Auf der NCC-Konferenz in Zürich ging es mehrfach um die Frage, mit welcher Art von Medien oder Kommunikation man sich eigentlich beschäftige. (Für den PR-Blogger habe ich über diese Konferenz berichtet.) Ich hatte den Eindruck, dass die Bedeutung der Sozialen Medien, die Thema der Konferenz waren, allen klar war, und dass auch alle über dasselbe sprachen, dass wir aber nur schwer hätten sagen können, worin eigentlich das Neue der Sozialen Medien besteht. Bei unserem Web Literacy Lab in Graz stehen wir vor demselben Problem. Deshalb hier noch einmal ein Versuch, diese Medien von anderen Kommunikationsformen und Tools abzuheben. Es ist ein Versuch einer Begriffsklärung erst einmal für mich selbst, und es ist mir klar, dass er nicht die Beschäftigung mit Literatur und eigene Forschungen ersetzt.

In dem Vortrag von Ralf Greiss über Change-Prozesse im Unternehmen verschwand beinahe die Grenze zwischen Social Media und Kommunikation. Ganz am Anfang zeigte Greiss ein Bild von einer Höhlenmalerei und sagte, damit hätten die Social Media angefangen, Social Media habe es immer schon gegeben. Konsequenterweise kam er zu dem Ergebnis, dass die Beschäftigung mit Social Media im Unternehmen, z.B. bei der Unternehmensberatung, identisch mir der Beschäftigung mit der Kommunikation im Unternehmen überhaupt sei. In der anschließenden Diskussion sagten mehrere Teilnehmer, es gehe nicht um technische Plattformen, sondern um Kommunikation.

Dass Social Media nicht einfach gleich Kommunikation ist, zeigt eine Anekdote, die Otfried von Königsmarck während der Konferenz erzählte: Um ihr Wissensmanagement-System Jive im Unternehmen durchzusetzen, hätte eine Luftfahrtgesellschaft dem mittleren Management untersagt, mehr als zehn Emails am Tag zu schreiben. Erreicht wurde so, dass die Mitarbeiter Informationen in ein System stellten, in dem dann automatisch festgestellt wurde, wer sich mit den gleichen Fragen beschäftigte. So wurden z.B. die 30 Personen der Firma, die sich weltweit mit Reifen befassen, miteinander vernetzt.

Auch Emails sind Kommunikation, sie gehören aber nicht zu den sozialen Medien. Emails sind nicht öffentlich—selbst wenn sie, wie bei einer Email-Liste, an viele Adressaten gehen—und Emails sind nicht dauerhaft zugänglich, sie sind nicht verlinkbar. Umgekehrt gehört zu Social Media immer eine Öffentlichkeit. Damit meine ich, dass die Kommunikation Personen zugänglich ist, die nicht unmittelbar angesprochen sind, und die sich frei dafür entscheiden können, ob und wie sie sich beteiligen. Von Social Media würde man auch nicht sprechen, wenn die „Öffentlichkeit“ aus Personen besteht, die nur beobachten (so wie die Leser und Zuschauer der alten Massenmedien) oder die nur kontrollieren (wie Vorgesetzte oder auch Geheimdienste). Gemeinsam haben Email und Social Media nur, dass sie digital sind, vielleicht auch, dass sie internetbasiert sind.

Wenn man das zusammenfasst, kann man sagen:

  • Social Media sind digital (das bedeutet u.a., dass nicht von der räumlichen Nähe abhängt, wen sie erreichen, und dass sie digital weiterverarbeitet werden können—z.B. von Suchmaschinen—und müssen, z.B. um überhaupt auf einem Rechner oder Telefon dargestellt zu werden).

  • Sie wenden sich an eine Öffentlichkeit, an nicht direkt oder explizit adressierte Dritte.

  • Es können sich auch die „Dritten“ an ihr beteiligen; es gibt keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen Sendern und Empfängern.

  • Social Media werden gespeichert, sie sind auch im Nachhinein noch zugänglich.

Diese Abgrenzung von Social Media schliesst zum Beispiel die Bulletin Boards des frühen Internets ein, und sie würde auch für proprietäre, nicht internetbasierte Technologien z.B. in einem Unternehmen gelten. Wenn man heute von Social Media spricht, meint man allerdings in der Regel webbasierte soziale Medien, also Medien, die im WWW und mit den Technologien des WWW produziert und publiziert werden. Man kann auch sagen, dass Webtechnologie vor allem dazu dient, das zu realisieren, was wir jetzt soziale Medien nennen. Im Web ist die Öffentlichkeit, die man mit sozialen Medien erreicht, grundsätzlich weltweit (man muss Einschränkungen vornehmen, wenn man Informationen nur begrenzten Gruppen zugänglich machen will), im Web sind alle Informationen miteinander verknüpfbar, weil sie feste Adressen haben, und die Weiterverarbeitung ist grundsätzlich unbeschränkt möglich.

Man kann vielleicht sagen: Es geht bei sozialen Medien um digitale, öffentliche oder teilöffentliche, asynchrone und dauerhaft adressierbare, potenziell symmetrische Kommunikationsakte. Für diese Form der Kommunikation ist das Web die optimale Umgebung.

