An die Stelle der Presse tritt die Presse-Sphäre. Nicht die Journalisten organisieren die Welt der Nachrichten, sondern die User. Internetbenutzer wählen ihre Quellen selbst aus: von Blog-Postings und Pressaussendungen über Nachrichten-Sites bis zu Fotos bei flickr und Videos auf YouTube.

In wenigen Absätzen und mit ein paar Grafiken zeichnet Jeff Jarvis ein Bild des state of the news media. Er blendet von der Totale — dem Blick auf das neue, globale Medium WWW — auf das Detail hinunter: die einzelne Story. Sie wird im Web zu so etwas wie Umberto Ecos offenem Kunstwerk: Nicht Seitenzuteilungen oder Sendezeiten legen ihren Anfang und ihr Ende fest, sondern die Aufmerksamkeit der Leser. Nicht eine Journalistin oder ein Journalist schreibt die Geschichte; sie wird von vielen Urhebern verfasst und fortgesetzt. Jeder Kommentar, jedes del.icio.us-Link verändert sie.

Jarvis beschreibt die Konsequenzen des Hypertext für den Journalismus, auch wenn er weder Links noch HTML erwähnt. Die hypertextextuellen Strukturen, die Verlinkungen und Verlinkungsmöglichkeiten machen den qualitativen Unterschied zwischen Online- und Offline-Medien aus. Durch Links, die weltweit beobachtet und nachvollzogen werden können, greifen die User in die Geschichten ein und ermögliche es anderen, an ihre Versionen einer Geschichte anzuschließen.

Buzzmachine bleibt für mich das wichtigste Journalismus-Blog. Es sind es nicht Jarvis‘ Thesen, die sein Blog interessant machen, sondern Jarvis‘ Perspektive und seine polyphone Schreibweise, die die Vielstimmigkeit des Webs aufnimmt. Um meinen Studenten zu erklären, warum das Web den Journalismus verändert, werde ich in den nächsten Semestern Jarvis‘ Posting zitieren.

Heute trifft sich der Aufsichtsrat der FH Joanneum. Ernst Sittinger berichtet in der Kleinen Zeitung über eines der Themen der Sitzung, nämlich die Geschäftsordnung des FH-Kollegiums. Leider ist der Artikel in der Online-Version nicht zu finden und damit einer Diskussion im Web mehr oder weniger entzogen.

Da ich Mitglied des FH-Kollegiums bin und die Auseinandersetzung zwischen dem Kollegium und dem Ausichtsrat durch den Artikel in die Öffentlichkeit gelangt ist, möchte ich zu zwei Punkten Stellung nehmen.

Zur Erklärung: Der Aufsichtsrat beansprucht das Recht, unsere Geschäftordnung nicht nur rechtlich zu prüfen, sondern auch in sie einzugreifen. Nach langen Diskussionen zwischen Aufsichtsratsvertretern und Geschäftsordnungsausschuss des Kollegiums blieb eine Frage über: Kann der Aufsichtsrat dem Kollegium vorschreiben, dass die kaufmännische Geschäftsführerin der FH an allen Sitzungen des Gremiums und seiner Ausschüsse teilnimmt? Der Aufsichtsrat versucht damit eine Person in das Kollegium zu setzen, die nicht Mitglied dieses Gremiums ist, und die auch keine wissenschaftlichen oder akademischen Funktionen hat. Warum? Offenbar weil er die Fachhochschule als Instrument der Landespolitik versteht und dabei sowohl den akademischen Anspruch der FH als auch die — ohnehin nur rudimentären — Elemente demokratischer Selbstverwaltung in der FH als Störungen interpretiert. Dem Kollegium soll klar gemacht werden, wo der Hammer hängt — nämlich bei der Landesregierung (die die FH durch die Streichung der Studiengebühren und den Versuch, die Medienstudiengänge in die Obersteiermark abzusiedeln, in erhebliche Schwierigkeiten gebracht hat).

Zwei Aussagen in Ernst Sittingers Artikel halte ich für problematisch. Ich nehme an, dass sie beide auf den Aufsichtsrat zurückgehen:

  1. Ernst Sittinger schreibt, dass die für Bildung zuständige Landesrätin entscheiden muss, welche Geschäftsordnung gilt: die vom Kollegium einstimmig verabschiedete, oder eine vom Aufsichtsrat oktroierte. Dem würde ich widersprechen (lieber in einem Kommentar in der Online-Ausgabe der Kleinen, wenn das möglich wäre.) Ein Gremium, das für akademische Selbstverwaltung und Qualitätssicherung zuständig ist, muss das Recht haben, sich selbst eine Geschäftsordnung zu geben. Als Appellationsinstanz gibt es den österreichischen Fachhochschulrat; an den kann sich die Landesregierung wenden, wenn das Kollegium seine Kompetenzen überschreitet. Ohnehin kann das Kollegium Entscheidungen, die nicht unmittelbar akademische Fragen berühren, nicht alleine treffen.

  2. Ernst Sittinger verweist auf ein Gutachten, dass der Aufsichtsrat angefordert hat, und das sich für eine Stärkung der Geschäftsführung ausspricht. Nonanet, sagt man zu so etwas in Österreich. Wenn der Aufsichtsrat ein Gutachten bestellt und vermutlich auch bezahlt, wird er kaum erfahren, dass er seine Kompetenzen überschreitet. Die Gelegenheit, mit dem Kollegium in einer Sitzung zu diskutieren, hat jedenfalls kein Aufsichtsratsmitglied wahrgenommen. Dabei hätte es feststellen können, dass im Kollegium nicht blutgierige Revoluzzer sitzen, sondern Lehrer und Wissenschaftler mit Erfahrungen in der Praxis, die sachlich arbeiten möchten, statt symbolische Politik ausbaden zu müssen.

