Ich war in der letzten Woche in Dubrovnik. Es war eine Mischung aus Familienbesuch und Urlaub, ich habe etwas Kroatisch gelernt, und ich bin nicht viel zum Lesen und Schreiben gekommen. Ich habe aber immer wieder darüber nachgedacht, warum und was ich schreibe und lese.
Wenn ich nur 10 Minuten in meinen Twitter-Stream oder den Guardian schaue, versetzen mich Nachrichten über ökologische Katastrophen und den aktivistischen Widerstand dagegen in einen Alarmzustand, aus dem ich mich schwer lösen kann. Es gelingt mir nicht, diesen Alarmzustand so umzuformen, dass sich daraus ein kontinuierliches und begrenztes, lokales Handeln (oder Schreiben) ergibt, und das kann man an diesem Blog und meinem Microblog gut ablesen. Ich finde nicht zu einem business as usual, obwohl ich zum ersten Mal, seit ich angefangen habe zu arbeiten, genug Zeit habe, um nur noch zu tun, was mich interessiert.
Auf den Ausdruck business as usual komme ich durch einen Tweet des Londoner Bürgermeistes Sadiq Khan:
Khan fordert die Extinction Rebellion-Aktivisten auf, mit ihren Protestaktionen nicht große Teile der Londoner Polizei lahmzulegen. Khan ist kein Klimaleugner, aber mit diesem Tweet drückt er aus, was die Bewegung, die jetzt auf die Straße geht, von der progressiven oder liberalen Politik unterscheidet, für die Khan und viele gemäßigt Politiker bis hin zu Leuten wie Macron stehen: Fridays For Future, Extinction Rebellion oder Scientists for Future gehen von einem globalen Ausnahmezustand aus, der eine Rückkehr zum business as usual nicht erlaubt.
Ich teile diese Einschätzung, dass die aktuelle ökologische Situatione einen Ausnahmezustand darstellt. Damit meine ich nicht nur, dass es so wichtig ist, auf sie zu reagieren, dass im Vergleich dazu alle anderen politischen Probleme in den Hintergrund treten müssen. Um einen Ausnahmezustand handelt es sich auch, weil das business as usual die Katastrophe verschlimmert, und zwar im kleinen wie im großen: Jedes Kilo CO2, das wir in die Atmosphäre entlassen, vergrößert den globalen Treibhauseffekt, und jedes kleine Stückchen Boden, das zusätzliche versiegelt wird, macht die Biomasse der Erde kleiner. Business as usual, weiteres Wachstum, weitere Produktion von Objekten macht es schwerer, die Gesellschaft umzusteuern.
Greta Thunberg hat gestern in ihrer Rede vor britischen Abgeordneten den Ausdruck business as usual aufgegegriffen:
The fact that we are speaking of “lowering” instead of “stopping” emissions is perhaps the greatest force behind the continuing business as usual.
Es ist richtig, von einem Ausnahmezustand zu sprechen, weil sich die globale Wirtschaft auf eine Grenze zubewegt, wenn sie nicht schon überschritten hat. (Dabei ist die Grenze für den zivilisatorischen CO2-Ausstoß nur die sichtbarste der planetary boundaries, die eigentlich boundaries der Zivilisation sind. Auch ohne Treibhauseffekt gefährdet ein weiteres Wirtschaftswachstum die Biosphäre.) Jede wirtschaftliche Aktivität, die an CO2- und Methan-Ausstoß gebunden ist, bringt uns dem Punkt näher, an dem der Treibhausgas-Gehalt der Atmosphäre irreversible katastophale Folgen hat. Es ist also keine Lösung, weniger CO2 zu erzeugen, sondern man muss auf jeden CO2-Ausstoß verzichten, der nicht lebensnotwendig ist, und man muss den lebensnotwendigen-Ausstoß kompensieren—was im Moment nur durch mehr Pflanzen, also durch eine Vergrößerung der Biomasse möglich ist. Konkret bedeutet das: Flugzeuge, Autos mit Verbrennungsmotoren, die industrielle Fleischproduktion und die Versiegelung weiterer Böden sind nicht zu rechtfertigen, und auch nicht eine Konsum, der das Ungleichgewicht zwischen der Masse der von Menschen produzierten Objekte und der Biomasse weiter vergößert. Am wenigsten Entschuldigungen gibt es dafür in den Ländern, die seit dem Beginn der Industrialisierung das meiste Kohlendioxid produziert haben.
Die Frage für mich ist, wie ich mit diesen Einsichten auf den Gebieten umgehe, in denen ich mich auskenne. Die Linie, die ich mir hier für dieses Blog zurechtlege, würde ich am ehesten als kritische Lektüre bezeichnen: Was bedeutet die ökologische Ausnahmesituation auf der Ebene der digitalen Inhalte und Publikationen—vor allem: Welche lokalen Transformationsstrategien ergeben sich aus ihr? Wie weit sind meine eigenen Vorstellungen und Theorie-Ansätze von einer Wachstums- und Fortschritts-Anthropologie abhängig, und lassen sie sich daraus lösen? Besser als so provisorisch kann ich es nicht formulieren. Ich habe schon oft das Wort Disruption verwendet, um zu verstehen, was die Digitalisierung gesellschaftlich bedeutet. Im Vergleich zu den Disruptionen, zu denen es freiwillig oder unfreiwillig durch das Erreichen der planetary boundaries kommen wird, ist die Disruption der Digitalisierung vermutlich ein Idyll.