In den letzten Wochen bin ich fast gar nicht dazu gekommen, in meinen Feedreader zu schauen. Einiges habe ich jetzt nachgeholt; hier ein paar Hinweise auf Beiträge zur Situation und zur Zukunft des Journalismus, die ich lesenwert fand. Sie berühren alle das Thema der Innovation im Journalismus. Man könnte aber auch sagen: sie sind alle Dokumente der Revolution in der News-Industrie, an der wir gerade teilnehmen.

Auf der einen Seite wird immer deutlicher, dass die herkömmlichen Print-/Brodcast-Modelle an ein wirtschaftliches und technologisches Ende gekommen sind. Die Verleger rufen nach staatlichem Schutz und Subventionen wie die deutsche Kohleindustrie in den 70er Jahren—sie verabschieden sich von dem Markt, der sie reich gemacht hat, und beschweren sich über innovative Unternehmen wie Google, die erkannt haben, wie der Online-Markt für Informationen funktioniert.

Auf der anderen Seite wird deutlicher erkennbar, wie das webbasierte News-Universum aussehen könnte: Wichtigstes Element ist die kollaborative Erstellung von Nachrichten in Echtzeit, für die Informationen je nach Ort, Thema und Relevanz laufend neu gefiltert, sortiert und vernetzt werden. Der Artikel, die Geschichte, die Sendung als das „fertige“ journalistische Produkt wird zu einem Element in einem laufenden Austausch von Informationen, an dem Profis (Journalisten, professionelle Kommunikatoren) teilnehmen, den sie aber nicht mehr kontrollieren.

Geht es im Web überhaupt um „Geld für Inhalte“?

Einer der interessantesten Beiträge zur Paid Content-Debatte: Stefan Kohs unterscheidet in Online-Journalismus: Raus aus der Gratisfalle zwischen Grenzkosten der Nutzung und Grenzkosten der Bereitstellung von Inhalten. Er wendet sich mit guten Argumenten gegen eine Kulturflatrate und andere Formen der öffentlichen Zwangsfinanzierung bestimmter Inhalteanbieter. Er hält Bezahlmodelle für grundsätzlich möglich und fordert auf Geschäftsmodelle zu entwickeln (zwei interessante Versuche, auf die er verweist: Kachingle und Journalism Online).

Ich bleibe skeptisch, was Bezahlinhalte im Netz angeht. Ich glaube, dass schon das statische Konzept des Inhalts (ein grauenhaftes Wort!) im Web nicht funktioniert. Das Web lebt von Links, Rebundlings, Remixes und Remakes. Damit will ich nicht sagen, dass nicht Geschäftsmodelle im Web möglich seien—aber sie müssten sich eher auf Services beziehen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt geboten werden.

Twitter als Beispiel für Echtzeit-Nachrichten im Web

Ein Beispiel für Webangebote, die nicht in das Schema des statischen Contents passen: Listorious ist ein Verzeichnis für Twitter-Listen, u.a. gibt es eine Zusammenstellung von Journalismus-Listen. Ziel von Listorious ist es, die relevantesten Listen zu einem Thema auffindbar zu machen. So findet man über Listorious Jay Rosens Liste der Best Mindcasters I Know oder Mindy McAdams Liste der (übrigens durchgängig weiblichen) Media Thinkers.

Wie verwendet man Twitter-Listen journalistisch? Mark Coddington schreibt darüber am Beispiel des Amoklaufs von Fort Hood und verlinkt dabei eine ganze Reihe von Beiträgen aus der US-amerikanischen Diskussion zu dem von Twitter eingefügten Feature. Jeff Jarvis hat das Kuratieren von Links schon vor einiger Zeit als wichtige journalistische Aufgabe erfasst— redigierte und aktuell gehaltene Verzeichnisse von Qualitäts-Twitterern sind dafür eines der wichtigsten Beispiele. Ich notiere mir für die spätere Lektüre: Twitter: Rea-list/Idea-list und Fort Hood: A First Test for Twitter Lists von Megan Garber; Why I don’t use Google Reader anymore und The chat room/forum problem von Robert Scoble. Twitter ist das bisher wichtigste und interessantes Werkzeug für Echtzeit-Information und Echtzeit-Dialog. Wenn man sich mit der Zukunft der Nachrichten beschäftigt, kann man von den Twitter-Gründern wahrscheinlich mehr lernen als von einem Rupert Murdoch.

Clay Shirky streicht in einem Gespräch mit Laura Flanders heraus, dass Twitter die Weiterentwicklung des eigenen Service weitgehend den Usern und anderen Unternehmen überlässt, die auf die Twitter-Daten frei zugreifen können. Auch für Shirky ist Twitter das Beispiel für einen webbasierten Nachrichten-Service. (In dem Interview geht es auch um wichtige andere Themen, vor allem darum, wie internetbasierte Organisationen in die reale Welt z.B. der Politik eingreifen können, um dort real value zu schaffen. Shirky fordert ein Pendant zu den Creative Commons für Online-Aktivismus, also neue politische und soziale Organisationsformen.)

