Einige wichtige Accounts der einstigen österreichischen Twitteria haben Elon Musks Plattform verlassen und sind zu Bluesky gewechselt. Im Falter-Podcast diskutiert Raimund Löw darüber mit Armin Wolf, Florian Klenk und Barbara Tóth . Armin Wolf hat in einem Blogpost beschrieben, welche Erfahrungen er in den letzten beiden Jahren auf Twitter/X gemacht hat und warum er eine Gruppe von Kolleginnen und Kollegen zum Umstieg aufgerufen hat . Ingrid Brodnig erklärt in ihrem Blog, wie Twitter zu einem Desinformationsmedium wurde .

Spätestens nach Trumps Wahl ist klar, dass das frühere Twitter zu einem publizistischen Instrument der Gruppe geworden ist, die die USA in eine offene Oligarchie verwandeln will. Musk hat auf X gezeigt, wie so etwas geht: Rechtsradikale und Fake-News-Accounts werden bevorzugt. Wer anderes publiziert, muss mit Hasskommentaren rechnen. Armin Wolf sagt in dem Podcast, er sei mit dem Blocken von Accounts nicht mehr nachgekommen. Florian Klenk vergleicht X unter Musk mit einer Kneipe, deren Wirt nicht nur rechtsradikale Schläger hineinlässt, sondern auch noch die Schlagstöcke an sie verteilt.

Die prominenten Journalistinnen und Journalisten, die jetzt zu Bluesky wechseln, möchten die Uhr zurückdrehen. Bluesky erinnert sie an Twitter vor 10 Jahren. Sie scheinen zu hoffen, dass es sich anders als Twitter entwickeln, aber als Plattform ähnlich funktionieren wird. Allerdings sind sie nicht frei von Zweifeln: Armin Wolf spricht im Podcast davon, dass er sich vielleicht irgendwann auch von Bluesky verabschieden müsse, und Florian Klenk hofft, dass auf eine Zeit des „Social Media Marketing“ eine Phase folgen wird, in der seriöse Verlage nach dem Vorbild der Zeit neue digitale Angebote entwickeln.

Die Gruppe um Armin Wolf, die zu Bluesky gewechselt ist, hat sich nicht lange mit Alternativen beschäftigt. Mastodon sei ihm öfter empfohlen worden, aber ihm sei es zu umständlich und bürokratisch vorgekommen, sagt Wolf.

Bluesky oder Mastodon? Die Frage nach dem digitalen Kapitalismus

Dieser Wechsel zu Bluesky ist kein isoliertes Phänomen. Bluesky hat nach den Wahlen in den USA Millionen User gewonnen. Das schnelle Wachstum ist Anlass für intensive Diskussionen über die Vorteile der Plattformen Bluesky und Mastodon. In diesen Diskussionen spielt eine wichtige Rolle, dass Bluesky gerade ein 15-Millionen-Investement der Firma Blockchain-Capital erhielt , die Querverbindungen zum Trump-Intimus Steve Bannon hat .

In zwei ausführlichen Blogposts beschäftigen sich Tim Bray und Cory Doctorow kaum mit den technischen Unterschieden zwischen Bluesky und Mastodon, aber ausführlich mit dem wirtschaftlichen Hintergrund von Bluesky: Hinter dem Dienst steht ein Venture-Kapital-finanziertes Unternehmen, das nach den Regeln des digitalen Kapitalismus funktionieren muss. Der Zwang zum Wachstum und zur Rendite schließe aus, dass sich Bluesky ganz anders entwickeln werde als andere Social Media-Unternehmen. Beide lehnen deshalb für sich einen Wechsel von Mastodon zu Bluesky ab.

Verpasste Chance für unabhängige soziale Medien?

Warum vertrauen sich einige der bekanntesten Journalistinnen und Journalisten in Österreich einer Firma an, die von Tech Bros abhängig ist? Wieso ist es für viele kritische Journalist:innen eine cura posterior, wessen ökonomische Spiel sie vorantreiben, wenn sie die nächste US-Plattform aktiv promoten? Offenbar zählen für sie Convenience und der schnelle Zugang zu einem größeren Publikum mehr, als Plattformen voranzutreiben, deren Architektur es ausschließt, dass sie die epistemische Krise beschleunigen. In einer politischen Situation, in der es global, aber auch hier in Österreich, darum geht, die Demokratie gegen korrupte Autokratien zu verteidigen, halte ich das für kurzsichtig.

In Raimund Löws Podcast wird Armin Thurnhers Forderung nach einem öffentlich-rechtlichen sozialen Medium im europäischen Rahmen erwähnt. Thurnher hat sie in einem Artikel zum #eXit der Austro-Twitteria wiederholt . Sie könnte – nicht wörtlich, aber dem Ziel nach – umgesetzt werden, wenn Journalistinnen, Journalisten und Medien mit Einfluss sich an den Fediverse-Plattformen beteiligen. Sie können darauf drängen, dass dort – gerne mit öffentlicher Unterstützung – journalistische Communities entstehen, vergleichbar mit FediScience.org, wo nur Wissenschaftler:innen publizieren dürfen. Die Gruppe, die jetzt zu Bluesky gewechselt ist, wäre sicher in der Lage, Einrichtung und Betreuung eines kleinen Mastodon-Servers zu organisieren. Ich weiss aus den Erfahrungen bei graz.social, dass der Aufwand überschaubar ist. Es gibt in Österreich Organisationen wie den Presseclub Concordia, die die Trägerschaft übernehmen könnten.

