Sollen Journalisten akademisch ausgebildet werden? Wie sollen Journalisten akademisch ausgebildet werden? Ein Dauerthema in Journalismus- und J-school-Blogs. (J-school ist der englische Ausdruck für Journalismus-Schulen, vor allem für die Journalismus-Fakultäten an den Universitäten.)

„Open J-School“

In den starred items meines Feedreaders haben sich einige Posts zu diesem Thema angesammelt; ein paar habe ich am Wochenende gelesen. Ein Schlagwort in Jay Rosen’s Tweets fasst die Diskussionen zusammen: open J-school, offene Journalistenschule. Gefordert ist eine Ausbildung in Sichtweite von und oft in Tuchfühlung mit den Änderungen in der Medien- und Kommunikationstechnik und der Wirtschaft. Sie muss widerspiegeln, dass sich die Rolle der Journalisten radikal wandelt, dass die Journalisten von Gatekeepern zu Knoten in einem Netzwerk werden, in dem Nachrichten immer mehr horizontal statt vertikal verbreitet werden.

Journalisten brauchen heute Kompetenzen, die die klassische Ausbildung—in Schulen oder Hochschulen, aber auch on the job—nicht vermitteln kann. Andere Disziplinen müssen eine größere Rolle spielen:

Mostly, I think j-schools need to be coordinating (even integrating) more closely with other departments — mainly business schools and departments of computer science and library science. … But if journalists need to learn skills that, by and large, j-schools and journalism professors don’t yet possess, then it probably makes sense to partner with other relevant departments in a college or university [Amy Gahran: Busting J-School Silos: What Will it Take?].

Allerdings zweifel Amy Gahran an der Fähigkeit von Journalistenschulen und der Universität insgesamt, auf schnelle Veränderungen zu reagieren, sie warnt vor institutioneller Trägheit.

Web Literacy

Web-Kompetenz, web literacy, ist die wichtigste unter den Fähigkeiten, die Journalisten heute und in Zukunft brauchen, die ihnen aber bisher nicht ausreichend vermittelt werden können. King Kaufman:

If you’re not willing to work on the Web, do more than write, get your hands dirty with code, blog, be a social media pro, etc, than journalism isn’t for you. If you don’t like turmoil, seek a different career. Journalism is going through a massive transformation right now, and unfortunately most journalism schools are not preparing students for those transformations [Let’s be honest about J-school – King Kaufman – Open Salon].

Allerdings macht web literacy allein keinen guten Journalisten, darüber sind sich die amerikanischen J-Blogger einig. Journalisten werden auch in Zukunft vor allem Geschichten finden und erzählen. Auf den journalistischen Anspruch dürfen Journalistenschulen nicht verzichten. Doc Searls kann niemand Missachtung des Web oder Wirtschaftsferne vorwerfen. Er macht sich darüber lustig, dass die renommierte Medill School of Journalism den Journalismus aus ihrem Namen tilgt, und spricht von der School of Journalism Marketing and Stuff. Achten wir auch hier darauf, dass wir nicht zu einer Schule für Journalismus, Marketing und Zeugs werden!

Breites Bachelor-Studium

Journalismus als Handwerk lässt sich nicht an Schulen und Universitäten lernen. Mindy McAdams:

No one learns how to do anything by sitting in a classroom and listening to a teacher. That might be a great way to get started — but the real learning is going to happen somewhere else [Teaching Online Journalism » Experience, the best teacher].

Trotzdem ist es sinnvoll, Journalismus zu studieren—allerdings in dem Wissen, dass die journalistische Praxis auch nur in der Praxis erlernt werden kann. Auch on the Job lassen sich die Fähigkeiten, die Journalisten in Zukunft brachen, heute kaum erwerben.

On-the-job training (as if there were anyone in today’s newsrooms who would or could train the new kid) is not going to suffice, because today’s journalist actually does need to be well educated.

Interessant ist, dass in den USA deutlich zwischen den Funktionen des Bachelor- oder Undergraduate- und des Master- oder Graduate-Studiums unterschieden wird. Ich glaube wie Mindy McAdams, dass das Bachelor-Studium eine breite Qualifikation vermitteln, also auch allgemeinbildend sein sollte:

The years spent at university as an undergrad are not meant to be job training. In North America, at least, those years serve as a transition between who you were as a child and who you will become. That has to do with a lot more than the job you will get after graduation.

Gerade gegenüber radikalem sozialen, ökonomischen und technischen Wandel sind die allgemeinen Qualifikationen oder Metaqualifikationen wichtiger als ein Fachwissen, das ohnehin nicht beständig ist:

The general ed courses fulfill the role that a liberal arts education has always fulfilled (or at least, they’re meant to): completing your education. Put another way, the undergraduate journey is supposed to lead to your becoming an educated person.

Der Sinn eines Bachelor-Studiums im Journalismus besteht also nicht nur darin, auf eine Berufstätigkeit als Journalist vorzubereiten. Die journalistische Bildung oder Ausbildung kann zu vielen anderen Tätigkeiten führen. Um es etwas phrasenhaft auszudrücken: Je wichtiger Kommunikation in vielen sozialen Bereichen wird, und je mehr dank der Möglichkeiten des Netzes jeder Medien herstellen und veröffentlichen kann, desto größer wird der Bedarf nach Menschen mit einer journalistischen Ausbildung, die in ganz verschiedenen Berufen und Funktionen für die Qualität von Informationen verantwortlich sind. Dazu muss die Ausbildung sich allerdings vor allem an journalistischer Qualität orientieren:

I do not think universities commit fraud if they admit hundreds of new journalism majors each year. I do believe that a journalism program commits fraud if it hands out journalism degrees to students who can’t write, can’t fact-check properly, or can’t use the necessary tools of journalism in the 21st century. [Teaching Online Journalism » Why does anyone major in journalism?]

Business-Orientierung im Master

Journalistische Master-Programme sind in den USA und in Großbritannien zunehmend mehr auf Entreperneurship ausgerichtet. Nicht so sehr unmittelbar journalistische Qualitäten sind das Ziel (die sich besser außerhalb der Hochschue erwerben lassen), als die Fähigkeit, mit diesen Fähigkeiten selbst wirtschaftlich zu überleben und neue Typen von Dienstleistungen und Medien zu entwickeln. King Kaufman:

If you already have journalism experience and lots of clips, I’d only attend a program that is going to modernize your skills and thought processes (and you’re not a self starter). This is where programs that are heavy into entrepreneurism make a lot of sense.

Außer in entsprechenden Programmen in den USA (z.B. an der CUNY Graduate School of Journalism und der New York University) wird journalistische Entrepreneuship jetzt auch an der Universität Birmingham unterrichtet.

Die NewYorker Columbia University sucht nach neuen Geschäftsmodellen für Nachrichten; dabei arbeitet sie mit Unternehmen zusammen, die sich untereinander lange erbittert Konkurrenz gemacht haben.

Hier in Graz sind wir mit der Konzeption unseres Master noch nicht fertig. Es ist sicher sinnvoll, dass wir uns intensiv mit den Diskussionen in den USA beschäftigen—schon weil es dort eine ganz andere Tradition von journalistischen Bachelor- und Masterstudiengängen gibt. Die Orientierung an Allgemeinbildung im Bachelor und an Entrepreneurship im Master halte ich auch bei unseren Studiengang (in dem Journalismus und PR unterrichtet werden) für eine sinnvolle, wenn auch sicher nicht für die einzige, Option. Das Ideal einer open J-School sollten wir in jedem Fall hochhalten.

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