Armin Thurnher sorgt sich in seinem Kommentar Warum ich mich weigere, das Internet als Medium wirklich ernst zu nehmen im Falter vom 17.12.2008 um die Qualität der öffentlichen Diskussion. Ich fürchte, dass Interventionen wie dieser Artikel dem Niveau der Debatten über die Medien mehr schaden als nutzen, denn sie zielen nicht auf das Internet sondern auf eine Karikatur des Netzes: Urheberrechtsverletzer, anonyme Poster, gefakete Identitäten und irrationale Suchmaschinen-Algorithmen bestimmen das Bild. Diese Karikatur ist sicher nicht beabsichtigt; Thurnher hat Gegenargumente verdient. Auch und gerade in seinen Missverständnissen ist er ein interessanterer und nicht zuletzt eleganterer Widerpart als Wolfgang Lorenz mit seinem Sager vom Scheiss-Internet. Außerdem teilen viele der Gebildeten unter den Verächtern des Internets seine Vorstellungen von diesem Medium, das sie nur mit intellektuellen Beisszangen anfassen. Leider hat von den österreichischen Bloggern kaum jemand auf Thurnher reagiert (Ausnahmen: Gerald Bäck, Tom Schaffer; [Update und Korrektur, 24. Dezember: nachzutragen sind Blumenau, Andreas Ulrich und Bruckner]). Hier ein paar Kommentare zu Zitaten aus Thurnhers Artikel:
An unserem Studiengang kommt es immer wieder zu Diskussionen über die Zukunft des Journalismus. Dabei geht es auch um unser zukünftiges Masterprogramm. Ich bin dafür, auch darin Journalisten auszubilden und das auch öffentlich deutlich zu machen, so wie wir es jetzt im Bachelorstudiengang tun.
Für unsere Hochschule ist die Frage, wie wir es mit dem Journalismus halten, zentral. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass ich als Evangelist der sozialen Medien den Journalismus für tot halte. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Position möchte ich in einigen plakativen, provisorischen und persönlichen Thesen beschreiben. Ich werde an ihnen weiterarbeiten und hoffe auf eine Diskussion.
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Apokalyptische Schemata und revolutionäre Rhetorik sagen mehr über ihre Urheber aus als über die Wirklichkeit. Entwicklungen in komplexen Systemen lassen sich grundsätzlich nicht voraussagen. Wer über die Medien in der Zukunft spricht, und meint, er könne seine Aussagen verifizieren, ist bestenfalls ein Scharlatan.
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Der Journalismus endet nicht, weil die Verlage sterben. Die Geschäftsmodelle der Verlagsbranche sind in einer Krise. Verlage haben immer davon gelebt, Inhalte zu kaufen oder zu erstellen, Träger für diese Inhalte zu reproduzieren und sie zu distribuieren. Dieses Modell ist für digitale Inhalte obsolet. (Damit ist aber nicht gesagt, dass es nicht auch Inhalte geben wird, die weiterhin auf Papier verteilt werden.) Viele Verlage und Medienhäuser bewegen sich auf einer Todesspirale: Einnahmeverluste lassen die Qualität sinken und umgekehrt. Dass mit dieser Krise der Journalismus aufhört, ist so unwahrscheinlich, wie dass die Krise der großen Plattenlabels zum Untergang der Popmusik führt — auch wenn die Labels das behaupten.
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Journalismus im Web findet verteilt und dezentral statt. Das Web vernetzt Menschen und Medien: Wenn alles mit allem verknüpft werden kann, entwickeln sich die Knoten am besten, die für die anderen Knoten wichtig sind und sich intelligent mit ihnen verbinden.
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Unsere Kultur wird auf den Journalismus so wenig verzichten wie auf die Wissenschaft oder die unabhängige Rechtsprechung. Journalismus dient im Kern dazu, unbeeinflusst von Interessen über aktuelle Ereignisse zu informieren; dazu haben sich eine Reihe von Methoden, Techniken und Praktiken entwickelt. Kulturell sind sie vergleichbar mit anderen Methoden der Wahrheitsfindung im Rechtssystem, in der Philologie und Historiographie oder in den Naturwissenschaften. (Ich bin vielleicht naiv, aber wie Tim Bray glaube ich an die Wahrheit. Ich bin davon überzeugt, dass die Bedeutung eines Satzes in seinen Wahrheitsbedingungen besteht.)
