Ist Contentstrategie als eine Disziplin möglich, die nicht direkt oder indirekt an weiteres Wachstum von Unternehmen und Wirtschaft gebunden ist? Hier Überlegungen dazu—zunächst ohne Belege und Verlinkung, in der Hoffnung, dass sie in dieser oder einer weiter entwickelten Form Diskussionen anregen.

Drei vergleichbare Industrien

In den vergangenen Monaten habe ich mich aus unterschiedlichen Anlässen über den ökologischen Fußabdruck verschiedener Industrien informiert: der Luftfahrt, des Computing und der Bauindustrie. Vor allem beim Lesen von Publikationen über das Baumaterial Beton ist mir aufgefallen, dass alle drei Branchen sehr viele Gemeinsamkeiten haben:

  • Alle drei haben einen erheblichen CO2-Fußabdruck, der allerdings weniger auffällt als der anderer Branchen.
  • Bei allen dreien ist das zukünftige Wachstum noch problematischer als die—ebenfalls enormen—aktuellen Folgen.
  • Alle drei Branchen verweisen auf kommende einschneidende Innovationen und Veränderungen, um ihren aktuellen ökologischen Fußabdruck zu rechtfertigen.

Wachstum und Steigerung

In Bezug auf die material flows funktionieren die Unternehmen dieser drei Branchen sehr ähnlich: Ihre Gewinne hängen zu einem erheblichen Teil von quantitativem Wachstum ab. Die Unternehmen machen sowohl Profit, indem sie vorhandene Ressourcen effizienter ausbeuten—und zwar endliche Ressourcen, die scheinbar unendlich zur Verfügung stehen—als auch, indem sie immer mehr von ihnen ausbeuten. Die Effizienzgewinne wurden dabei bisher immer durch das quantitative Wachstum ausgeglichen oder übertroffen. Die Unternehmen verdienen nicht nur, aber immer auch daran, dass sie materielle Ressourcen verkaufen, und je mehr dieser Ressourcen sie verkaufen können, desto höher ist ihr Profit.

Die Branchenpublikationen in diesen drei Bereichen zeigen, wie groß der Rechtfertigungsdruck für dieses Geschäftsmodell inzwischen ist. Mit enormen Anstrengungen wird die aktuelle ökologische Bilanz kaschiert: Die Branchen versuchen, sich selbst als grün darzustellen, indem sie ihr Kerngeschäft als etwas präsentieren, dass vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden kann.

  • Luftfahrt verbraucht zwar im Moment Erdöl und belastet die Atmosphäre, aber das Fliegen wird immer sauberer, weil immer weniger Treibstoff verbraucht wird. Irgendwann in der Zukunft wird man das Fliegen ganz von fossilen Brennstoffen abgekoppelt haben.
  • Computing und Internet verbrauchen zwar mehr Strom, als weltweit regenerativ gewonnen werden kann, und sie benötigen Rohmaterialien, die nur begrenzt zur Verfügung stehen und unter katastrophalen sozialen Bedingungen gewonnen werden, aber irgendwann wird man nur noch sauberen Strom nutzen und das Computing völlig dematerialisieren.
  • Bei der Betonproduktion für die Bauindustrie wird zwar CO2 freigesetzt, aber Energieverbrauch und CO2-Emissionen werden immer weiter reduziert, und irgendwann wird es klimaneutralen oder fast klimaneutralen Beton geben.

Innovation in der Zukunft

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Illegale Colatn-Mine. Fotograf: CarlosE Duarte, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mineria_Ilegal_de_Coltan_en_Zancudo,Guania-_panoramio.jpg
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Illegale Coltan-Mine. Fotograf: CarlosE Duarte, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mineria_Ilegal_de_Coltan_en_Zancudo,Guania-_panoramio.jpg

In allen drei Fällen wird auf disruptive Innovationen gesetzt, die es noch nicht gibt. Spätestens 2050 werden saubere Techniken zur Verfügung stehen. Die drei Branchen unterscheiden sich nur darin, wie wahrscheinlich es solche Techniken geben wird: In der Flugindustrie sind sie wohl grundsätzlich nicht möglich, bei der Betonherstellung muss man sich auf Carbon Capturing verlassen, während sich beim Computing Energie grundsätzlich nur aus regenerativen Quellen gewinnen lässt, wobei allerdings weiter materielle Ressourcen für die Produktion der Devices nötig sind, und diese besonders schnell wachsende Branche durch die Konsumsteigerungen, die sie ermöglicht, extrem hohe indirekte materielle Folgen hat.

