Manuskript einer Rede anlässlich der Gala zur Wolfgang Lorenz Gedenkpreis für internetfreie Minuten 2010.

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Galateilnehmer!

Verneigen wir uns zunächst vor der Weitsicht unseres Namensgebers. Vor zwei Jahren hat Wolfgang Lorenz es gewagt. In der Provinz, in Graz, im Nebenraum des Stadtmuseums, hat er auf den Punkt gebracht, was uns schon seit Jahren dumpf bewegt, hat er endlich präzis formuliert, was wir vor ihm nicht aussprechen konnten:

Lassen Sie mich mit diesem Scheiss-Internet in Ruhe!

Lorenz‘ Ruf verhallte nicht ungehört. Studenten trugen ihn weiter, selbst in die Weiten des weltweiten Internets. Zeitungen verbreiteten ihn. Johannes Grenzfurthner und die Künstlergruppe monochrom nahmen den Ewigkeitswert der Lorenzschen Formulierung als Anlass, einen Preis zu stiften für jene, die sich in unserer haltlosen Zeit für Ewigkeitswerte einsetzen und gegen den Malstrom der ungeprüften Informationen, der unberufenen Blogger und der unbezahlten Kulturgüter: den Wolfgang-Lorenz-Gedenkpreis für internetfreie Minuten.

Er wurde vor zwei Jahren gestiftet und vor einem Jahr zum ersten Mal verliehen—hier, in der Metropole Wien—, und um ihn herum entstand eine Bewegung. Der Kampf für internetfreie Minuten fand immer mehr Anhänger. Die Bewegung, unsere Bewegung, wurde breiter und breiter. Heute, gegen Ende des Jahres 2010, blicken wir zurück und gedenken einiger Höhepunkte unseres Kampfes.

I: Taten

Drei Ereignisse hier in Österreich möchte ich herausgreifen. drei Ereignisse, die zeigen, dass unser Kampf erfolgreich sein kann, dass wir diesem Internet und seinen Vorkämpfern nicht wehrlos ausgesetzt sind.

Im Frühjahr 2010 wurde Google Streeview wenigstens parziell gestoppt. Damit erweiterte und vertiefte sich unser Eintreten für internetfreie Minuten. Das Recht auf den internetfreien Vorgarten wird hoffentlich bald festgeschrieben. Unsere deutschen Freunde sind, wie wir sehen, mit dem gleichen Ansinnen durchaus erfolgreich.

Schon 2009 war ein Ereignis vorangegangen, dessen Folgen viele von uns noch gar nicht ermessen können. Ins Leben gerufen wurde die Plattform Geistiges Eigentum. Hinter ihr stehen die geistigen Eliten dieses Landes, vertreten durch den Verband Österreichischer Zeitungen und den Verband der Österreichischen Musikwirtschaft. Die Plattform Geistiges Eigentum spricht aus, um was es in unserer Zeit geht:

Geistiges Eigentum ist das Öl des 21. Jahrhunderts.

Und sie zeigt schon in dieser Bildlichkeit, dass sie begriffen hat, was die Menschen heute bewegt

Die Plattform Geistiges Eigentum bündelt unsere Anstrengungen, und sie bündelt auch unser Wissen über den Kampf gegen die Tiefen des Netzes. Auf der Website der Plattform—leider können wir selbst noch nicht auf dieses Medium verzichten— erfahren wir z.B., dass die ACTA-Regelungen endlich vom europäischen Parlament durchgewunken wurden.

Ein drittes Ereignis, in diesem Land vielleicht der Höhepunkt im Kampf für internetfreie Minuten: das neue ORF-Gesetz, erkämpft vom Verband Österreichischer Zeitungsverleger. Endlich geht es damit in die Gegenrichtung: Nicht mehr, sondern weniger Internet! Keine ausfühliche Lokalberichterstattung mehr. Keine Verzettelung durch Diskussionen in den Foren. Keinerlei Kooperation mit sozialen Netzwerken. Der ORF, so stellen wir mit Befriedigung fest, ist heute. —weitgehend—internetfrei. Und auch hier wissen wir uns einig mit unseren deutschen Freunden, bei denen der öffentlich rechtliche Rundfunk sich seit dem ersten September wieder auf seine Kernaufgaben konzentrieren kann.