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Die journalistischen Recherche- und Verifikationsmethoden verändern sich radikal. Immer mehr Informationen sind öffentlich zugänglich; Journalistinnen können (und sollen) publizieren, wie sie zu ihren Aussagen kommen; Newsrooms werden transparent arbeiten, wenn sie in einer vernetzten Öffentlichkeit eine Chance haben wollen. Journalismus hängt immer mehr von Daten ab und muss mit Daten umgehen. Diese Veränderungen bedeuten für den Journalismus Chancen auf größere Aktualität, mehr Kontext, direkteren Zugang zu Quellen, also zu größerer Qualität. Die Grundlagenkrise wird den Journalismus so wenig umbringen, wie Grundlagenkrisen in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts zum Ende der Physik geführt hat.
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Die Gesellschaft wird mehr und nicht weniger Journalismus brauchen. Je mehr die Gesellschaft zu einer Informations- oder Wissensgesellschaft wird, desto größer wird der Bedarf nach verlässlicher Information. Das Leben von immer mehr Menschen hängt davon ab, dass sie nicht nur über Politik, sondern auch über Entwicklungen in der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien informiert werden. Je mehr Firmen und Organisationen auf Kommunikation angewiesen sind, desto wichtiger werden neutrale Informationsquellen. Wenn journalistische Qualität weniger von Unternehen (Verlagen) finanziert wird, wird der gesellschaftliche Druck wachsen, die anders zu ermöglichen, z.B. im öffentlich-rechtlichen System und durch Non-Profit-Organisationen und NGOs.
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Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle und Berufsbilder. Es gibt viele Beispiele dafür, dass journalistische Kompetenz im Web erfolgreich vermarktet werden kann, von der Sportberichterstattung bei adrivo bis zu einem Branchenmagazin wie turi2. Zum Erfolg gehört es dabei, die Vorteile des Webs zu nutzen und auf eine überflüssige materielle Infrastruktur zu verzichten.
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Journalistische Kompetenz wird mehr und mehr außerhalb der traditionellen Berufsfelder gefragt werden. Jeder Mensch und jede Organisation kann im Web selbst publizieren. Blogs, Microblogs und Wikis haben bereits einen blühenden Mikrojournalismus hervorgebracht. Erfolg mit solchen Publikationen ist auch eine Sache journalistischer Kompetenz. Journalisten sind deshalb immer mehr auch als Vermittler und Pädagogen gefragt. Dass jeder journalistisch arbeiten kann, bedeutet aber nicht, dass es keine professionellen Journalisten mehr geben wird. Die professionelle Fotografie ist nicht untergegangen, weil sich jeder Mensch eine Kamera leisten kann.
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Öffentlichkeitsarbeit und PR werden sich nicht weniger radikal verändern als der Journalismus. Aus der Krise in der Medienbranche kann man nicht schließen, dass es sinnvoller sei, für PR und Unternehmenskommunikation auszubilden. PR, die sich auf die klassischen Medien verlässt, wird weniger wichtig werden, wenn diese Medien zu Randphänomenen werden. Gerade in der Organisations- und Unternehmenskommunikation ist aber journalistische Kompetenz gefragt, und dabei wird es sich immer mehr die Kompetenzen handeln, die Robert Scoble „Journalismus Plus“ nennt.
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Erfolgsfaktoren für Journalistinnen sind Medien- und Netzwerkkompetenz und Wissen auf einem Fachgebiet. Durch das Web sinkt die Bedeutung von materieller Infrastruktur und hierarchischer Organisation. Inhaltlich kompetente Menschen können direkt die Öffentlichkeit und die Medien erreichen. Noch mehr als bisher wird der Erfolg eines Journalisten damit von seiner fachlichen Kompetenz und seiner Fähigkeit abhängen, sich eine persönliche Marke aufzubauen. Wie und wie gut so etwas funktionieren kann, zeigen in unserer Region Georg Holzer oder Norbert Mappes-Niediek.
In den letzten Wochen habe ich öfter über Linkjournalismus geschrieben. Der Ausdruck meint eine Methode — berichte, wo du dich auskennst, und linke auf den Rest! — und eine Haltung: verwende die Informationen, die du und deine Leser brauchen, und verweise auf ihre Urheber, auch wenn es deine Konkurrenten sind. Über Apture schreibe ich zugleich begeistert und skeptisch: Apture bietet enorme neue Möglichkeiten für den Linkjournalismus, kann aber auch benutzt werden, um die walled gardens der überkommenen Verlage vor den Stürmen des Webs und des Markts zu schützen.
