Durch den letzten Circular Metabolism Podcast – einen meiner Lieblings-Podcasts – bin ich auf das Konzept und die Bewegung des Bioregionalismus aufmerksam geworden. Mich interessieren schon länger Möglichkeiten, den räumlichen Charakter ökologischer und sozialer Situationen zu erfassen und daraus politische Konsequenzen zu ziehen. Im Bioregionalismus wurden und werden solche Möglichkeiten formuliert – in einer nicht mehr anthropozentrischen Weise, die soziale und biologische Räume als nicht voneinander ablösbar begreift. Der Bioregionalismus war und ist im Design und der Architektur, aber auch im Aktivismus sehr produktiv – vielleicht, weil sich aus einem einfachen Ansatz neue Perspektiven auf sehr unterschiedlichen Gebieten ergeben.

In der Podcast-Folge spricht der Host ‪Aristide Athanassiadis‬‬ mit dem Architekten Mathias Rollot, der viel zum Bioregionalismus publiziert und Dwellers in the Land, ein grundlegendes Buch dieser Bewegung, übersetzt hat.

Bioregionalismus ist ein ökologischer Gesellschafts- und Wirtschaftsentwurf. Er fordert, alle Lebensbereiche auf der Grundlage der Vielfalt der Lebewesen in einer Region zu gestalten. Die biologische Vielfalt muss so kultiviert werden, dass die Menschen ihre Bedürfnisse mit den regionalen Ressourcen erfüllen können (was Austausch mit anderen Regionen nicht ausschließt).

Was eine Bioregion ist, hängt vor allem von den Gewässern in einem Gebiet ab. Bioregionen werden deshalb oft als Fluss-Einzugsgebiete definiert. Wie Fluss-Systeme sind Bioregionen ineinander eingebettet und können ineinander übergehen.

Der Bioregionalismus entstand in den USA in den 70er Jahren, er wurde zuerst vor allem von dem Philosophen Peter Berg vertreten. Als architektonische und Design-Bewegung geht er vor allem auf den italienischen Architekten Alberto Magnaghi zurück. Es gibt viele Ausprägungen dieser Bewegung, vor allem in der Architektur und in der politischen Ökologie.

„Bioregionen“ können in zwei sehr unterschiedlichen Weisen verstanden werden, wie es die Rezeption des Bioregionalismus durch radikale Rechte und durch antikolonialistische Linke zeigt:

Ähnlich wie nach der ersten Formulierung des Konzepts der Décroissance in Frankreich interessierten sich sehr früh rechte Gruppierungen für den Bioregionalismus. (Décroissance ist das französische Wort für degrowth; es wurde in Frankreich unter anderem durch André Gorz und durch Übersetzungen von Texten Nicholas Georgescu-Roegens bekannt.) Von den Rechten wird Bioregionalismus vor allem als Forderung nach Behauptung des Ursprünglichen, des Autochthonen verstanden – als Rechtfertigung des Kampfes gegen angeblich fremde Einflüsse.

Wenn ich es richtig sehe, setzt die Rechte das Lokale dem Globalen letztlich entgegen, um Privilegien zu erhalten – wobei sie das Lokale zum Ursprünglichen erklärt und mythisiert. Sie wehrt sich gegen die „Zerstörung von Werten“ durch die Globalisierung und kämpft z.B. für die „Festung Österreich“ oder die „Festung Europa“.

Ganz anders die „linke“ Rezeption des Bioregionalismus, die ihn vor allem antikolonialistisch begreift, und an die Mathias Rollot anschließt. Eine Bioregion zu bewahren bedeutet dann, sie vor Ausbeutung und Zerstörung durch Akteure aus anderen Regionen, vor allem aus dem globalen Norden, zu schützen

Der „linke“ Bioregionalismus unterscheidet sich von anderen linken Bewegungen dadurch, dass er Gerechtigkeit nicht nur als soziale, sondern immer auch als räumliche Frage versteht. Er tritt für „räumliche Gerechtigkeit“ ein und wehrt sich gegen die Kolonisierung von Regionen. Er kann – darauf wird in der Podcastfolge nicht eingegangen – mit Elementen des rechten Bioregionalismus amalgamiert werden.

Ich verstehe Bioregionalismus als – gut kommunizierbare –Antwort auf die Frage, wie eine Gesellschaft organisiert ist, die die planetaren Grenzen nicht überschreitet.