Der Stopp von Streetview, die Gründung der Plattform Geistiges Eigentum und das ORF-Gesetz—das sind drei fast willkürlich herausgegriffene Ergebnisse unseres Kampfes für internetfreie Minuten. Zum Glück können wir sagen, dass wir auch international nicht allein sind. Unsere deutschen Freunde vom Heidelberger Appell kämpfen heroisch dafür, nicht zugängliche Bücher weiter vor der Veröffentlichung zu schützen. Und sie setzen sich—ein vielfach zu wenig beachteter Aspekt ihrer Arbeit—gegen die Seuche Open Access ein, gegen den irrsinnigen Anspruch der Öffentlichkeit, mit ihrem Geld produzierte Forschungsergebnisse auch zu erhalten. Gerade heute veröffentlichte der Internet-Nachrichtendienst Twitter eine Erfolgsmeldung :

Winkler-Nees (DFG): Aktuelle Forschungsergebnissen sagen, das 95% der Daten aus öffentlich finanzierter Forschung unzugänglich sind. #soz10

Ganz zu schweigen übrigens von den verwandten Plagen Open Data und Open Government. Hier steht Österreich weiter als Fels des Amtgeheimnisses in der internationalen Brandung der Transparenz. Bund und Länder wissen: Traue deinen Bürgern nicht! Wer nicht will, dass mit Daten Schindluder getrieben wird, der lässt sie von Beamten verwahren. Österreich hat sich immer gegen Revolutionen gestemmt, es wird sich sich von der Forderung nach Veröffentlichung öffentlicher Daten, die aus den USA und England nach Europa schwappt, nicht unterkriegen lassen.

Liebe Freunde internetfreier Minuten: Immer deutlicher erkennen wir, dass wir auch da Unterstützer haben, wo wir bisher unsere Feinde vermuteteten. Apple kämpft mit viel Erfolg dafür, dass wieder Ordnung auf den Rechnern der User herrscht. Es reserviert sich das Recht, selbst zu entscheiden, wer welche Daten beziehen darf. Und es brachte mit dem iPad fertig, endlich einen Computer zu produzieren, in dem die gesetzlosen User nicht mal Dateien verschieben und Ordner anlegen können. Apple schützt uns vor dem Anblick nackter Brüste und es schützt die Musik- und hoffentlich auch bald die Verlagsbranche davor, dass Kultur einfach gratis verteilt wird. Facebook hat der Gesetzlosigkeit des Web 2.0 immer deutlicher einen Riegel vorgeschoben. Alle Benutzerprofile sehen ähnlich aus, Zugriff auf die Daten von außen ist kaum möglich. Facebook und Apple sind Leuchttürme im Kampf für die Kontrolle von Daten und Informatione, für Kultur als Eigentum, für Herrschaft und Knechtschaft im digitalen Zeitalter. Damit sind sie natürliche Verbündete unserer Bewegung für internetfreie Minuten.

II: Wörter

Und: Wir prägen die deutsche Sprache. Eine große Zeit braucht große Wörter. Mit seiner Prägung Scheiss-Internet schlug unser Namensgeber Lorenz einen Pflock gegen die Verkümmerung des Sprachguts in den Boden unseres gewachsenen Deutsch. Weitere Prägungen folgten. Auch hier möchte ich drei Bereicherungen unserer Zeit herausgreifen:

Zu den Verben des letzten Jahres gehört futurezonen, gefuturezoned. Martin Blumenau ist es wohl als erstem aufgefallen. Futurezonen—das heisst: endlich kappen dürfen, was im Netz erfolgreich war, endlich privaten Eigentümern unterstellen, was im öffentlichen Chaos wucherte und uns vor sich hertrieb. Futurezonen—ein großes Wort.