Passt die Auseinanderstezung in dieses Blog, in dem ich über network literacies und Bildung schreiben möchte? Wie gesagt: In der Kleinen Zeitung kann die Diskussion leider nicht geführt werden. Und es gehört zu einem Blog, den lokalen Rahmen erkennbar zu machen, in dem man als knowledge worker arbeitet.

Ein Hinweis auf Eric Altermans Out of print: Alterman reflektiert die Krise der Print-Zeitungen in den USA, deren dramatisches Ausmaß wöchentliche Hiobsbotschaften auch den professionellen Gesundbetern deutlich machen. Ein Viertel der Stellen in den amerikanischen Zeitungen ist seit 1990 verschwunden. Seit Ende 2004 sank der Börsenwert der New York Times um 54%. Nur 19% der 18-34jährigen Amerikaner lesen nach eigenen Aussagen Tageszeitungen. Der Durchschnittsleser ist über 55. Schon seit 2004 stehen Zeitungen bei jungen Amerikanern am letzten Platz der Nachrichtenmedien, weit abgeschlagen hinter dem Internet. Nur 8% dieser Altersgruppe verlassen sich noch auf Zeitungen.

Diese dramatischen Zahlen sind für Altermans Artikel nur der Ausgangspunkt. Er stellt fest, dass die Zeitungen auf die Krise vor allem reagieren, indem sie sparen, Stellen streichen und die Inhalte reduzieren — es den Lesern also noch mehr erleichtern, auf dieses Medium zu verzichten. Alterman stellt den klassischen Qualitätszeitungen einerseits die Online-Zeitung Huffington Post gegenüber, die in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Nachrichtenmedien geworden ist. Sie arbeitet mit wenig Personal, verlässt sich auf Links zu anderen Nachrichtenquellen und vielfach auch einfach auf Tratsch im Netz. Andererseits erwähnt er den investigativen, communitygestützten Online-Journalismus im Stil von Talking Points Memo.

Man kann Altermans dichten Artikel schwer resümieren. Er interpretiert die aktuelle Situation vor dem Hintergrund der Geschichte des Journalismus in den USA; auch deshalb ist er für Leser diesseits des Atlantik sehr aufschlussreich. In amerikanischen Medienblogs löste er eine kleine Lawine von Verlinkungen aus.

Interessant ist die idealtypische Gegenüberstellung zweier Modelle der Funktion des Journalismus, von denen eines auf Walter Lippmann, das andere auf John Dewey zurückgeht. Für Lippmann ist der Normalbürger nicht dazu in der Lage, politischen und sozialen Entwicklungen kompetent zu folgen. Objektive Information ist eine Sache professioneller Eliten, die ihrerseits auch nur Eliten erreichen. Lippmanns intelligence buraus sind der Idealtyp der Redaktionen von Qualitätsmedien, die den Anspruch erheben, umfassend und objektiv zu informieren und dabei strikt zwischen Bericht und Information zu unterscheiden. Für John Dewey vergessen die Anhänger dieses Modells, dass auch die informierten Eliten Interessen vertreten und die Wirklichkeit interessengebunden wahrnehmen — wobei sich übrigens die Interessen der politischen Eliten und der Eingeweihten, die über diese Eliten informiert sind und informieren, überlappen. Dewey steht für ein Modell des Journalismus, das die öffentliche gesellschaftliche Debatte in den Vordergrund stellt. Sehr, vielleicht zu sehr vereinfacht gesagt, stirbt für Alterman mit der gedruckten Qualitätspresse das an Lippman orientierte Modell des Journalismus; in der Blogosphäre siegt Deweys Konzept der öffentlichen Debatte.

Alterman schließt nicht mit Antworten, sondern mit Fragen: Was wird aus der Demokratie, wenn sich nicht länger investigative Journalisten um versteckte oder unerschlossene Quellen bemühen, so dass sie den debattierenden Lesern überhaupt erst sagen können, was diese wissen müssten? Was wird aus verfolgten Aktivisten ohne eine mediale Öffentlichkeit, die sie schützt? Wie lassen sich katastrophale gesellschaftliche Entwicklungen verhindern, wenn sie nicht mehr von einer Armee professioneller Reporter beobachtet werden?

Altermans Perspektive ist die der Qualitätsmedien des letzten Jahrhunderts, nicht die eines media hackers (Dave Winer). Er nimmt an den Internetmedien wahr, was sie mit den älteren journalistischen Medien vergleichbar macht: das Verhältnis zu den Quellen, die Beziehungen zwischen Bericht und Meinung, Darstellung und Diskussion. Er schreibt nicht über die technische Realtät der neuen Medien, über die Infrastruktur des Web, über die Funktion von Verlinkungen und die technisch ermöglichte Verbreitung von Nachrichten in sozialen Netzen. Hier könnte eine Diskussion seines Aufsatzes ansetzen, die Altermans dystopische Wahrnehmung des Endes des Printjournalismus in Frage stellt, ohne euphorisch was fällt, das soll man stürzen zu rufen.

(Zur Debatte zwischen Lippmann und Dewey habe ich diese kurze Darstellung gefunden.