Mit Apture kann eine Autorin einen Text einfach und wirkungsvoll mit Rich Media (Text, Bild, Audio, Video) ausstatten. Die Medien erscheinen in Popup-Fenstern, wenn der Benutzer mit ihnen verlinkte Textstellen überfährt. Sie stammen aus einem Pool aus frei zugänglichem Material, proprietäre Medien können hinzukommen.
Apture bei der BBC und der Washington Post
Die BBC hat Apture im Sommer auf ihrer News-Site getestet. Im Augenblick wird diskutiert, wie man weiter vorgehen will, und wie überhaupt auf den BBC-Seiten mit Links umgegangen werden soll. Am 8. Dezember gab die Washington Post bekannt, dass sie mit Apture zusammenarbeitet; sie will damit
offer readers a highly engaging way to view political data, congressional records, video, news and abstracts within a single washingtonpost.com browser experience. In addition, washingtonpost.com will make this data and content available to any blog or Web site that uses the Apture publishing platform [MarketWatch; dazu Only open news is good news – CNET News].
Andere Seiten, die Apture verwenden, können über die Washington Post auf dieselben Inhalte zugreifen.
Lawrence Lessig übernimmt in seinem Blog das Video, das zeigt, wir die Washington-Post mit Apture über den US-Kongress informiert. Es ist eine gute Einführung in die Technologie und ihre Möglichkeiten:
Ein Layer für Medien
Apture kommt den Bedürfnissen der Benutzerinnen wie der Autoren so sehr entgegen, dass man öfter leise wow
sagt, wenn man es kennen lernt. Der Benutzer kann die Fenster vergrößern und verkleinern, er kann Serien von Medien durchblättern, zu bestimmten Stellen in Audios und Videos springen oder sich das Inhaltsverzeichnis eines Wikipedia-Artikels anzeigen lassen. Die Autorin installiert lediglich ein kleines JavaScript-Fragment — etwa als unsichtbares Widget in einem Weblog. Dann muss sie nur ein Wort markieren, und es erscheint ein Auswahlmenü für Medien. Apture durchsucht und verwendet Medien, die unter Creative Commons lizensiert sind. Eigene PDF-Dokumente kann man über Scribd hinzufügen. Man kann einen Text mit einer ausführlichen Dokumentation ausstatten, indem man auf mehrere Inhalte zugleich verweist. Bemerkenswert und so wohl einmalig: Apture-Authoring findet am fertigen Text außerhalb eines Content Management Systems statt. Da Apture ein eigenes Layer bildet, kann man seine Texte zur wikiartigen Bearbeitung durch andere Apture-Benutzer freigeben.
Die für mich beste Beschreibung der Möglichkeiten Aptures stammt von Ben Metcalfe, der zu Aptures board of advisors gehört. Wie Apture funktioniert, erfährt man im Apture Wiki. Allerdings gibt es dort nur wenig technische Informationen. Robin Good führt gründlich in Apture ein
Man kann Apture an- und abschalten, die Texte selbst werden durch Apture nicht verändert, sie erhalten lediglich ein zusätzliches Layer. Das erlaubt es, sie so anzulegen, dass sie auch ohne die Ergänzung durch Apture funktionieren — ein Muss unter Usability- und Accessibility-Gesichtspunkten. (Unter dieser Perspektive beschäftige ich mich hier nicht mit Apture, sie spielt wohl bei der Diskussion in der BBC eine wichtige Rolle.) Die Apture-Links können dynamisch sein und auf Material verweisen, das jeweils aktuell gesucht wird.
Hoffnung für Verleger?
Apture lässt sich mit jedem gängigen Blogging-Tool zusammen verwenden. Entworfen wurde es sowohl für Bloggerinnen wie für Verlage. Blogger müssen für Apture nichts bezahlen; Apture will Geld verdienen, indem es an den Werbeerlösen von Publikationen beteiligt wird, die Apture verwenden. Für Verlage ist an Apture attraktiv — und das ist eine seiner problematischen Seiten — dass die User auf den mit Medien ausgestatteten Seiten bleiben und nicht durch Links zu anderen Angeboten geschickt werden. Das Apture-Marketing nährt den Pfeifentraum der Medienhäuser
, alle Inhalte aus einer Hand anzubieten. Die Praxis wird zeigen, ob Apture die Vernetzung und damit den Linkjournalismus unterstützen wird oder das Abschotten von Inhalten.
