserung der Beitragsqualität wenn es keine halbwegs anonymen Beteiligungsmöglichkeiten gibt. Datensparsamkeit hat hingegen einen Eigenwert, der mittlerweile sogar vom Staat erkannt wurde. So soll man zum Beispiel bei De-Mail Pseudonyme registrieren können.
Vielleicht kann man es auf die alternative Formel bringen: wer persönlich werden will, sollte mit seiner Person dazu stehen. Argumente können hingegen auch durchaus auch ohne die Person auskommen.
Ich sehe keinen Vorteil in der De-Anonymisierung. Wer seinen Namen gebrauchen möchte, kann das tun. Wer nicht, der lässt es eben. Wozu sollte man diese Freiheit einschränken? Prinzipiell ist das Thema nur für strafrechtliche Kontexte interessant und da helfen die Provider bereitwillig. Alles andere ist Humbug. Sogar von Verachtung für die Anonymen zu sprechen ist meiner Meinung nach ziemlich übertrieben. Wer anonym kritisiert, wird leicht ignoriert.
Ich wollte eigentlich vermeiden, einfach zu sagen „Anonymität ist Mist“ oder „Anonymität ist super“. In vielen Fällen ist Nichtanonymität relativ besser als Anonymität. Z.B. bei Blogs – welche guten anonymen gibt es ?- und ist es ein Zufall, dass sich die Autoren namentlich zu ihnen bekennen? Für mich marginalisieren sich die anonymen Akteure im Netz vielfach selbst. Und die Anonymität begünstigt einfach das simple Abblasen von Wertungen.
Das bedeutet nicht, dass Pseudonyme nicht sinnvoll oder witzig sein könne, und auch nicht, dass man nicht mit Rollen spielen kann/soll.
Außerdem glaube ich, dass Anonymität und Namensverwendung oft aneinander gebunden sind. Man wählt z.B. anonym, weist vorher aber seine Identität nach. Man postet etwas an Wikileaks – aber dort stehen sehr wohl Leute mit ihren Namen für die Seriosität der Quellen gerade. Wer einfach die Anonymität hochhält, ignoriert diese Zusammenhänge.
Mein Ausdruck „Verachtung“ bezieht sich auf anonyme Angriffe. Er meint eine moralische Verurteilung, die auch emotionale Qualitäten hat. Ernst Tugendhat spricht von „Empörung“.
Der Text ist super: http://www.stilstand.de/archives/1412 . Habe ihn leider jetzt erst gefunden. Aber diese Art von Pseudonymverwendung meine ich nicht, auch nicht anonymes Agieren, wo sich jemand wirklich schützen muss.
Ich nutze, seit dem ich im Netz unterwegs bin, immer das gleiche Pseudonym. Und nur das. Als Frau werde ich nämlich ganz sicher nicht Stalkern noch Munition liefern. (leidvolle Erfahrung macht klug). Wenn man mich meinen Pseudonym überall findet, bin ich dann anonym? Habe ich dann gefälligst die Klappe zu halten??
Sorry – aber so werten wollte ich nicht. Ich finde es auch nicht so relevant, ob man seine Netzidentität mit seinem realen Namen oder nicht aufbaut, und ich will sicher nichts verbieten. Für problematisch halte ich anonyme Anschuldigungen, die die Person meinen, nicht einfach online Publiziertes. Umgekehrt kann man, wenn man seine pseudonyme Online-Identität von der im RL, also z.B. in der Politik, trennt, nicht mit beiden gemeinsam agieren; und damit schwächt man sich möglicherweise z.B. im politischen Diskurs.
Gibts den hier keinen Newsletter zu abonnieren?… nur diese RSS feeds?
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