Wenn der Schutz der Biosphäre vor allem als globale Aufgabe verstanden wird, dann wird er machtlosen oder auch noch gar nicht vorhandenen Akteuren überlassen, die sich gegen die wirtschaftliche und geopolitischen Interessen regionaler Akteure nicht oder kaum durchsetzen.

Wenn dagegen lokale Akteure die eigene Region so gestalten, dass sie nicht ausgebeutet wird und auch nicht andere Regionen ausbeutet, trägt das wirksam zum Schutz des ganzen „Erdsystems“ bei. Umgekehrt ist die Erhaltung der Biodiversität und damit die Milderung der ökosozialen Krisen nur möglich, wenn lokal, also in den „Bioregionen“, eine regenerative, nicht auf Erschöpfung der Ressourcen ausgerichtete Wirtschaft und Kultur entwickelt wird.

Eine Postwachstums-Wirtschaft kann ich mir deshalb nicht anders vorstellen als territorial, nach „Bioregionen“ organisiert. Alternativen – weder realistisch noch wünschbar – wären eine Art globaler ökologischer Monsterstaat oder -staatenbund, der jeden Wirtschaftsprozess auf der Erde hinsichtlich seiner ökologischen Konsequenzen überwacht, oder eine – wohl nur durch einen solchen Staat oder Staatenbund durchsetzbare – globale ökologische Bepreisung aller Güter und Dienstleistungen.

Ökologische Probleme – wie das der weiter nicht gebremsten fossilen Energienutzung – lassen sich immer auch als Probleme der räumlichen Gerechtigkeit (im Sinne von Edward Soja) formulieren, als Probleme von Energie-, Kapital-, Ressourcen und Abfallflüssen in und zwischen Regionen und der Kontrolle dieser Flüsse, also der – mit räumlichen Infrastrukturen verbundenen – Macht.

Der Bioregionalismus stellt diese Flüsse aus der Perspektive einer ökologisch verstandenen räumlichen Gerechtigkeit politisch in Frage und formuliert geografische, territoriale Alternativen. Er setzt bei der Erschöpfung von Regionen, bei der Zerstörung ihrer Regenerationsfähigkeit an, fordert lokale Macht über die Ressourcenflüsse, durch die die Region zerstört wird, und damit auch Infrastrukturen, die dezentral organisiert sind.

Die „räumliche Gerechtigkeit“ besteht dabei nicht einfach in der Herstellung des Rechts auf Ausbeutung der lokalen Ressourcen, sondern sie muss einen regenerativen Umgang mit diesen Ressourcen, mit der biologischen Vielfalt in der Region anstreben. Ohne einen solchen Umgang mit den Ressourcen wird die Überlebensfähigkeit der Region zerstört.

Für Alternativen zur kolonialistischen oder globalistischen Ausbeutung und Erschöpfung der Bioregionen kann man lokal kämpfen, etwa gegen Straßenbauten und Flussverbauungen. Damit können im Bioregionalismus die Forderungen einer ökologischen Klasse zusammenlaufen, die die führende Rolle im Kampf gegen die Zerstörung der Lebensgrundlagen übernimmt.

Die „Bioregionen“ werden damit wichtige, vielleicht die wichtigsten Akteure gegen die bestehenden Wirtschaftsstrukturen, in denen lokale ökologisch-soziale Strukturen im Dienst der Akkumulation von Reichtümern in wenigen Territorien und Zonen zerstört werden.

Mich interessieren die Möglichkeiten, Bioregionalismus und räumliche Gerechtigkeit explizit zu verbinden, um den Gefahren eines „rechten“ Bioregionalismus und einer bloßen Entgegensetzung des positiv bewerteten „Lokalen“ und des negativ bewerteten „Globalen“ zu entgehen. Verbindet man Bioregioanalismus ausdrücklich mit der Forderung nach räumlicher Gerechtigkeit, dann setzt man die Bioregion nicht dem „Globalen“, sondern der kolonialistischen Ausbeutung durch wiederum lokale oder regionale Akteure entgegen, vor allem durch das räumlich hoch konzentrierte Kapital. Damit öffnet man den Weg für einen kosmopolitischen Bioregionalismus, der Gerechtigkeit nicht nur für die eigene Region fordert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.