Ein Hinweis auf PeopleBrowsr — hier kommte etwas Wichtiges auf uns zu! Robert
Scoble:
For the past few weeks I’ve been using PeopleBrowsr. Very cool. It’s
the most significant thing to happen to social networking since
FriendFeed came on the scene a year ago. [Twitter (and all social networks) will never be the same thanks to PeopleBrowsr«]
Wie PeopleBrowsr funktioniert, zeigt Scobles Video
PeopleBrowsr stellt der Benutzerin ein Steuerpult für soziale Netze zur
Verfügung. Über das Steuerbord kann man die Streams und
Benutzerprofile, auf die man in verschiedenen sozialen Netzen
(z.B. Twitter, flickr, YouTube, seesmic, friendfeed, LinkedIn) Zugriff
hat, ansehen, mischen und manipulieren. PeopleBrowsr ist eine
gemeinsame Schnittstelle zu den Daten verschiedener sozialer Netze,
die es erlaubt, diese Daten zu kombinieren, zu ergänzen (z.B. indem
man Informationen über Personen eingibt) und über die Grenzen der
einzelnen Services hinweg zu nutzen, indem man z.B. Botschaften an
eine Gruppe schickt, zu der User von Twitter, flickr und seesmic
gehören.
Brian Solis, der PeopleBrowsr mitgestaltete, schreibt:
With one simple to use browser-based hub, everyone can view, group, and communicate with friends, and friends of friends, in and across all of the popular networks. You can update status, view posts, connect with contacts, make new friends, and share content within and between networks. [PeopleBrowsr Centralizes Conversations & Relationships: Introduces A Dashboard for Social Networks]
Man kann mit PeopleBrowsr Personen, aber natürlich auch Marken
verfolgen, man kann sich ein Addressbuch anlegen, und man kann
differenziert suchen und sich die Suchergebnisse als Stream anzeigen lassen.
Ich habe PeopleBrowsr nur kurz getestet; die Alphaversion ist
vielversprechend. Es wird versucht, das Maximum aus den Daten
herauszuholen, die Personen im Web über sich selbst und ihre
Aktivitäten publizieren — auch ein Anlass dafür, sich intensiv mit dem Thema
Öffentlichkeit und Privatsphäre im Web 2.0
zu beschäftigen.
In die rechte Kolumne von Lost and Found habe ich unter Tips ein Linkblog eingefügt. Gemacht ist das Linkblog mit Publish2 (Blog hier), einem Service für Journalisten zum Sammeln und Austauschen von Links. Ins Leben gerufen hat ihn Scott Karp, der in seinem Blog Publishing 2.0 den Link-Journalismus ausgerufen hat und promotet. Publish2 hat die meisten Funktionen von Delicious und erlaubt es, Links auch an Delicious zu posten. (Was ich tue, denn für mich bleibt Delicious das wichtigste Werkzeug, um Informationen zu sammeln.)
Publish2 enthält aber auch Funktionen, die delicious nicht bietet, und die die Recherche und das Publizieren erleichtern. So kann man bei demselben Link private und öffentliche Notizen machen. In eigenen Feldern können das Veröffentlichungsdatum und die Quelle festgehalten werden. Außerdem gibt es drei Kategorien von Bookmarks: außer denen für die Publikation von Links kann man welche für laufende Recherchen und für Hinweise auf eigene Publikationen anlegen. Außer an Delicious lassen sich Links auch an Twitter schicken, wahlweise mit eigenem Text oder dem öffentlichen Kommentar für die Linksammlung.
Wichtigstes Arbeitsmittel ist ein Bookmarklet. Wie es funktioniert, habe ich in einem Screencast festgehalten:
Die Linksammlung jedes Benutzers ist auf einer Seite erreichbar; dort können die Links ausgetauscht und auch kommentiert werden. (Meine Publish2-Links sind außer in diesem Blog hier zu finden. Ein RSS-Feed kann hier über Feedburner abonniert werden.) Über diese Linksammlung kann man sich mit wenigen Klicks ein Widget erstellen, das man als Linkblog in sein Blog einbauen kann.
Publish2 integriert das Sammeln von Links in den journalistischen Workflow, und zwar in einer webgemäßen Weise, bei der Informationen auf allen Bearbeitungsstufen geteilt werden. Es gehört so in eine Reihe mit anderen Netzwerken für Journalisten, die verteiltes gemeinsames Arbeiten im Web erlauben, z.B. Wired Journalists.
