Ich versuche, Content-Strategie als Teil einer sehr breit verstandenen Semiotik zu verstehen. Anlass ist für mich ein Aufsatz Bruno Latours (Latour, 1998b, französisches Manuskript: Latour (1998a)). Mich interessieren dabei vor allem zwei Punkte:

  1. Die énonciation, die Äußerung eines Inhalts, ist entscheidend für das Verständnis des Inhalts—die Interpretation des Inhalts (ohne die es ihn nicht geben kann) erzeugt immer Bezüge zu den Situationen des Akteurs, der den Inhalt äußert (französisch: énonciateur), und des Akteurs, an den er gerichtet ist (französich: énonciataire).
  2. Diese Situationen werden in der Semiotik nicht als gegebene, außersprachliche Kontexte beschrieben, sondern sie sind selbst nur über Inhalte/Äußerungen/Semiosen erfassbar.

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An den Pfingsttagen habe ich an der Degrowth Vienna teilgenommen. Bei dieser Online-Konferenz hat sich eine ganz andere Szene getroffen als die der BarCamps und Onliner-Events, mit denen ich vertraut bin. Diese Szene ist mir immer noch neu, trotz meines Aktivismus für XR, und vermutlich wird sie mir als jemandem, der über 20 Jahre versucht hat digital zu leben, auch etwas fremd bleiben. (In die beiden Sessions über digitale Kommunikation für die Degrowth-Bewegung bin ich leider nicht hineingekommen und hoffe auf die Dokumentation der Konferenz.)

Seit dem Ende des Ostblock-Sozialismus, dem Durchbruch des digitalen Kapitalismus und der Erosion der demokratischen Linken in den westlichen Ländern konnten sich viele (wie ich) für die Zukunft in Ländern wie Österreich und Deutschland nur liberale Szenarien vorstellen. Degrowth steht für eine Alternative—aber nicht für eine illiberale Demokratie sondern für eine demokratische, regionalisierte Kontrolle der Wirtschaft. Angesichts des ökologischen Zusammenbruchs drängt sie sich auf—wobei Degrowth ein umbrella term ist und keinen Universalschlüssel zur Lösung aller gesellschaftlichen Problem bietet. Gegen den Sozialismus konnte man damit argumentieren, dass er nicht so effizient ist wie eine Marktwirtschaft. Diese Effizienz ist aber angesichts der planetaren Grenzen nicht mehr die Lösung sondern das Problem—wobei von den angelegten Maßstäben abhängt, was Effizienz ist.

Alternativen zum technischen Fortschritt

Immer wieder ist mir bei der Konferenz eine Haltung begegnet, die Probleme durch Reduktion, das Entdecken von jetzt vorhandenen Alternativen und Kooperation in einem ökologischen Sinn angeht statt sich an einem Fortschritt zu orientien oder auf Technik und immer weitere Verbesserungen bzw. Reparaturen zu setzen. Als Beispiele einer solchen Haltung wurden am Sonntag André Gorz und Ivan Illich vorgestellt, beide Wiener Emigranten. Unausdrücklich spielte diese Haltung immer wieder eine Rolle. So wurden in der Vorstellung des Buchs über die Postwachstumsstadt (Brokow-Loga, 2020) über Alternativen zu Konzepten der Stadtentwicklung wie der Smart City diskutiert. In einem sehr informativen Panel über die IPCC-Szenarien zur Begrenzung der globalen Erhitzung wurden Analysen des Einflussses der Wachstums- und Entwicklungsideologie auf die IPCC-Szenarien und wissenschaftliche Alternativen dazu vorgestellt. Auch die Session zu Degrowth in der Luftfahrt zeigte ein Gebiet, in dem die Lösung darin bestehen muss, auf Bestehendes zu verzichten statt es zu optimieren. (Mir bleibt aus der Diskussion der Postwachstumsstadt auch der Ausdruck Exnovation im Gedächtnis.)

Auf Bestehendes zu verzichten bedeutet mit gesellschaftlichen und individuellen Habits zu brechen, es ist disruptiv. Solche Disruptionen mobilisieren nicht nur den Widerstand von Konzernen (es war von 130 Milliarden geforderter Bailouts für die Luftfahrtbranche nach COVID-19 die Rede), sondern auch den Widerstand großer Gruppen in der Bevölkerung, z.B. der Menschen, die von der Arbeit in der Automobilindustrie abhängig sind. (Ich habe nur eine der Diskussionen zu dieser Thematik besucht.)

