Am Wochenende habe ich einige österreichische Blogs nachgelesen. Nicht wenige beschäftigten sich mit dem jüngsten Schwenk der SPÖ und mit dem Brief Gusenbauers und Faymanns an den Herausgeber der Krone. Es ist bemerkenswert, dass der Schwenk der Partei in allen Blogs deutlich kritisiert wird. Mehrere Blogs loben dagegen die Kritik der österreichischen Außenministerin am Versuch Dichands, Politik in der Nachfolge eines Hugenberg oder auch Berlusconi zu machen. (Ein paar Links: Beindruckend Unbeindruckt, Plassnik bissig. Chapeau!, SPÖ macht Rechnung ohne Polit-Blogger.)

Manchmal frage ich mich, ob der populistische Schwenk der SPÖ nicht ein weiteres Signal dafür ist, dass die Sozialdemokratie insgesamt gesellschaftspolitisch nicht mehr viel zu sagen hat, dass sie, wenn man ehrlich ist, am Ende — dass sie überflüssig geworden ist. Mit ihrem Brief zeigen die Vorsitzenden der SPÖ, dass es überhaupt keine ideologische Position mehr gibt, die sie nicht bereit wären, über den Haufen zu werfen, wenn es der Machterhaltung in einer verzweifelten Situation dient. Dass sich die SPÖ an das Lager der Europa-Skeptiker anbiedert, und dass sie vor einer immer wieder mit rechtsradikalen Klischees operierenden Boulevard-Zeitung zu Kreuze kriecht, ist um so bedenklicher, als sie keinen anderen politischen Willen zu erkennen gibt als die Absicht, Wählerstimmen zur Amtserhaltung zu gewinnen. Opportunismus nicht als Schwäche, sondern als Programm.

Das Problem der Sozialdemokratie besteht darin, daß sie zum Gegenteil einer Partei der Besserverdienenden geworden ist. Die SPÖ vertritt die Interessen sozialer Gruppen, die zu den Verlierern der Entwicklung zur Netzwerkgesellschaft — oder wie immer man die neu entstehenden soziale Formationen bezeichnet — gehören. Aus diesem Grunde schließt sie sich an populistische Parteien — die FPÖ und das BZÖ — an. Sie betreibt eine Politik, die zumindest nach außen nur noch als defensiv präsentiert wird und im Kern etatistisch ist. Sie verteidigt die vorgeblichen Interessen der „kleinen Leute“ und tut diese auf Kosten der wirtschaftlichen und technischen Modernisierung. Tatsächlich trägt sie damit zum weiteren wirtschaftlichen Abstieg der Gruppen, die sie vertreten will, bei. Der Wechsel der Position in der Europapolitik ist dafür ein Symbol. Symbolisch für die aktuelle Situation der Sozialdemokratie ist er wohl auch darin, daß er zwar lautstark nach außen verkündet wird, ihn aber kaum eine tatsächliche Europa-kritische Haltung bei der Mehrheit der Funktionäre entsprechen dürfte.

Eine an Gerechtigkeit orientierte Politik müsste ganz anders aussehen als die Verteidigung der Restbestände sozialdemokratischer Idyllen gegen anonyme Mächte wie die europäische Bürokratie oder auch die kalten Neoliberalen. Sie müßte sich um aktive Partizipation der Gruppen bemühen, die von den laufenden Modernisierungprozessen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Sie müsste ein Motto formulieren wie das Yes, We Can der Obama-Kampagne, statt einem alten Rattenfänger nachzulaufen, der sich als Cato vermummt. Es gibt in der europäischen Sozialdemokratie durchaus Bewegung in diese Richtung, ausgehend z.B. von Anthony Giddens. Die SPÖ hat den entgegengesetzten Weg eingeschlagen.

PS: Inzwischen ist die österreichische Bundesregierung zerbrochen, und der Provinz-Boulevard wird die Schlammschlacht bekommen, die er mit Schlagzeilen wie Tag des Verrats an Österreich herbeigeschrieben hat.

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