Lieber Walter Spannagel, ich glaube, dass die Fragen nach der Ursache und dem System, gegen die die Klimabewegung kämpfen soll, nicht so einfach zu beantworten ist. In dem System, mit dem wir es zu tun haben, wirken viele Ursachen zusammen—ich würde selbst lieber von Akteuren sprechen. Im Augenblick ist die wichtigste Verursacherin der Klimakrise die fossil fuel industry, also die Öl-, Gas- und Kohlewirtschaft. Wenn es gelingt, erfolgreich gegen diese Branche zu kämpfen, dann gibt es Chancen, das Wirtschaftssystem insgesamt zu transformieren. Ein sehr interessanter Artikel dazu von Bill McKibben: Money Is the Oxygen on Which the Fire of Global Warming Burns. Dieser Teil der Energiewirtschaft hat offenbar auch in Deutschland die Energiewende hintertrieben. Siehe dazu den Artikel Rezo, Fridays for future und die Initiative neue soziale Marktwirtschaft, der auf mich plausibel wirkt. Der Guardian beschäftigt sich gerade in einer ganzen Serie mit dieser Branche: The polluters. Angeführt von Exxon, kämpft sie seit Jahrzehnten mit allen Mitteln gegen eine Reduzierung der Treibhausgase (dazu u.a. Oil Giants Invest $110 Billion In New Fossil Fuels After Spending $1 Billion On Green PR oder What Exxon Mobil Didn’t Say About Climate Change ). Dabei haben in den USA haben in diesem Zusammenhang die Koch-Brüder eine besonders fatale Rolle gespielt (siehe z.B. On David Koch’s Death and the Koch Network’s Endless War on Clean Energy), u.a. als wichtige Sponsoren Trumps, den ich vor allem als Marionette dieser Branche verstehe.

Mir ist klar, dass die fossil fuel industry Teil eines Systems ist, aber man muss gegen sie (und andere konkrete Akteure) angehen, um das System zu transformieren und nicht abstrakt das System als solches angreifen.

Ich versuche einen Gedanken zu formulieren, der so wahrscheinlich noch sehr naiv und pauschal ausgedrückt ist. Ich weiss, dasss er eigentlich eine ausführliche theoretische Auseinandersetzung erfordern würde. Hier geht es mir nur um eine Vorformulierung.

Knapp ausgedrückt, geht es um das Systemverständnis, das vielen, vor allem linken Argumentationen zugrundeliegt und das ich ungefähr so formulieren würde: Es reicht nicht, Symptome zu kurieren und sich gegen einzelne, besonders empörende Misstände zu wehren—man muss das dahinter liegende System angreifen, und dieses System ist der Kapitalismus. Ich weiss nicht, wieviele seriöse Wissenschaftler und Theoretiker eine solche Argumentation noch teilen. In der öffentlichen Debatte kommt sie nicht selten vor, etwa bei Jutta Ditfurths Warnung vor Extinction Rebellion, die ich schon zweimal verlinkt habe. Dieser Hinweis auf ein System hinter den gesellschaftlichen Erscheinungen ist übrigens symmetrisch zum Hinweis auf den Markt als den eigentlich besten Mechanismus zur Steuerung der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt.

Continue reading

Ich war am Montag und Dienstag in Wien. Ich habe an der ersten Aktion der Rebellion Week teilgenommen und viele XR-Mitglieder kennengelernt. Ich bin noch dabei, meine Eindrücke und Gedanken zu sortieren.

Zum ersten Mal erzielt Extinction Rebellion (XR) jetzt auch im deutschen Sprachraum größere Aufmerksamkeit —jedenfalls gibt es viele Kommentare in Zeitungen und viel Diskussion auf Twitter über XR. Einige machen es sich extrem einfach, wie auf der einen Seite Jutta Ditfurth und auf der anderen, noch primitiver, Ulf Poschardt. Sie ordnen XR in ihre unzerreissbare Weltanschauung (Robert Musil) ein.

Blockade am Plat der Menschenrechte in Wien, 7.10.2019
Continue reading

Twitter hat mich eben auf diesen Tweet von Greta Thunberg hingewiesen, den auch Michael Mann geliket hat:

Ich habe mir die Seite des Reports des Weltklimarats (deutsch hier) herausgesucht und angesehen. Sie enthält vor allem diese Tabelle:

Das bedeutet im Kern, dass weltweit noch ca. 420 Gigatonnen CO2 freigesetzt werden können, um die Erderwärmung mit 66% Wahrscheinlichkeit auf 1.5° zu beschränken.