Nicht weniger groß eine Prägung, die wir unseren deutschen Freunden verdanken: depublizieren. Die Tagesschau z.B. depubliziert Inhalte, die sich auf ihere Homepage fanden. Depublizieren: Zum ersten Mal weniger, nicht mehr publizieren, zum ersten Mal weniger statt mehr Öffentlichkeit, zum ersten Mal wird nicht ins Netz gestellt, sondern aus dem Netz genommen.

Und schließlich: verpixeln. Verpixeln, ein urdeutsches Wort. Ein Wort mit der deutschen Vorsilbe ver—wir lieben sie in Wörtern wie verbieten, verstecken und verschweigen.

Futurezonen, depublizieren, verpixeln: welche Dynamik steckt in dieser Reihe, meine Damen und Herren! Drei neue Wörter, die ausdrücken, was unserer Bewegung für internetfreie Minuten treibt.

III: Gedanken

2010 war das Jahr, in dem ein Frank Schirrmacher endlich auch in Österreich berühmt wurde. Schirrmacher, von dessen Payback wie lernen können, was es heisst, Dinge zu durchdenken, Gedanken sorgfältig zu formulieren—ein Gegenbild zum Gesudere der Bloggeria.

2010 war das Jahr, in dem Nicholas Carrs The Shallows endlich ins Deutsche übersetzt wurde und auch in Österreich erschien. Ein tiefes Buch, der eigenen Verwirrung durch das Internet abgetrotzt: Carr wie Schirrmacher versichern uns, dass sie keine langen Bücher mehr lesen können. Und beide zeigen uns, dass sie trotdem lange Bücher schreiben können, indem sie Anekdoten und Experteninterviews hintereinanderreihen, zusammengehalten von der eigenen Lebensgeschichte, die zum Glück in der heilen Welt des Vorinternetzeitalters begann, als ein Fernseher noch ein Fernseher war und Jugendliche ihren Wissensdurst in Leihbüchereien stillen durften, statt von Google und der Wikipedia ertränkt zu werden.

Schon 2009 hat sich hier in Österreich, in Alpbach, ein weiterer Denker in dürftiger Zeit geäußert: Norbert Bolz. Er hat nicht nur dem Internet endlich die Maske von der Fratze gerissen. Bolz hat erkannt, Bolz lehrt uns endlich, wozu der Computer selbst erfunden wurde—zum Kampf gegen das Buch, ja mehr, zum Kampf gegen die Kultur. Bolz spricht

von den berühmtesten Computerbefehlen unserer Zeit, nämlich Print, Download, Cut & Paste

und er endlich offenbart uns,

was all diese Befehle zusammenhält, das ist schlicht die Tatsache, dass sie sich mit der Gutenberg-Galaxis nicht vertragen. Alle diese Befehle zerstören eigentlich die Gutenberg-Galaxis, also die Welt des Buches, die Kultur, die durch das Buch geprägt ist

Brilliant erkennt Bolz, was die Gutenberg-Galaxis zusammenhält: nicht das Cut, Copy Paste und Downoad der Computerwelt, sondern das geistige Eigentum und das Copyright. Die Computer sind böse, weil sie das geistige Eigentum in Frage stellen, und

Was ist mit dieser Kultur des Geistigen Eigentums gemeint? Ich denke, das ist primär die Welt von Werk und Autorschaft, es ist die Welt der Experten und es ist letztlich auch die Welt der Autorität.

So einfach kann nur ein Großer denken. Und Bolz macht scharfsinnig aus, dass da böse Mächte am Werk sind:

Diejenigen, die als Triebkräfte hinter dieser Entwicklung stehen, berufen sich dabei nicht nur auf technische Sachverhalte, sondern sie haben auch massives Interesse daran, dass diese Gutenberg-Galaxis untergeht, also die Welt von Werk und Autorschaft, der Experten und der Autorität. Ich als Universitätsprofessor würde auch noch gerne hinzufügen: was hier auch noch untergeht, ist die klassische humboldtsche Lebensform des Gelehrten.

Und Bolz denkt nicht nur, er wagt, und er wagt nicht nur, er wagt in einer radikalen Weise unzeitgemäß:

Man wagt es kaum mehr zu formulieren, wie Humboldt das damals vor 200 Jahren ziemlich genau formuliert hat, nämlich Einsamkeit und Freiheit. All das ist in einer sehr radikalen Weise unzeitgemäß und offenbar nicht zu retten. Also das steht auf dem Spiel bei dem Problem Copyright.