Imperiale Lebensweise

In jeder der Sessions, an denen ich teilgenommen habe, war von der imperialen Lebensweise die Rede. Der Ausdruck imperiale Lebensweise drückt sehr gut aus, gegen was sich die Degrowth-Bewegung richtet: gegen Wachstum, das die schlimmsten negativen Auswirkungen nicht bei uns, in den reichen Ländern hat, sondern in anderen Zonen der Erde, meist im globalen Süden. Ulrich Brand, auf dessen Buch (Brand & Wissen, 2017) er zurückgeht, war einer der Diskutanten des Eröffnungspanels—gemeinsam mit Brototi Roy, Isaac Asume Osuoka und Susan Paulson, die die Internationalität der Degrowth-Bewegung verkörperten. Brand sprach von einer möglichen Allianz der antikapitalistischen Degrowth-Bewegung mit progressiven Liberalen. Darin sehe ich eine große Chance, diese Bewegung weiter gesellschaftlich zu verankern.

Ich habe den Ausdruck Degrowth erst vor kurzem kennengelernt, und nach Jason Hickels Buch (Hickel, 2018) hat mich die erste Lektüre Georgescu-Roegens von der Notwendigkeit überzeugt, den materiellen Verbrauch in unseren Gesellschaften deutlich zu reduzieren. Ich habe immer wieder gemerkt, wie weit eine grundlegende Kritik am Wachstum von den Konventionen entfernt ist, in denen wir normalerweise denken. Mir ist auch erst langsam klargeworden (vielleicht wegen meiner Abneigung gegen den dogmatischen Marxismus, den ich in der Nach-Achtundsechzigerzeit kennengelernt habe), dass sich Degrowth nur über einen konsequenten Antikapitalismus verwirklichen lässt. Den Gegenentwurf zur marktliberalen Gesellschaft sehe ich jetzt in der Regulierung und Ökologisierung der Märkte, nicht in der Etablierung eines alles kontrollierenen Über-Staats. Bei dieser Konferenz konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass die Degrowth-Idee sich in der Gesellschaft durchsetzt—hoffentlich beschleunigt durch die Unterbrechung der gesellschaftlichen Habits durch die COVID-19-Krise.

Nachweise

Brand, U., & Wissen, M. (2017). Imperiale Lebensweise: zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom Verlag.
Brokow-Loga, A. (2020). Postwachstumsstadt: Konturen einer solidarischen Stadtpolitik.
Hickel, J. (2018). Die Tyrannei des Wachstums: wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist (K. Petersen & T. Pfeiffer, trans.). München: dtv.

Charlotte Brives, Pierre Charbonnier und Bruno Latour haben sich in den letzten Wochen zur Coronakrise geäußert. Sie stellen zur Covid-19-Pandemie Fragen wie: In welchem Verhältnis steht die Pandemie zu den großen, miteinander verbundenen ökologischen Krisen? Was verändert sie in unseren Gesellschaften—was zeigt sich in ihr über unsere Gesellschaften? Sie kritisieren die vorschnellen Antworten der nationalstaatlich orientierten Politik, des neoliberalen und auch des herkömmlich linken ökonomischen Determinismus und einer vorgeblich überpolitischen Ökologie. Die Forderung nach einer lokalisierten Zivilgesellschaft, die das Territorium, das Gelände nicht als Außen begreift, sondern sich mit ihm vernetzt, ist für mich das wichtigste Thema nach der ersten Lektüre dieser Texte.

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In der Öffentlichkeit wird die Corona-Pandemie meist als eine Gesundheitskrise dargestellt, bei der ein Virus weltweit von Mensch zu Mensch übertragen wird. Diese Sicht ist verkürzt: Pandemien wie Sars-CoV-2 sind wahrscheinlicher geworden, weil wir die Artenvielfalt durch Entwaldung und die Einrichtung von Monokulturen für die globalisierte Wirtschaft zerstören. Sie können sich durch den internationalen Verkehr, Urbanisierung und globalen Handel in kürzester Zeit weltweit ausbreiten. Sie treffen diejenigen am härtesten, die durch mangelhafte Gesundheitssysteme, Armut, Migration, Luftverschmutzung und andere ökologische Katastrophen besonders verwundbar sind. Sie können sich zu globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrisen steigern, weil ökologische Ungerechtigkeit und globale Arbeitsteilung nachhaltige Strukturen zerstört oder verhindert haben. Sie können endemisch werden und die Gesundheit weltweit dauerhaft gefährden—auch weil sie aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nicht konsequent genug bekämpft werden.

