Ich würde gerne länger über dieses Buch schreiben, aber ich schaffe heute nur einen kurzen Hinweis:
In Grouped: How small groups of friends are the key to influence on the social web gibt Paul Adams einen Überblick über sozialwissenschaftliche Forschungen, die erklären, wie soziale Netzwerke funktionieren. Adams‘ Buch ist eine populärwissenschaftliche Synthese sehr vieler Studien, und man wünscht sich die Zeit, um allen Hinweisen in den Anmerkungen nachgehen zu können.

Ich habe schon vor einiger Zeit über Paul Adams geschrieben. Er gilt als einer der Köpfe hinter Google+, arbeitet inzwischen selbst aber bei Facebook.

Adams geht es vor allem darum, dass die Beziehungen in sozialen Netzen nicht gleichförmig sind, sondern sich sowohl in ihrer Intensität (enge Freunde, weniger enge Freunde usw.) wie in ihren Inhalten (Familie, Kollegen, Schulfreune usw) qualitativ unterscheiden. Die Gruppen, die sich so ergeben, sind aber nicht voneinander abgeschlossen, sondern über ihre Mitglieder miteinander verbunden; sie beinflussen sich. Wenn man verstehen will, wie und warum sich Menschen beeinflussen, muss man die Struktur ihrer sozialen Netze kennen. Man könnte auch sagen: Menschen handeln nicht als Individuen oder als Massen, sondern als Teile von sozialen Netzen, wobei jeder Mensch zu verschiedenen solcher Netze gehört. In dieser Allgemeinheit wirken solche Aussagen banal. Das Funktionieren sozialer Netze im Konkreten ist aber alles andere als bekannt, und es ist den Teilnehmer auch keineswegs bewusst. So lassen sich große Mengen von Menschen am besten über kleine Gruppen enger Freunde beeinflussen, nicht über das breite Streuen von Botschaften. Den größten Einfluss auf unser Verhalten üben die Freunde von Freunden von Freunden aus.

Die Forschungen, auf die sich Adams stützt, haben sozialwissenschaftliche Modelle abgelöst, die Gesellschaften als Aggregate oder Systeme von Individuen darstellen, die man vor allem statistisch erfassen kann. Adams fordert, daraus Konsequenzen für das Marketing zu ziehen und sich vor allem vom Mythos der Influencer zu verabschieden, also von Individuen, die angeblich einen besonderen Einfluss auf eine große Zahl von Menschen haben. Die Individuen mit den meisten Verbindungen in Netzwerken üben nicht den größten Einfluss aus, und beeinflusst werden auch nicht Individuen sondern Gruppen bzw. Menschen, die miteinander vernetzt sind.

Adams‘ Buch liegt die These zugrunde, dass heute das Web der Menschen das Web der Dokumente ablöst. Aber die Menschen beeinflussen sich über Inhalte, und aus Adams Konzepten ergeben sich vor allem Forderungen an wirkungsvolle Inhalte. Sie müssen kleine Gruppen ansprechen und sie müssen innerhalb dieser Gruppen gerne ausgetauscht werden, nur dann erreichen sie auch weitere, mit diesen kleinen Gruppen lose verbundene Netze.

Man hat, wie ich oben erwähnt habe, Adams oft als Theoretiker hinter Google+ verstanden. Tatsächlich macht sein Ansatz die Kreise, also das auffälligste Feature dieses Dienstes, verständlich. Allerdings gab es sie bei dem dezentralen Netzwerk Dispora lange vorher. Mir kommt es so vor, als hätten sich die Entwickler von Path sehr genau an die Konzepte von Adams gehalten. Die maximale Zahl der Freunde ist 150 (die Dunbar-Zahl, die die maximale Anzahl stabiler Beziehungen eines Menschen angibt). Path ist auf Austausch mit wenigen Freunden ausgelegt, und die Kommerzialisierung wird wohl auch über Empfehlungsmarketing in kleinen Kreisen erfolgen.

Ich habe hier nur einige der vielen Themen und Ideen in Grouped angeschnitten. Ich kann das Buch nur empfehlen. Man muss es sicher mehr als nur einmal lesen, um Konsequenzen daraus zu ziehen.

5 Kommentare zu “Das Ende des Mythos vom Influencer: Paul Adams' Buch "Grouped"

  1. „Die Individuen mit den meisten Verbindungen in Netzwerken üben nicht den größten Einfluss aus, und beeinflusst werden auch nicht Individuen sondern Gruppen bzw. Menschen, die miteinander vernetzt sind.“
    Das sehe ich als einen fundamentalen Punkt.
    Denn er führt die Strategie vieler Individuen ad absurdum, die mit Hilfe von Social Media nur nach der Maximierung ihrer Kontaktanzahl streben, um ´über diese „Verteiler“ ihre Dienstleistung anzupreisen.
    Man vergleiche dazu die Zunahme von Aktivitäten selbsternannter „Power-Netzwerker“ mit 15.000 Kontakten in 6 Monaten auf Xing“ mit Spam-Einladungen zu Gruppen und Kontakten). Mit dieser Strategie fügen sie aus meiner Sicht nur den Sozialen Netzwerkplattformen einen enormen Schaden zu, sie nehmen das „soziale Leben“ heraus.
    Ich zitiere dazu frei nach Werner Schachner:
    „Netzwerken heißt Tun. Netzwerken heißt nicht die Anzahl der Kontakte planlos zu maximieren.“

  2. Besonders wichtig finde ich die Aussage über die Bedeutung von Inhalten. Daraus ergibt sich aus Marketingperspektive zwangläufig die Unabdingbarkeit hoher Qualität und Relevanz der kommunizierten Inhalte. Nur dann werden die Inhalte weitergetragen und können zur Meinungsbildung beitragen.

  3. Die Art und Weise wie Adams den Influencer definiert bzw. Sie Adams wiedergeben hat nichts mit dem empirisch gefunden Influencer zu tun. Wenn ich mich recht erinnere kam die Sozial- und Kommunikationsforschung in den 30er Jahren darauf und Influencer waren/sind Meinungsführer in relativ überschaubaren sozialen Gruppen. Das ist kein Mythos sondern empirisch und erfahrungswissenschaftlich gut belegt. Mein begrenztes Wissen darüber stammt aus dem Buch „Propaganda“ von Thymian Bussemer, für mich das beste Buch über Kommunikation(sforschung).
    Danke dennoch für den Hinweis auf das Buch von Adams, es klingt unteressant.

  4. Hier ist ein typisches Zitat von Adams: "We look back after an event has occurred, see the most visible person, and assume they wielded the greates influence. Tis is the problem with Gladwell's Law of the Few. It's easier to attribute success to an inspirational person, rather than try to understand the complex network in which they are situated". Adams bezieht sich oft kritisch auf Gladwell, und er meint natürlich auch das gängige, meist nicht weiter hinterfragte Reden von Influencern in Marketing und PR. In seiner Kritik bezieht er sich auf zahlreiche empirische Untersuchungen. So weit ich weiss, standen die Verfahren der Netzwerkanalyse in den 30er Jahren noch nicht zur Verfügung, so dass man diese älteren Forschungen nicht einfach als Gegenargument verwenden kann.
    Jedenfalls vielen Dank für den Hinweis auf die Geschichte des Begriffs "Influencer"!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.