So wie man jede mündliche Kommunkation duch schriftliche und jede analoge durch digitale ersetzen kann, kann man grundsätzlich auch jede Kommunikation mit sozialen Medien vornehmen. So etwas findet tendenziel z.B. bei BarCamps statt. Social Media sind etwas wie ein Kanal für Kommunikation—wobei das Bild vom Kanal schief ist, weil Social Media eben nicht nur zielgerichtet von einem Teilnehmer zum anderen fließen. In einem Unternehmen kann man im Einzelfall entscheiden, wo es sinnvoll ist, diesen Kanal zu benutzen. Es liegt auf der Hand, dass das vor allem da der Fall ist, wo es auf Kollaboration und den schnellen Austausch von Wissen ankommt.

Soziale Medien betreffen also tatsächlich die gesamte Kommunikation in einem Unternehmen, aber es findet nicht die gesamte Kommunikation in sozialen Medien statt. Die Social Media-Strategie eines Unternehmens gehört zur Kommunikationsstrategie, und da Kommunikation in einer Organisation, wie es in Zürich Ralf Greiss dargestellet hat, ein übergreifendes und weitgehend unkontrollierbares Phänomen ist, lässt sie sich am ehesten auf der Ebene der Organisationskultur verändern. Mir leuchtet der holistische Ansatz, wie ihn Greiss vertritt ein, ich glaube aber, dass man innerhalb eines solchen Ansatzes die Besonderheiten von Social Media (und damit ihr Potenzial zur gewollten oder ungewollten Veränderung von Organisation) berücksichtigen muss.

Noch eine abschließende Bemerkung: Wenn dieses Verständnis von Social Media stimmt, dann ergibt sich daraus, dass sie in erster Linie eine Technologie sind, oder vielleicht besser: eine technische Plattform für Kommunikation. Auf und mit dieser Plattform entstehen aber neue soziale Phänomene und soziale Strukturen, so wie z.B. das Auto und der Individualverkehr das Freizeitverhalten und die ganze Wirtschaft radikal verändert haben—wobei das Auto im Vergleich zum Web eine sehr begrenzte Innovation darstellte. Unternehmen müssen sich, um im Bilde zu bleiben, überlegen, wo sie von der Kutsche oder der Eisenbahn (den alten Kommunikationskanälen) auf das Auto (soziale Medien) umsteigen, welche Mitarbeiter sie damit fahren lassen, und wie diese sich—Stichwort: Social Media Guidelines— zu verhalten haben. Viel schwieriger ist es zu verstehen, wie sich ihre Märkte durch die neuen Kanäle verändern, und darin liegt die eigentliche Herausforderung.

4 Kommentare zu “Social Media = Kommunikation? Versuch einer Abgrenzung

  1. Für mich hat das Mißverständnis Social Media = Kommunikation auch mit der Entstehung des Begriffs zu tun. Wenn ich es richtig einschätze, hat sich der Begriff deshalb durchgesetzt, weil damit ein eigentlich relativ technisches Feld oder technische Innovation sehr untechnisch ausdrücken lässt (im Gegensatz zu vorher mit Buzzwords wie Web2.0, Ajax etc.), d.h. das bietet sich recht dankbar in allen möglichen Zusammenhängen und v.a. im Marketing an.
    Jetzt im Nachhinein, ohne über die Entstehung des Begriffs nachzudenken, ist natürlich der Gedanke naheliegend: Hm, das ist ja gar kein technischer Begriff, und kommuniziert wird sowieso dauernd, also Social Media = Kommunikation.
    Deine Analyse finde ich jedenfalls sehr treffend, gerade dass das „Social“ eine (zumindest Teil-)Öffentlichkeit einschließt, im Gegensatz zum E-Mail.

  2. Die Frage nach dem Neuigkeitsgrad ist berechtigt. Aus meiner Sicht sind gleich mehrere Aspekte an den Neuen Medien „neu“, anbei ein kurzes Brainstorming:
    – Personen agieren seit Web 2.0 verstärkt mit ihren echten Namen
    – Dienste sind einfacher in der Bedienung und gleichzeitig mächtiger in der Funktionalität
    – Reichweite der Dienste ist viel größer und gleichzeitig findet eine Konsolidierung auf nur wenige (interessante) Dienste statt (zB Facebook)
    – Der einzelne Mensch kann nicht verhindern, dass über ihn Inhalte (irgendwo) veröffentlicht werden
    – Zunehmende Angst, die Selbstbestimmtheit in Bezug auf die Teilung von Information zu verlieren
    – Mangelnde Kompetenz, mit den neuen Medien umzugehen (aktiv/inhaltserstellent + passiv/inhaltslesend) führt zu vielen Missverständnissen und Pannen, aber auch zu Fehleinschätzungen

  3. Es ist auch mein Eindruck, dass die Anonymität im Web durch Social Media vor allem im Sinne des Personal Branding abgelöst wird und Personen vermehrt mit ihrer wahren Identität agieren. Gibt es dazu schon irgendwelche Statistiken/Studien?

  4. Ich finde den hier begonnenen Dialog sehr interessant… schade nur dass er gleich wieder vorbei zu sein scheint 🙂 Ich wollte in der Tat auch ein wenig polarisieren, was auch in einem Kommentar einer Teilnehmerin zum Ausdruck kam die meinte „Endlich mal ein Vortrag über Social Media bei dem nicht die Namen facebook und Twitter“ gefallen sind“, was mich sogar selbst erstaunt wenn das so war :-). Ich würde den Dialog im Dienste der Sache sehr gerne fortsetzen, vor allem auch wenn es erste praktische Erfahrungen über ein Change Management Projekt im Kontext von Social Media gibt. Hier übrigens zur Info nochmals der Link zu dem aufgezeichneten Vortrag http://bit.ly/hicsEb sowie dem anschließenden Kurz-Interview

    Ich freue mich auf weiteres Feedback

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