Gestern abend habe ich den Essay Wofür es sich zu leben lohnt von Robert Pfaller gelesen, auf den mich ein Tweet von Stefan Haase gebracht hat. Ich kann auf diesen Aufsatz, hinter dem eine ganze Philosophie steht, in einem schnellen Blogpost nur oberflächlich eingehen, aber ein paar erste Ideen möchte ich trotzdem aufschreiben.

Der Text hat mich angesprochen. Pfaller schreibt aus einer nichtutilitaristischen Perspektive über die Freude und das gute Leben. Aus dieser Perspektive könnten sich auch das Web und die sozialen Medien anders ausnehmen, als wir sie meist verstehen—denn wir begreifen und rechtfertigen sie oft nur als mehr oder weniger wirksame Mittel zu mehr oder weniger vernünftigen Zwecken.

Freude und Glück beschreibt Pfaller als Erfahrungen, zu denen immer ein nicht konstruktives Element, zu denen Verausgabung, Verzicht auf Regeln und Vernünftigkeit und auf den üblichen gesellschaftlichen Anstand gehören. Sie sind nie nur individuell, sie werden von einer Öffentlichkeit, einem Publikum getragen. Und es gehört Inszenierung zu ihnen, Pfaller spricht mehrfach von Eleganz. Hier ein paar Zitate aus dem Essay Pfallers:

Alles, wofür es sich zu leben lohnt, ist nämlich rund um eine zwiespältige Eigenschaft gebaut: Es ist teuer wie Partykleidung, ungesund wie Alkohol, unanständig oder unappetitlich wie Sex, schmerzhaft wie eine Überwindung, unvernünftig wie Fantasie, Spiel, Müßiggang oder Verausgabung etc…

Man kann wohl sagen, dass diese auf einem unguten Element basierende Lust diejenige ist, die als kulturelle Lust bezeichnet werden darf, wohingegen alle einfache, ohne jedes Negativelement gebildete Lust (etwa dass wir froh sind, wenn wir Licht, Wärme, Ruhe oder Windstille haben) unserer Tiernatur geschuldet ist.

Damit wir das, was wir üblicherweise verabscheuen, in Ausnahmemomenten als lustvoll empfinden können, ist eine entscheidende gesellschaftliche Bedingung notwendig: Es muss eine soziale Situation geben; einen Moment der Eleganz, der Feierlichkeit, der uns verpflichtet, uns glamouröser zu benehmen als sonst.

Es gibt kein gutes Leben ohne Handlungen, die auch anrüchig, sinnlos, sogar zerstörerisch oder selbstzerstörerisch sind, die man mit anderen teilt, und die man kultiviert, die man feiert.

Pfaller erwähnt in seinem Aufsatz das Leben mit den digitalen Medien überhaupt nicht. Aber diese Feierkultur, das Zelebrieren des Sinnlosen, das gemeinsame Genießen von Dingen, die man schräg findet, sind Teil der Webkultur, ich glaube sogar, dass sie die Webszene mitmotivieren. Das reicht von der Beschäftigung mit Algorithmen um ihrer selbst willen bis zum Spiel mit Identitäten und zur Inszenierung des eigenen Privatlebens im Web.

Wenn sich jemand als Geek bezeichnet, sagt sie oder er, dass ihr diese Kultur gefällt, dass sie Spass am Leben mit diesen Medien hat, ganz unabhängig davon, ob sie für irgend etwas nützlich sind. Wo dieses Element fehlt, kommt man zum üblichen langweiligen und tristen Umgang mit Human Computer Interfaces, zum endlosen Evaluieren, zur betrieblichen Langeweile. Beide Seiten gehören zusammen, die Übertretung kann den Alltag nicht ersetzen, aber ohne sie fehlt dem Alltäglichen, auch wenn es digital ist, der Glanz.

Ich vermute, dass Pfaller die Webkultur eher zu den Askesetechniken der neoliberalen Welt rechnen würde. Vieles von dem, was er in der gegenwärtigen Welt vermisst, vor allem öffentliche Räume, in denen man sich gegenseitig Ressourcen zur Verfügung stellt, in denen man sich steigert, findet man aber im Web oder in Verbindung mit dem Web. Wenn wir das Web untersuchen, dürfen wir diese Elemente, die vielleicht sogar zur anthropologischen Fundierung des Webs als einer sozialen Realität gehören nicht vergessen—auch wenn man sich ihnen leichter essayistisch als im wissenschaftlichen Diskurs näher kann.

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