Alternative Geschäftsmodelle

Die ökologische Problem dieser Branchen liegt darin begründet, dass sie grundsätzlich davon leben, materielle Ressourcen in Produkte zu verwandeln, und dass sie dadurch wachsen, dass sie mehr Ressourcen verbrauchen. Dieses Geschäftsprinzip schließt ein Decoupling völlig oder auf sehr lange Zeit aus. Die Menge der verkauften materiellen Produkte ist entscheidend für den Profit, den die Unternehmen machen, und es werden immer mehr Ressourcen verbraucht werden, weil die Menge verkaufter Produkte die Chancen am Markt und die Verzinsung des eingesetzten Kapitals steigert. Zwischen der Steigerung des Return on Invest und dem Verbrauch materieller Ressourcen besteht eine Verbindung, auch wenn der Gewinn nicht direkt an den Ressourcenverbrauch gebunden ist—anders als in den Rohstoffbranchen.

Ich vermute, dass eine Ökologisierung, also die völlige Abkoppelung von einem ökologisch gefährlichen Ressourcenverbrauch, der Geschäftlogik dieser industriellen Branchen widerspricht, also nicht nur von Technologien abhängig ist. Wenn Unternehmen in diesen Branchen Möglichkeiten, vorhandene Ressourcen zu nutzen, nicht wahrnehmen, also z.B. freiwillig weniger verkaufen würden, würden sie sich gegenüber ihren Wettbewerbern schwächen und die Renditen ihrer Kapitalgeber senken. Sie müssen ausnutzen, was ihnen zur Verfügung steht—ob es sich nun um seltene Erden, Sand oder ein CO2-Budget handelt.

Eine Alternative dazu stellen Unternehmen oder Organisationen dar, deren Geschäft nicht vom Verkauf von Produkten abhängt, deren Wachstumsmöglichkeiten also beschränkt sind. Solche Unternehmen sind einerseits nicht beliebig skalierbar, und sie sind andererseits auf Suffizienz ausgerichtet: Sie befriedigen nicht wachsende, sondern konstant bleibende Bedürfnisse, und zu ihren Leistungen gehört ein berechenbarer geringer oder sich verringernden Ressourcenverbrauch, der nicht durch eine Steigerung der verkauften Stückzahlen ausgeglichen wird. Beispiele für solche Unternehmen sind für mich Fairphone oder hier in Graz ein Zero-Waste-Laden wie Dekagramm.

Im Wettbewerb mit Unternehmen, die vom gesteigerten Ressourcenverbrauch abhängen, sind solche Unternehmen benachteiligt und deshalb langfristig auf einen politisch gesteuerten Systemwechsel angewiesen. Es gehört zu ihrem Geschäftsmodell, so wenig wie möglich zu verkaufen. Fairphone bietet nicht alle zwei Jahre ein neues Handy an und verzichtet damit auf Umsatz. Die Leistung von Faiphone besteht darin, ressourcenschonendes mobiles Computing und Telefonieren in einem ausreichenden Maß, also suffizient anzubieten. Eine Steigerung der Kundenzahl ist nur so weit möglich, wie das Unternehmen nicht gegen dieses Geschäftsprinzip verstößt. Die Geschäftslogik ist eine andere als die industrielle Logik.

Contentstrategie für suffiziente Services

Mich interessieren die Folgen eines solchen Geschäftprinzips oder modus operandi für die Kommunikation von Unternehmen oder Organisationen, für ihre Contentstrategie. Die Inhalte solcher Unternehmen unterscheiden sich deutlich von den Inhalten in industriellen Branchen. Die Licence to operate bei nachhaltigen Unternehmen ergibt sich daraus, dass der Ressourcenverbrauch durch die Suffizienz des angebotenen Produkts oder Service begrenzt ist und dass er mit einem Leben innerhalb der planetary boundaries vereinbar ist. Die Stakeholder sind nicht nur die Kunden, sondern auch die Öffentlichkeit und ihre policy makers sowie die menschlichen und nichtmenschlichen Akteure, die in die Produktion involviert sind und bei denen sichergestellt sein muss, dass sie sich regenerieren können. In vielen Fällen wird das Überleben solcher nachhaltiger Unternehmen von Kooperationen mit anderen Akteuren abhängen, die ihnen Ressourcen nicht für mehr Produkte, sondern für die Reduktion des Ressourcenverbrauchs zur Verfügung stellen. Das alles wirkt sich auf die Inhalte dieser Unternehmen aus und ist auf Inhalte angewiesen.

Ich sehe für die Contentstrategie eine Aufgabe darin, diese Inhalte systematisch zu untersuchen und herauszufinden, wie sie sich so realisieren lassen, dass sie von den Nutzerinnen und Nutzern suffizienter Services akzeptiert werden und sich auch alle anderen Stakeholder in ihnen wiederfinden. Die Gestalt der Contentstrategie hängt hier, aber auch sonst, von Geschäfts und Unternehmens-/Organisationsmodellen ab. Untersuchungen von Organisationsinhalten in der Suffizienwirtschaft machen damit auch deutlich, welche Voraussetzungen andere Inhalte und Inhaltsstrategien haben und wie eng sie an Geschäftsmodelle z.B. der überkommenen industriellen Branchen gebunden sind.

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