Der Offenheit des Web 2.0 widerspricht, dass man zugelassen werden muss, wenn man Publish2 verwenden will. Es wird gecheckt, ob man entprechend professsionellen Standards arbeitet — für mich riecht das etwas nach Korporatismus. Ich fände es besser, wenn man sich innerhalb des Service ein Netzwerk von Vertrauenspersonen aufbauen könnte, statt gleich am Eingang geprüft zu werden. Allerdings hat die Bestätigung meines Accounts nur eine Stunde gedauert (als media outlet habe ich mein Blog angegeben) und ich freue mich, an dieser Initiative teilnehmen zu können.
Ich arbeite noch immer an einem Redesign dieses Blogs — vor allem, um in einer dritten Kolumne ein Linkblog und eine Blogroll hinzuzufügen. Leider erlaubt es Typepad nicht mehr, ein vorhandenes Design in Advanced Templates zu konvertieren. Damit lassen sich Disqus-Kommentare nicht mehr einfach in ein Typepad-Blog integrieren. Die Kommentare der letzten Wochen sind vorläufig leider nicht mehr sichtbar.
Ich bin dabei, das Layout meines Blogs zu verändern. Eine Änderung habe ich schon vorgenommen und ein Widget für die Suche mit Lijit eingebaut. Lijit schlägt Benutzern, die auf eine Seite meines Blogs stoßen, weil sie bei Google oder auf dem Blog selbst einen Suchbegriff eingegeben haben, weitere Inhalte vor. Dabei wird nicht nur in meinem Blog gesucht, sondern auch in anderen Inhalten von mit selbst oder von Leuten, die zu meinem Netzwerk gehören. Die Suchergebnisse stellt Lijit in einem Overlay-Fenster dar. Der Service beruht auf der Google Suche. Einerseits können also meine eigenen Inhalte besser gefunden werden. Andererseits können Leserinnen mein Blog als Ausgangspunkt für Abfragen nehmen, bei denen nur Quellen verwendet werden, denen ich vertraue.
Auf Lijit bin ich durch Louis Gray gestoßen; ich habe erst ein wenig damit experimentiert. Eine sehr gute Erfahrung habe ich mit der Kundenkommunikation von Lijit gemacht: ich konnte mein Blog zunächst nicht durchsuchen, weil Lijit bei Suchabfragen ein www.
vor den URL meines Blogs setzte. Nach einem Mail dauerte es keine 10 Minuten, und der Fehler war behoben. Thx Daniel Weiss!
Update, 13:28: Völlig entgangen war mir Ritchies ausführliches Post über Lijit.
Sehenswert — Michael Rosenblum vor englischen Zeitungsverlegern:
(Michael Rosenblum @ Society of Editors 08 from Paul Bradshaw on Vimeo; Fortsetzungen hier und hier)
Ein paar der Statements des Vaters des Videojournalismus:
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Videojournalisten arbeiten so schnell und flexibel wie schreibende Journalisten; sie sind den schwerfälligen Fernsehproduktionsteams weit überlegen.
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Bewegte Bilder zu produzieren ist nicht mehr aufwändiger als anderer Journalismus.
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Jeder Idiot
kann heute lernen, Fernsehen zu machen,jeder Neunjährige
kann professionell Video schneiden, wenn er will. -
Verlage leben nicht von Zeitungen oder Fernsehen, sondern davon, Gemeinschaften mit den Informationen und Geschichten zu versorgen, die sie brauchen.
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Wer nicht konsequent neue Techniken nutzt, wird so untergehen wie das französische Ritterheer gegen die englischen Bogenschützen in der Schlacht von Crécy.
Hier spricht ein Pionier des Genres; mir war bisher nicht klar, welche Bedeutung Rosenblum für die Entwicklung des Videojournalismus und damit des Onlinejournalismus hatte. (Neu sei Rosenblums Botschaft vielen Verlegern, aber nicht unbedingt ihren Angestellten, stellt Andy Dickinson fest, der fragt, warum Rosenblum bei diesem Publikum so gut ankommt.)
Kurz vor Jeff Jarvis hat Matt Thompson festgestellt, dass sich der Artikel nicht als Grundeinheit des Online-Journalismus eignet. Für Thompson ist entscheidend, dass sich ein abgeschlossener Artikel nur schwer aktualisieren lässt. Schreibt man ihn immer wieder um, wird er zerstört. Die Alternative bieten native Web-Formate wie Blog-Einträge und Wiki-Seiten. Je mehr sich das Prinzip Online First durchsetze (also Nachrichten zuerst im Web und erst später in einer Print-Ausgabe gebracht werden), desto mehr gingen Sites zu diesen Formaten über. Der Artikel wird, so Thompson, der Story, dem verwickelten, nie abgeschlossenen Geschehen, über das berichtet wird, nicht gerecht.
