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Filmauschnitt aus der Internet Movie Database

Dieses Post wirkt vielleicht in einem Blog über soziale Medien deplaziert, weil es einen Kinofilm behandelt. Von einem Film wie dem letzten von Werner Herzog kann man aber auch für das Erzählen in anderen Medien einiges lernen, und 3D-Technologien, wie er sie benutzt, werden wir vielleicht schon bald täglich beim Websurfen verwenden.

Am Sonntag habe ich Werner Herzogs Film Die Höhle der vergessenen Träume gesehen (siehe auch die Seite in der Internet Movie Database). Herzog zeigt in einem 3D-Film die Chauvet-Höhle, in der erst in den 90er Jahren die ältesten bekannten Höhlenmalereien entdeckt wurden. Der Film ist allein wegen seines Gegenstands sehenswert: Er zeigt dass die Geschichte des Menschen und die Mediengeschichte gleichzeitig beginnen. Er ist aber auch das Werk eines Meisters der Erzählung. Wer Geschichten erzählen will, kann viel von Herzog lernen:

Zeige etwas Spektakuläres

Man folgt dem Film immer wieder staunend, weil man etwas zu sehen bekommt, das man nie gesehen hat und vielleicht auch nie wieder sehen wird. Bei Herzogs Film kommt noch hinzu, dass es sich um eine Höhle und damit um etwas handelt, das der Inbegriff des Verborgenen ist, dass er eine Technik benutzt, die eine fast reale Erfahrung erlaubt und dass es nahezu unglaublich ist, dass man überhaupt sehen kann, was da gezeigt oder rekonstruiert wird.

Bleibe so nüchtern und alltäglich wie möglich

Bei allem Pathos des Films erzählt Herzog fast beiläufig—wozu übrigens seine eigene Erzählerstimme erheblich beiträgt. Er betont nie mit pseudorhetorischen Mitteln, dass er etwas Besonderes zeigt. Über weite Strecken zeigt er einfach Menschen bei der Arbeit: die Archäologen und das eigene Filmteam. Damit erzeugt er Interesse und ein Gefühl von Nähe. Man wird als Zuschauer nie erschlagen, nicht einmal in der mit eigens komponierter Musik unterlegten langen Sequenz über den geheimnisvollsten Teil der Höhle.

Nimm Kommentar und Reflexion in die Erzählung auf

Herzog zeigt im romantischen Sinn eine innere Landschaft. Die geistesgeschichtlichen Assoziationen bleiben aber nicht dem Zuschauer überlassen, Herzog nimmt sie selbst in seinen Kommentar als Erzähler hinein und macht sie damit zum Material seines Filmes. Durch die intellektuelle Transparenz entgeht er dem Klischee, das ihn zum Naturmystiker stempelt.

Zerlege eine komplexe Geschichte in selbständige Stories

Die Passagen über die Höhle selbst verknüpfen fast wie eine Rahmenerzählung verschiedene Geschichten über die Entdeckung der Höhle, über ihre Erforschung und ihre Erforscher und über Archäologen, die über verwandte Funde in der schwäbischen Alb forschen. Diese Geschichten sind selbständig und sie gehen oft ins Detail. Durch diese losen Enden bleibt der ganze Film offen. Zugleich erhöhen die Stories die Spannung, weil man darauf wartet, dass wieder Bilder der Höhle selbst gezeigt werden.

Benutze die leistungsfähigste Technik, die zur Verfügung steht

Als Zuschauer hatte ich nie den Eindruck, dass sich die Mittel der Erzählung, vor allem die 3D-Technik, vor den Inhalt schieben (wie vielleicht bei Avatar). Der Grund dafür ist wohl, dass hier etwas gezeigt wird, das extrem schwer darzustellen ist. Die technischen Mittel der Erzählung gehen in die Werkzeuge zur Erforschung des Gegenstands über. Die Frage, was überhaupt gezeigt werden kann und wie das möglich ist, wird zu einem Thema. So etwas funktioniert nur, wenn die Technik nicht etwas Gegebenes ist, sondern für die Erzählung und bei der Erzählung entwickelt wird.

Verwende Leitmotive, um die Ebenen und Fäden zusammenzuhalten

Die vielen Tatsachen und Geschichten verwirren nicht, weil immer wieder dieselben Motive angespielt werden: Warum und wie hat der Mensch Kunst entwickelt? Was weiss man über ihre Anfänge? Wie hängen sie mit den Welten der Geister und der Tiere zusammen? Diese Fragen beschäftigen den Erzähler und die Zuschauer, auch wenn sie weder platt formuliert noch beantwortet werden.

Arbeite mit Verwandlungen

Verwandlungen—Metamorphosen—sind eines der ältesten Themen von Erzählungen. Auch Herzogs Film erzählt vor allem von Metamophosen und Übergängen, von Verwandlungen von Menschen in Tiere, aber auch von den Verwandlungen der Forscher durch ihren Gegenstand (am deutlichsten, als ein experimenteller Archäologe gezeigt wird, der in Ötzi-Kluft auf einer rekonstruierten pentatonischen Flöte die amerikanische Nationalhymne spielt).

Lass die Zuhörer und Zuschauer das Gezeigte überblicken

Auf die Idee des Moment of Reflection komme ich durch die 10 Rules for Visual Storytelling von MindyMcAdams. Bei Herzog folgt dieser Moment als Epilog auf den eigentlichen Höhepunkt des Films, bei dem die gemalten Löwen auf den Höhlenwänden nahezu lebendig werden und man körperlich zu spüren meint, dass sich die altsteinzeitlichen Maler in sie verwandeln wollten. Zum Schluss werden Albinokrokodile in einer künstlichen Tropenwelt in der Nähe eines AKW an der Rhône gezeigt. Der Bruch mit der Erzählung erlaubt den Rückblick und die Reflexion des Erzählten.

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