In der neuen Folge des Circular Metabolism-Podcasts (Athanassiadis, 2025) unterhält sich Aristide Athanassiadis ausführlich mit dem französischen Philosophen Thierry Paquot, der sich vor allem mit Städten und Urbanismus beschäftigt hat. Die Leitfrage ist, ob es eine ideale Größe von Städten gibt. Ausgehend von dieser Frage geht Paquot auf eine Fülle von Literatur ein. Dabei stellt er seine eigene Arbeit vor, die von der Lektüre, dem Kommentieren und Editieren dieser Literatur nicht zu lösen ist. In der zweiten Hälfte des Podcasts geht Paquot ausführlich auf den Bioregionalismus ein und stellt dabei seine eigenen urbanistischen Ziele dar.
Man kann den Podcast auf YouTube (auch mit automatisch und leider nicht immer brauchbar übersetzten Untertiteln) ansehen:
Der wohl wichtigste Referenzautor Paquots zum Bioregionalismus ist Alberto Magnaghi. Pacault hat französische Ausgaben wichtiger Bücher Magnaghis eingeleitet.
Magnaghi hat die Ideen des Bioregionalismus von Peter Berg und anderen übernommen und sie in urbanistische Konzepte übertragen. Dabei orientiert er sich an marxistischen Kategorien. Er ist im deutschen Sprachraum bisher offenbar kaum bekannt
Ich bin vor ein paar Monaten auf den Bioregionalismus durch den Circular Metabolism Podcast aufmerksam geworden. Das Interview mit Paquot hat viele Bezüge zu einem Gespräch Aristide Athanassiadis’ mit Mathias Rollot über Bioregionalismus, über das ich hier gebloggt habe. Der Circular Metabolism Podcast ist – wie vielleicht gute Podcasts überhaupt – nicht nur eine Serie mit interessanten Inhalten, sondern Schauplatz einer intellektuellen Entwicklung. Für mich macht diese Entwicklung immer deutlicher, dass der Bioregionalismus oder Territorialismus ein zentraler Teil der Antwort auf die ökosoziale Polykrise ist.
Paquot zitiert Magnaghis These, Orts- oder territoriales Bewusstsein müsse zum Klassenbewusstsein hinzukommen. Er spricht von der Liebe zum Territorium als Begründung für das Handeln. Die Schönheit der Territorien gibt den Ausschlag dafür, wie man sich ihnen zugehörig fühlt.
Das Konzept der Bioregion ist dem des Nationalstaats entgegengesetzt. Paquots Utopie ist ein Europa, in dem 1500-2000 unterschiedliche Bioregionen miteinander verbunden sind. Zu jeder dieser Regionen können Städte von verschiedener Größe gehören. Diese Utopie ist der Utopie der Globalisierung von oben entgegengesetzt. Auch bei der Entgegensetzung einer Globalisierung von oben und der Globalisierung von unten verweist Paquot auf Magnaghi.
Ein weiterer wichtiger Referenzautor Paquots ist Ivan Illich. Illich habe als erster die negativen Effekte von Größe zum Thema gemacht: das Umschlagen einer positiven Entwicklung in eine negative, wenn eine bestimmte Größe überschritten wird – etwa wenn zu viel Verkehr vor allem Staus produziert oder wenn (das Beispiel ist nicht aus dem Podcast) zu viel Information zur Desinformation führt.
Nach dem Hören dieses Podcasts habe ich mir zum ersten Mal ein Buch von Magnaghi (2020) besorgt und in der Einleitung viele der Themen wiedergefunden, die mich seit einigen Jahren beschäftigen. Magnaghi schließt – wie Éric Pineault und George Monbiot, über die ich hier in der letzten Zeit geschrieben habe – an Murray Bookchin und sein Konzept einer Föderierung lokaler direkter Demokratien an. Auch er nennt Rojava und die Zapatisten als Beispiele.
Ich habe den Podcast am Sonntag in unserer Galerie gehört, vor einem Treffen zur Zukunft von graz.social, einer lokalen Initiative für ein föderiertes, dezentral organisiertes Informations-Universum und damit auch für freien, nicht kommerziellen Tausch. Die Idee des „Ortsbewusstseins“, der coscienza di luogo, über die Magnaghi schreibt, hilft mir, Querverbindungen zwischen den Aktivitäten zu erkennen, die mich in den letzten Jahren vor allem beschäftigen: Klimaaktivismus, Ausstellungen von Architektur- und Landschaftsfotografie und Experimentieren im Offenen Web.