Interessant ist bei Thompson auch die Kritik, dass der herkömmliche Artikel sich zu wenig dazu eignet, den Kontext einer Nachricht deutlich zu machen. Umgekehrt — Thompson führt das in diesem Post nicht aus — kann man sagen, dass native Hypertext-Formate eigene Möglichkeiten bieten, Zusammenhänge darzustellen. Wikis bieten begriffliche Verknüpfungen, Blogeinträge verweisen auf den zeitlichen Kontext, dialogische Formate (Kommentare, Foreneinträge) stellen einen sozialen oder Diskussionskontext für die Meldung her, und Linksammlungen machen deutlich, welche Zusammenhänge es mit anderen Publikationen gibt.
Thompson bloggt in Newsless.org über seinen Versuch eine Nachrichten-Website zu konzipieren, die das Hauptgewicht auf den Kontext statt auf das zeitliche Nacheinander legt. Sein Programm formuliert er hier
Ein wichtiges Post von Jeff Jarvis wurde im deutschen Sprachraum
bisher nur wenig diskutiert: The building block of journalism is no
longer the article.
Jarvis fragt: Ist der Artikel, die Geschichte, wie wir sie vom Print-
und auch vom Radio- und Fernsehjournalismus her kennen, noch
zeitgemäß? Er antwortet klar: Nein. An die Stelle des Artikels muss etwas Neues
treten, das Jarvis provisorisch Topic nennt, und für das er auch andere
Bezeichnungen findet. (Mir gefällt beat bliki!) Ein solches journalistisches
Molekül besteht aus vier verschiedenen Elementen:
- einer kuratierten Sammlung von Links zu relevanten Informationen
über ein Thema; - einer Serie von Posts, die immer den neuesten Stand der Recherche und
ihrer Ergebnisse dokumentieren; - einer Wiki-artigen Zusammenstellung von Grund- und Hintergrundinformationen;
- der Diskussion des Themas.
Die neue Grundform des Journalismus ist
collaborative and distributed and open but organized. Think of it as
being inside a beat reporter’s head, while also sitting at a table
with all the experts who inform that reporter, as everyone there can
hear and answer questions asked from the rest of the room — and in
front of them all are links to more and ever-better information and
understanding.
Warum soll der Artikel oder die Story abgelöst werden? Jarvis‘
Hauptargument: Was
heute passiert (Stichwort: Finanzkrise), ist so komplex, dass es sich in
geschlossenen, geradlinigen Geschichten nicht wirklich wiedergeben lässt.
Hier möchte ich Jeff wiedersprechen. Es gibt andere Argumente für
die journalistische Basisform Topic, und sie alle finden sich bei Jarvis
auch. Nicht die Komplexität der Wirklichkeit fordert neue Formate
— war
die Realität 1933 oder 1945 weniger komplex? Die Eigenschaften des
neuen Mediums Web, deren Konsequenzen für den Journalismus niemand so
treffend charakterisiert wie Jarvis, machen den einmal geschriebenen, abgeschlossenen Artikel obsolet:
- Links, die die Einheit der Story
auflösen und dafür Informationen zusammenbringen, jedes neue Stück
Microcontent mit anderen verbinden; - kollaboratives Schreiben: Alle können zu einem Thema
beitragen, gleich ob sie Mitglied derselben, einer anderen oder gar
keiner Redaktion sind; - laufende Aktualisierungen — das Arbeiten jenseits des WORM-Prinzips (
write once, read many times
), von
dem Bob Wyman in den Kommentaren spricht; - die Archivierung von allem, was zu einem Thema publiziert wird,
im Web als einem gigantischen, durch Suchmaschinen erschlossenem Archiv.
Was Jarvis fordert — darin ist er sich mit den
meisten Kommentatoren seines Posts einig — wird bisher nur in Ausnahmen
verwirklicht. Jarvis hat nicht eine Lösung formuliert sondern eine
Aufgabe — eine der interessantesten für alle, die an
neuen journalistischen Formaten arbeiten.
Jarvis hat sein Konzept in seinem Blog und im Guardian wiederholt und präzisiert. Ich möchte versuchen, seine Idee
in weiteren Beiträgen dieses Blogs zu diskutieren, und ich hoffe, dass wir sie an unserem Studiengang auch umsetzen können, z.B. in der nächsten Ausgabe des
Magazins blank.