Es geht hier aber nicht nur um Mastodon, sondern um offene Standards, die Schutz vor wirtschaftlicher und politischer Vereinnahmung von Kommunikationsplattformen bieten. Auch WordPress ist inzwischen „fediverse enabled“ und man kann, wenn man will, mit seinem Blog oder einem Teil seines Blogs an den Diskussionen dort teilnehmen. Es ist schade, dass Leute, die für den kritischen Diskurs in Österreich wichtig sind, so wenig „out of the box“ denken, wenn es um die politische Ökonomie digitaler Medien geht.

Die Entwicklung von digitalen Medien lässt sich nicht prognostizieren. Ziemlich sicher ist aber, dass sie sich kaum irgendwo wiederholt. Dazu verändert sich das technische und soziale Umfeld viel zu schnell. Bluesky wird deshalb kein neues Twitter werden. Wenn die Plattform schnell wächst, wird sie aber wie Twitter unter dem Druck stehen sich zu refinanzieren und damit zunehmend geschlossener werden. Auch Twitter überzeugte zuerst durch Offenheit, die dann schrittweise abgebaut wurde. Sollte Bluesky relativ klein bleiben, könnte es wie Medium zu einem kostenpflichtigen Nischenprodukt werden. Auch Medium beeindruckte zunächst viele. Aber seine Eigenschaften ließen sich im offenen Web leicht kopieren.

Die Zerstörung von X/Twitter ist ein Beispiel dafür, wie Broligarchen in der post-neoliberalen Ära agieren. Die Alternativen zu den Unternehmen dieser Cliquen sind etwas weniger benutzerfreundlich und weniger schick. Sie bieten aber die Chance auf ein offenes mediales Ökosystem. Frei nach dem Marquis de Sade : Noch eine Anstrengung, Twitterati, wenn ihr wirklich frei sein wollt!

PS: Reihenfolge der Quellen noch nicht korrekt. In Arbeit 🙂

9 Kommentare zu “Kann man die Twitter-Uhr zurückstellen? Zum Bluesky-Hype im österreichischen Journalismus

  1. @Heinz Ah, das war auch mein Gedanke, dass sie gemeinsam eine eigene Instanz hätten aufziehen können. Das wäre symbolträchtig gewesen.
    Bluesky wird kein Twitter vor 10 Jahren. Allein die Diskussionskultur hat sich derzeit geändert.

  2. In reply to Kann man die Twitter-Uhr zurückstellen? Zum Bluesky-Hype im österreichischen Journalismus by Heinz Wittenbrink
    Du hast denke ich recht Heinz das der Umzug von Journalisten in Richtung Bluesky eine verpasste Chance ist. Aber nicht nur für die Journalisten selbst als individuelle Professionals. Ich verstehe nicht warum Zeitungen und Medien nicht selbst eine kleine Fediverse-Instanz ins Leben rufen. Damit kann man direkt und unangreifbar die Authentizität eines Accounts belegen, da sie verbunden ist mit der eigenen Internetdomäne. Sowie zB hier in den Niederlanden der Mastodon Server der Verwaltung auf social.overheid.nl läuft, und overheid.nl die Domäne ist für alle Verwaltungsinformationen. Strategisch ist eine verpasste Chance mMn das Zeitungen das Potential für Handlungsfreiheit im offenen Web nicht beachten, und das den einzelnen Reportern als Wahl überlassen. Obwohl man sich regelmässig darüber beklagt das BigTech ihnen Handlungsfreihet wegnimmt (sowohl bei online Äusserungen wie bei Werbung und Besucherzuleitung über Suchmashinen). Man erinnert sich anscheinend nicht das es Journalisten und Politiker waren die Twitter über die Tech-Szene hinaus groß gemacht haben als Nachrichtenquelle, und verpaßt jetzt diese (vierte?) Macht anzuwenden, und verliert sich aufs neue in einen Silo betreut von Miljardäre, VCs und Crypto-bros. Nur weil freier Zugang und hypothetische Federation (pinky promise) über den Eingang steht. Tech geht immer schneller wie man sagt, und ich nehme an das diese Beschleunigung auch eine schnellere Enshittification (Verscheißifikation?) bedeuten wird. In den Niederlanden gibt’s die Initiative Public Spaces, gestartet durch öffentlichen Medien und in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die ein offenes Web und öffentlicher Diskurs stärken wollen. Mit praktischen Mitteln, eine jährliche Konferenz usw. bringen die das voran. Vielleicht ist es möglich da auch in .at was zu bewegen, so wie du das in 2008 mittels dem Politcamp auch bez. politische online Kommunikation getan hast.

    Die Gruppe, die jetzt zu Bluesky gewechselt ist, wäre sicher in der Lage, Einrichtung und Betreuung eines kleinen Mastodon-Servers zu organisieren. Ich weiss aus den Erfahrungen bei graz.social, dass der Aufwand überschaubar ist. Es gibt in Österreich Organisationen wie den Presseclub Concordia, die die Trägerschaft übernehmen könnten.

    Heinz Wittenbrink

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.