Um sicherzugehen, dass ich die Tabelle richtig verstehe, habe ich via Google u.a. dieses Zitat auf der Site des -Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Changegefunden:

Der Sonderbericht vom Oktober 2018 präsentiert neue Zahlen. Demnach können noch knapp 420 Gigatonnen (Gt) CO2 in die Atmosphäre abgegeben werden, um das 1,5-Grad-Ziel nicht zu verfehlen. Da die Welt jedoch jedes Jahr circa 42 Gt an CO2 ausstößt – rechnerisch entspricht dies 1332 Tonnen pro Sekunde – dürfte dieses Budget in gut neun Jahren aufgebraucht sein. Das Budget von circa 1170 Gt für das Zwei-Grad-Ziel wird in etwa 26 Jahren erschöpft sein.

Diese Zahlen sind nicht neu und sprechen für sich selbst. Ich notiere sie hier vor allem als Material für Präsentationen. Wer der Klimawissenschaft, Fridays For Future, Greta Thunberg persönlich und Bewegungen wie Extinction Rebellion vorwirft, dass sie zu radikal sind, hat diese Fakten nicht verstanden oder will nicht, dass man sie versteht.

Morgen beginnt in Darmstadt wieder das Content Strategy Camp. Ich kann in diesem Jahr leider nicht teilnehmen. Die folgenden Thesen hätte ich dort sonst in einer Session vorgestellt. Sie sind auch als ein Beitrag unseres Studiengangs zum Global Climate Strike gedacht (wobei ich für den Inhalt allein verantwortlich bin). Ich habe mich selbst entschlossen, mich in der Lehre auf die möglichen Beiträge der Content-Strategie zu einer Postwachstums-Gesellschaft zu konzentrieren und in unserer Ausbildung alles zu unterlassen, was Unternehmen unterstützt oder unterstützen könnte, deren Tätigkeit die ökologische Situation weiter verschlimmert.

Continue reading

Links, die ich für die Grazer Extinction Rebellion Gruppe gesammelt habe:

Aktivismus

It’s Greta Thunberg’s World

Artikel von David Wallace-Wells über Greta Thunberg. Wallace-Wells zweifelt daran, dass die Pariser Klimaziele noch erreicht werden können. Er sieht Greta Thunberg als letzte Vertreterin einer Klimabewegung der ersten Generation, die in der Hoffnung handelt, dass die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur globalen Erhitzung ganz oder wenigstens größtenteils politisch umgesetzt werden. Der Artikel ist glänzend geschrieben. Die Positionen von Wallace-Wells wurden aber von Wissenschaftlern wie Michael Mann als letztlich überzogen und lähmend kritisiert.

Money Is the Oxygen on Which the Fire of Global Warming Burns.

Dieser Artikel von Bill McKibben, einem der wichtigsten amerikanischen Klima-Journalisten und Aktivisten, ist auf Twitter vielfach empfohlen werden. McKibben sieht die nahezu einzige Chance, die globale Erhitzung noch zu stoppen, darin, der Kohle-, Öl- und Gasindustrie die Finanzierung zu entziehen. Er fordert zu massiven Kampagnen für ein Desinvestment der Banken, Versicherungen und Investment-Fonds (wie Blackwater), ohne die die fossil fuel industry nicht überleben könnte. Der Artikel ist ausführlich belegt; McKibben greift auf viel Erfahrung mit ähnlichen Kampagnen zurück.

Wirtschaft

The Massive Cost of Not Adapting to Climate Change

Bloomberg-Artikel über den Bericht des Global Center on Adaptation, zu dem Kristalina Georgieva, die Präsidentin der Weltbank, der frühere UN-Generalsekretät Ban-Ki Moon und Bill Gates gehören. Der Bericht informiert über die gigantischen Kosten, die auf die Welt zukommen, wenn die globale Erhitzung nicht gestoppt werden. Er enthält auch Berechnungen über die Investitionen, die nötig sind, um die katastrophale Entwicklung zu stoppen oder wenigstens zu bremsen. So würde eine Investition von 1,8 Trillionen Dollar bis 2030 insgesamt 7,1 Trillionen Dollar Ertrag versprechen. Der Bericht fordert vor allem dazu auf, die aktuellen Risiken deutlich zu machen.—Die Konzepte hinter diesem Bericht sind, wenn ich es richtig sehe, zu wachstumsorientiert. Die Zahlen selbst sind für Argumentationen aber sehr wertvoll.

Politik/Bücher

On Fire: The Burning Case for a Green New Deal

Michael Mann empfiehlt Naomi Kleins Buch On Fire: The Burning Case for a Green New Deal, obwohl er mit Klein inhaltlich in vielen Punkten nicht übereinstimmt. Mann glaubt nicht, dass man den Klimanotstand rechtzeitig bekämpfen kann, wenn man dieses Ziel mit dem Kampf gegen den Neoliberalismus insgesamt eng koppelt. Es handelt sich um eine Schlüsselauseinandersetzung in der Klimabewegung. Manns Kritik betrifft nicht Kleins Ziele, sondern den Weg dorthin.