Die COVID-19-Krise zeigt, wie eng menschliche Gesundheit, Gesundheit von Haustieren, Gesundheit von Wildtieren und Gesundheit von Ökosystemen miteinander verbunden sind. Die Corona-Pandemie ist eine Krise der Gesundheit in einem Sinn, der heute oft als Planetary Health bezeichnet wird. Sie ist ein Teil einer Krisensituation, die durch das Überschreiten der Planetary Boundaries (W. Steffen et al. 2015) ausgelöst wurde. Coronakrise und Klimakrise sind zwei Aspekte derselben Entwicklung. Die Coronakrise ist damit ein Anlass dafür, die Beziehungen zwischen Gesundheitskrisen und der Überlastung der planetaren Systeme, ohne die Leben auf der Erde nicht möglich wäre, mehr als bisher zu thematisieren.

Wie hängen die durch das Corona-Virus ausgelöste Gesundheitskrise, die Biodiversitätskrise und die Great Acceleration (Will Steffen et al. 2015), mit der die Erde das Holozän verlassen hat, genau zusammen? Ich stelle hier für Extinction Rebellion Austria Argumente und Material aus Wissenschaft und seriösem Journalismus zusammen, um vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie Aktivismus gegen die Biodiversitätskrise zu begründen. Weiterlesen

"Wir kämpfen nicht für die Natur—wir sind die Natur, die sich verteidigt." Plakat in Notre-Dame-des-Landes, Quelle: https://reporterre.net/Nous-ne-defendons-pas-la-nature-nous-sommes-la-nature-qui-se-defend
„Wir kämpfen nicht für die Natur—wir sind die Natur, die sich verteidigt.“ Plakat in Notre-Dame-des-Landes, Quelle: https://reporterre.net/Nous-ne-defendons-pas-la-nature-nous-sommes-la-nature-qui-se-defend

Seit dem Beginn des Corona-Lockdowns schreibe ich nicht viel. Ich weiss nicht, ob der Lockdown die Ursache für die Schreib-Probleme ist. Wahrscheinlich hat er dazu geführt, dass ich mehr lese als sonst. Was ich gerade lese, führt bei mir zu einer Umorientierung, die nicht abgeschlossen ist (und auch nicht mit dem Lockdown begonnen hat). Deshalb bringe ich auch kurze Texte nicht zuende.

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Update, 26.4.2024: Inzwischen funktioniert die Synchronisierung der Highlights mit der Pocketbook-Software. Dieses Post ist also nur noch historisch interessant.

Ich habe mir kurz nach Weihnachten einen PocketBook Touch HD 3 gekauft, und ich lese längere Texte sehr gerne damit (z.B. Masterarbeiten, die unsere Studierenden als epub-Files abgeben). Einziges Problem: Highlights (Stellen, die ich mir anstreiche) werden nicht vom Reader mit den Apps auf Mobiltelefon und Computer synchronisiert. Weiterlesen

Auch wenn viele Content-Strategie mit Content-Marketing oder einfach mit Werbung und Propaganda verwechseln: Man braucht Content-Strategie nicht, um Menschen in eine bestimmte Richtung zu steuern, z.B. durch Storytelling. Dafür gibt es ältere Disziplinen der Kommunikation, und sie haben zu Recht einen schlechten Ruf.

Man braucht Content-Strategie auch nicht, um Fakten bestmöglich darzustellen. Content-Strategie beschäftigt sich nicht vor allem damit, wie man als Sender Inhalte sachlich richtig gestaltet. Content-Strategie steht im Dienst der Nutzerinnen und Nutzer von Inhalten.

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Quarantine Book Club: Gespräch mit Erica Hall über ihr Buch Just Enough Research, heute 17:00, Kosten: 5 USD.

Wolfgang Nagel über seine Vorgehensweise beim Content Design and UI Mapping mit Hinweisen auf mehr, vor allem auf sein Buch Multiscreen UX Design.

Usability-/Readbility-Tipps zu Binde- und Gedankenstrichen, sehr gut belegt: Hyphens and dashes.

Eric Meyer ruft dazu aus, so oft wie möglich zu statischen Websites überzugehen (statt sie dynamisch von Content Management Systemen erzeugen zu lassen): Get Static. Hauptgrund: Performance. Passend dazu und zur Corona-Krise: Max Boecks Emergency Website Kit.

Auch angeregt durch die Coronakrise, aber auf Dauer wichtig: Das neue Blog über Online-Events Building engaging online events that succeed. Online-Events sind ein wichtiges Content-Format!