Multimediale Innovation bei der New York Times

Um eine andere Art von innovativem Journalismus geht es in dem aufwändigen Innovation Portfolio, das die New York Times vor allem ihren Anzeigenkunden präsentiert. In ein Flash-Movie sind Demos von Multimedia-Geschichten, aber auch der iPhone-App der NYT eingebettet. Dabei erfährt man, wieviele (meist mehrere Millionen) Besucher sich mit dem Feature beschäftigt haben, und wie lange sie deshalb auf der Site geblieben sind—wesentlich länger als für die Lektüre gewöhnlicher Artikel. Auch hier stellt sich die Frage, ob und wie in solche Features Echtzeit-Informationen integriert werden können, ob sie also zu lebenden Einheiten werden können.

Welche Faktoren fördern Innovationen in den Redaktionen?

Die Änderungen in der News-Landschaft verlangen ein radikales Umdenken auf allen Ebenen, der der Verlage und Medienhäuser, der der Redaktionen und der der einzelnen Journalistin und des einzelnen Journalisten. Steen Steensen schreibt im Online Journalism Blog über Five factors that foster innovation in the online newsroom. Damit fasst er eine eigene ethnographische Untersuchung zusammen, die er beim norwegischen Dagbladet unternommen hat, und verlinkt einige wissenschaftliche Arbeiten über Innovationsmanagement in Redaktionen. Fünf Faktoren entscheiden, so Steensen, darüber, ob sich Innovationen in Redaktionen durchsetzen:

  1. Newsroom autonomy: are innovative projects initiated and implemented within an autonomous newsroom and with relative autonomy within the online newsroom? (If not, the project is less likely to succeed)
  2. Newsroom work culture: does the online newsroom reproduce editorial gatekeeping or are alternative work cultures explored? (reproduction of “old media” work cultures is likely to prevent innovative initiatives from being successful)
  3. The role of management: is newsroom management able to secure stable routines for innovation?
  4. The relevance of new technology: is new technology perceived as relevant, i.e. efficient and useful? (New technology can be costly and time consuming to utilize)
  5. Innovative individuals: is innovation implemented and understood as part of the practice of journalism?

Social media workflow für Journalisten

Den veränderten Alltag von Journalisten, die zu einem social media workflow gefunden haben, beschreibt Karl Schneider von der Reed-Gruppe im ersten von 2 videos: How social media changed the journalist’s day; and making money from content. Die dazu gehörende Präsentation ist ebenfalls online:

Die journalistische Arbei, so Schneider, wird in Zukunft zu 80% öffentlich stattfinden—Journalisten agieren vor und mit ihrem Publikum (Jay Rosens People Formerly Known as the Audience), sie liefern ihm nicht vor allem abgeschlossene Produkte.

Twitter und Google als Vorbilder

Zurück zur Paid-Content-Debatte: Vielleicht verdeckt sie vor allem viel tiefgreifendere Verschiebungen als die vom bezahlten Produkt zu freien oder werbefinanzierten Inhalten.Wer nach Geschäftsmodellen sucht, die im Internet funktionieren, muss sich wohl gerade im Journalismus zuerst um Angebote kümmern, die internet-gerecht sind— wie es Twitter (bisher ohne Geschäftsmodell) und Google (mit einem ser erfolgreichen, aber lange nach dem Produkt entdeckten Geschäftsmodell) vormachen.

Ein Kommentar zu “Fundstücke: Zwischen "Bezahlinhalt" und kollaborativen Echtzeit-News

  1. ich glaube man muss gernicht einmal diese neuen von dir beschriebenen Kulturtechniken (sowohl bei der Erstellung aber auch – und das ist der Knackpunkt- beim Konsum) bemühen, um zu vernünftigen Geschäftsmodellen zu kommen. Ich finde sowieso, dass einer der Fehler der Medienindustrie im Web ist, dass sie (kultur-)technologielastig denkt und nicht userzentriert. Mmn. gibt es zwei Parameter, die in der Lage sind, ein Geschäftsmodell erfolgreich zu machen.
    1. Exklusivität: Macht zum Beispiel das WSJ vor. Superspezielle Angebote mit perfekt ausgearbeiteten Studien usw. für den interessierten Manager von heute. Genialer Stoff, den man aber bezahlen muss. Und das nicht zu knapp. Das wäre ein Szenario für Fachverlage.
    2. Ein Wechsel von informationsbasierten Geschäftsmodellen (Ich biete dir eine Information und will dafür Geld oder Aufmerksamkeit) hin zu einem Zeitbasierten (Ich stelle keine Information her, sondern Organisiere sie so, dass Du effizient und bequem Dein informationsbedürfnis befriedigen kannst und dafür will ich Geld oder Aufmerksamkeit). Das wäre im Prinzip nicht weit weg von den Agentur-Copy-Cats, die die Verlage zur Zeit als Online-Auftritt verkaufen wollen.

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