Aber noch mehr ist gefährdet mit dem Copyright. Nicht nur die Gutenberg-Galaxis, nicht nur die Kultur, nicht nur die Einsamkeit und Freiheit des Gelehrten Bolz, nein der NOMOS selbst, die Ordnung als solche, die ein Bolz verteidigt wie vor ihm nur ein Platon:

Es gibt keine konkrete Ordnung für die Internetkultur und zwar eine konkrete Ordnung, die den Betreibenden von sich aus einleuchtet. Es gibt Ordnungen, es gibt ja auch Gesetze, die nach wie vor gelten sollen, aber das Problem ist, diese Gesetze leuchten niemandem mehr ein. Jedenfalls denen, die hier Schalten und Walten, den wirklich Aktiven, leuchten diese Gesetze nicht ein.

Und dann erkennt Bolz angewidert, wo die Feinde des Nomos sitzen, die Zerstörer der Gutenberg-Galaxis:

Das ist der Grund dafür, dass es zu diesem Aufblühen der Piratenpartei kommt.

Endlich stellt Bold die große Frage, unser aller Frage, die Frage der Kämpfer für internetfreie Minuten:

Und wenn es so ist, dass die Internetwelt keinen Nomos hat, keine einleuchtende konkrete Ordnung, dann lautet die große Frage der Zukunft: Wer reguliert?

Und Bolz geht noch weiter. Er appelliert nicht nur an unserer Politiker, wieder endlich mehr zu regulieren. Der große Einzelne wagt den letzten ganz persönlichen Schritt in einer anomischen Welt. Er verheisst, wo die Erlösung liegt, was wir verteidigen, wenn wir das Urheberrecht, die Gutenberg-Galaxis, die Kultur und den Nomos verteidigen:

Und ich vermute, wer in Zukunft überleben will, muss Ideen haben und sie verkaufen. Am besten, man verkauft sich selbst mit seinen Ideen –das ist wahrscheinlich die sicherere Methode.

Wir lernen viel von Bolz. Und nicht zuletzt lernen wir von ihm, was er in den Schlussworten seines Alpbacher Vortrags ein weiteres Mal verkündet:

Die Frage ist: „Was ist das Unkopierbare?“ Letztlich ist das die eigene Persönlichkeit, und deshalb wird sich der Arbeitsmarkt der intelligenten Leute in einen Persönlichkeitsmarkt verwandeln die Leute werden sich verkaufen müssen als Personal Brands. So bitter es ist für viele, aber das ist der einzige Weg um im 21. Jahrhundert nicht unterzugehen.


Das Jahr 2010 war für die Freunde der internetfreien Minuten ein Jahr großer Ereignisse, grosser neuer Wörter,
großer neuer Gedanken. Vergessen wir nicht, was unsere Bewegung zusammenhält, vergessen wir nicht den Geist, dem wir uns verschrieben haben, vielleicht darf ich sagen: den Nomos, unter dem wir angetreten sind. Was sind unsere Prinzipien? Ich möchte sie so formulieren:

Für geistiges Eigentum—gegen unkontrollierte Weitergabe von Informationen und Wissen!

Für Orientierung duch Fachleute und Experten—gegen unkontrollierte Freedom of Choice, vor allem bei den Medien!

Für Geheimnisse und Vertraulichkeit—gegen Transparenz und Öffentlichkeit!

Und vor allem : für unser Personal Brand und unsere eigene Verkäuflichkeit!

Wir haben gesehen: Wir sind auf einen guten Weg, in Österreich und auch international. Helfen wir dabei, Österreich zu einem Land von noch mehr internetfreien Minuten zu machen! Zollen wir den Leistungen derer Tribut, die uns im Kampf für den Nomos und gegen Piraterie und Gesetzlosigkeit vorangehen! Freuen wir uns auf den neuen Träger des Wolfgang Lorenz Gedenkpreises für internetfreie Minuten!

Ich danke Ihnen.

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