<leitartikelnd>Der ÖVP-Parteitag wirft seine medialen Schatten voraus, und ich frage mich, auf was ich dort als Blogger achten soll. Es kann ja nicht darum gehen, so zu berichten wie die anderen Medien. Für mich kommt erschwerend hinzu, dass ich kein gelernter Österreicher bin, sondern erst seit 2004 hier wohne. Mir ist erst langsam klar geworden, dass sich die österreichischen Parteien von ihren deutschen Schwesterparteien ziemlich stark unterscheiden, und dass sie auch in ganz anderen Traditionen stehen. Ein Phänomen wie das Dollfuß-Regime und den Austrofaschismus hat es in Deutschland nicht gegeben. Das Verhältnis zu Europa ist in Österreich viel distanzierter als in dem Alt-EU-Land Deutschland, in dem man lange froh war, sich auf Europa statt auf das 1000jährige Reich berufen zu können.

Worauf werde ich besonders achten? Da ich mich mit digitalen Medien und auch mit IT beschäftige, interessieren mich Themen mit Technikbezug: die Bürgerrechte im digitalen Zeitalter, das Problem der Urheberrechte und die Frage der „digitalen Kluft“. Werden diese Themen auf dem Parteitag überhaupt eine Rolle spielen? Welche Positionen werden bezogen, welche Fragen gestellt? Ich hoffe, dass sich die Positionen der ÖVP beim Schutz der Bürgerrechte von denen des deutschen Innenministers Schäuble und seines Vorgängers unterscheiden werden.

Ein Themenkomplex, auf den die ÖVP-Politiker sicher eingehen werden, ist Forschung und Entwicklung. Auch die Aussagen dazu interessieren mich besonders. Ich unterrichte digitale Medien, und es ärgert mich, dass fast alle Innovationen auf diesem Gebiet aus den USA kommen. Um es etwas pathetisch und Politiker-like zu formulieren: Der Schlüssel zur Zukunft liegt für ein Land wie Österreich in der Fähigkeit zu Innovationen. Dazu gehören wirtschaftliche Mittel, soziale Voraussetzungen und vor allem Einstellungen wie Experimentierfreudigkeit und Offenheit für Alternativen. Die ÖVP muss zum Beispiel den Mut haben, auf große, politisch unabhängige und wirtschaftlich potente Hochschulen zu setzen. (Plakativ formuliert: Lieber 6 Milliarden für die Forschung als 6 Milliarden für den Koralmtunnel!)

Zurück zum Bloggen: Die Zeiten, in denen man Antworten auf solche Fragen aus unzerreißbaren Weltanschauungen (Musil) ableiten konnte, sind vorbei — wenn es sie gegeben hat. Lösungen werden sicher oft am besten in sozialen Netzwerken entwickelt, die mit sozialen Medien (damit bin ich bei meinemThema…) kommunizieren. Wenn die ÖVP die Möglichkeiten dieser Medien nutzt, also nicht nur PR mit ihnen macht, hat sie einen Vorsprung vor den anderen Parteien. Dass unser Blogger-Grüppchen nach Salzburg eigeladen wurde, ist vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass die ÖVP auf die [wisdom of the crowds](http://www.randomhouse.com/features/wisdomofcrowds/ „Surowwiecki: Wisdom of the Crowds, Homepage) (nicht zu verwechseln mit Volkes Stimme !) setzen wird.</leitartikelnd>

Ich muss mich auch als „anerkannter Politikblogger“ outen. Ich frage ich mich, womit ich das verdient habe. Wenn ich die täglichen Ergebnisse von Feedburner und Google Analytics zusammenkratze, komme ich auf vielleicht 100 regelmäßige Leser meines Blogs; mit Politik habe ich mich nur indirekt beschäftigt (und da sind meine Sympathien linkslinkslinks-liberal).

Nach anfänglichem Unglauben freut mich die Einladung. Nicht nur weil eine große österreichische Partei die street credibility von sozialen Medien anerkennt. Sondern — ich gebe es zu — weil sie Aussicht auf mehr Leser, vielleicht sogar kommentierende Leser macht. (Lost and Found kann dadurch nur besser werden.)

Ob die ÖVP allerdings bekommt, was sie erwartet? Und: ob sie klare Erwartungen hat? Sie lädt Blogger wie die Vertreter von Zeitungen und Fernsehen ein. Weblogs funktionieren aber anders, sie sind keine „objektiven“, einer allgemeinen Öffentlichkeit verpflichteten Medien. Weblogs sind Lokalst-Medien, sie geben die individuelle Perspektive und die individuellen Erfahrungen ihres Autors wieder. Der ÖVP würde ich deshalb vor allem empfehlen, das Bloggen in ihrer Organisation und vor allem im Dialog mit ihren „Zielgruppen“ zu fördern; das wird ihr viel mehr bringen, als über sich bloggen zu lassen. (Michaela Mojziz hat das wohl erkannt.)

Wenn ich das organisieren kann, fahre ich nach Salzburg. Ich hoffe, dass ich einen Weg finde, von dort zu bloggen und nicht nur „Bericht zu erstatten“.

Als Printmacher kann ich mir erlauben hier zu sagen, dass zehn Prozent der publizierten Inhalte in Zeitungen Schrott sind und bei den Blogs ist es genau umgekehrt: 90 Prozent sind Schrott. „

Wie die regelmäßigen Technorati-Meldungen über -zig Millionen aktiver oder neuer Blogs suggeriert Michael Fleischhackers Statement: Eine Flut von Blogs überschwemmt den nach Orientierung suchenden Leser; er kann von Glück sagen, dass seriöse Journalisten in den Printmedien für ihn die Spreu der Nachrichten vom Weizen trennen.

Ist es so? Seit einigen Tagen suche ich nach Blogs, die hier in Graz geschrieben werden oder sich auf Graz beziehen. Vielleicht finde ich die richtigen Suchmaschinen nicht, bisher ist mein Ergebnis: die Zahl der Blogger liegt viel niedriger als die Zahl der Journalisten — und es sieht auch nicht so aus, als produzierten sie mehr Schrott als Grazer Qualitätsblätter wie Der Neue Grazer, graz im Bild, ok, heute oder die Steirerkrone.

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