Ich versuche, Content-Strategie als Teil einer sehr breit verstandenen Semiotik zu verstehen. Anlass ist für mich ein Aufsatz Bruno Latours (Latour, 1998b, französisches Manuskript: Latour (1998a)). Mich interessieren dabei vor allem zwei Punkte:
- Die énonciation, die Äußerung eines Inhalts, ist entscheidend für das Verständnis des Inhalts—die Interpretation des Inhalts (ohne die es ihn nicht geben kann) erzeugt immer Bezüge zu den Situationen des Akteurs, der den Inhalt äußert (französisch: énonciateur), und des Akteurs, an den er gerichtet ist (französich: énonciataire).
- Diese Situationen werden in der Semiotik nicht als gegebene, außersprachliche Kontexte beschrieben, sondern sie sind selbst nur über Inhalte/Äußerungen/Semiosen erfassbar.
In einer Äußerung selbst wird ein Inhalt deiktisch auf die Äußerungssituation bezogen—damit findet für den Inhalt ein Prozess des embrayage statt, des Einkoppelns in die Äußerungssituation, auf die der énonciateur vor allem durch Pronomina verweist. Umgekehrt findet beim Berichten über einen Inhalt (das zu jeder Interpretation gehört) eine Auskopplung (débrayage) statt, bei der die deiktischen Verweise durch Beschreibungen ersetzt werden können.
Je nach Diskurs- (und für Latour: Existenz-)form unterscheiden sich die Beziehungen zwischen énonciation, énonciateur und énonciataire. In dem Aufsatz Latours ist es z.B. für die Wissenschaft charakteristisch, dass die Bedingungen, unter denen ein énonciateur etwas äußert, vom énonciataire in Bezug auf die Inhalte, die geäußert werden, nachvollzogen oder reproduziert werden können. Wissenschaftliches Sprechen ist durch den Anspruch auf diese Nachvollziehbarkeit charakterisiert. Wenn man über Wissenschaft spricht, dann spricht man auch über die énonciation in der Wissenschaft (und das unternimmt Latour in einem großen Teil seines Werks). Dabei werden die Teilnehmer der énonciation zu Gegenständen von Erzählungen, die selbst wiederum einen wissenschaftlichen Anspruch haben können. énonciateur und énonciataire sind Instanzen, die zur énonciation gehören, sie werden konstruiert und können nicht einfach mit etwas wie z.B. realen Menschen gleichgesetzt werden. Autorinnen und Autoren literarischer Texte z.B. produzieren sich durch diese Texte als Autorinnen und Autoren. Ihre Biographie ist Teil und Ergebnis ihres Werks und nicht einfach dessen Ursache und Erklärung.
Vieles in der Content-Strategie lässt sich besser verstehen oder rekonstruieren, wenn man von einem solchen Konzept der énonciation ausgeht. In Bezug auf das Content Strategy Quad in seiner neuen Version (Halvorson, 2018) lässt sich das hypothetisch so formulieren:
- Ein großer Teil der Strategie für die redaktionelle Komponente der Inhalte beschäftigt sich mit der Konstruktion des énonciateur, z.B. der Marke oder der Kernbotschaften, die diesen énonciateur definieren.
- Die Strategie für das, was man jetzt meist Content-Design nennt, lässt sich auch als Konstruktion des énonciataire der Inhalte verstehen.
- Die Prozesse hinter der Produktion der Inhalte lassen sich auch als semiotische Praktiken auf der Organisationsebene beschreiben, deren Gegenstände die Äußerungen sind, die für Adressaten außerhalb der Organisation produziert werden.
- Die Komponente der Systeme beschäftigt sich mit der Organisation der Inhalte, der énoncés selbst, die aber wiederum implizit und explizit auf ihre Äußerungen (enonciations) bezogen sind.
Diese vier Komponenten oder Praktiken verweisen aufeinander. Ich habe sie hier holzschnittartig aufgeführt. Ich bin am Anfang dieser Überlegungen. Aber ich merke z.B. bei der Lektüre von Projektarbeiten in unserem Studiengang, das man mit diesem Raster gut interpretieren kann, um was es in diesen Projekten geht.
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