In den letzten beiden Wochen habe ich drei Texte für Medium geschrieben—spät, denn ich kenne Medium schon lange und habe es im Sommer vor zwei Jahren beim Redesignen dieses Blogs als Vorbild verwendet. Ich habe eine Sammlung angelegt, in die ich hoffentlich bald auch Beiträge von anderen aufnehmen kann: Am Glacis — Texte über Graz. Weiterlesen
mons7 habe ich über Twitter kennengelernt. Monika König hatte ich kurz davor beim Grazer EduCamp getroffen. Danach habe ich mich an ihren Namen erinnert, aber ihn einer blonden Lehrerin aus Hannover zugeordnet und nicht der Hessin mit der Rastafrisur, mit der ich mich beim Bier unterhalten hatte.
Ein Leser dieses Blogs, den ich schätze, weil er scharfsinnig ist, hat mich per Email gefragt, ob ich jetzt jemanden für mich schreiben ließe. Die Qualität der Beiträge hätte gravierend abgenommen. Ich habe ihm geantwortet, dass das meine Alltagsform sei. Ich versuche im Augenblick, täglich etwas zu schreiben und es auch zu posten.
Torsten Larbig greift in einem langen Post kritisch und auch etwas elegisch die immerwährende Blogger-Debatte über das Bloggen auf. Einer der Schwachpunkte aus seiner Sicht: Die deutschen Blogger beschäftigten sich zu sehr mit sich selbst, sie schrieben zu selbstreferentiell:
Den Titel dieses Posts verdanke ich unserem Rektor, der mich so neulich einem steirischen Politiker vorgestellt hat. Ich weiss noch nicht, ob ich ihn als Dienstbezeichnung verwenden kann. Aber er eignet sich vielleicht als Überschrift für einen Beitrag zu der Blogparade, zu der Alex Stocker und Stephan Wiesenhofer eingeladen haben: Wer sind Österreichs Social Media Blogger?.
Ich lese gerade Der Prozeß des Organisierens von Karl E. Weick. Zwischen Organisationprozessen, wie sie Weick versteht, und dem Verfassen von Blogposts gibt es interessante Analogien—vielleicht kann man Weicks Modell sogar benutzen, um wichtige Eigenschaften von Blogposts zu erklären.
Martin Weigert hat mit seinem Post Identität im Netz: Das Glaubwürdigkeitsproblem anonymer Kritik heftige Diskussionen angestoßen. (Ich bin durch Thomas Pleil und Robert Basic darauf gestoßen.)
Wenn mich in Zukunft jemand fragt, was ein Blogger ist, werde ich Dave Winer zitieren. Winer hat erklärt, was Dave Rosen und er unter einem Natural-born Blogger, also unter einem geborenen Blogger oder einer geborenen Bloggerin verstehen:
- Ein GB bittet nicht um Erlaubnis.
- Ein GB erklärt die Dinge, selbst wenn er sie nicht versteht. Wenn ein GB Fehler zugeben muss—und das passiert oft—zuckt er die Achseln und sagt etwas wie Shit happens.
- GBs gehen voran. Hast du einen GB bei dir, musst du nicht warten, bis sich Freiwillige melden.
- GBs sagen lieber zu viel als zu wenig. Wenn du merkst, dass du zu jemand nur sagen willst: Halt endlich die Schnauze (englisch: STFU), hast du wahrscheinlich einen GB vor dir.
Winer sucht in der amerikanischen Geschichte nach geborenen Bloggern avant la lettre. Ich glaube, dass sie ein ganz altes europäisches Phänomen sind. Petra Gehring hat gerade in einer FAZ-Rezension darauf hingewiesen, dass Michel Foucaults letzte Vorlesungen um Begriff der parrhesia kreisen:
des Aktes einer freimütigen Aussage, die ohne Rücksicht auf mögliche Gefahren offen getätigt wird. Die parrhesia ist eine situative Kategorie, für welche die griechische Sprache einen eigenen Namen besitzt, der sie von der isegoria, dem formalen Rederecht jedes Bürgers, klar unterscheidet. … Der Parrhesiast ist einer, der in der Volksversammlung spricht, die Dinge zurechtrückt, wie Perikles im richtigen Moment interveniert.
Blogger nehmen sich ein Rederecht, sie lassen es sich nicht einfach zugestehen. Sie agieren nicht im Namen anderer oder von Firmen oder Institutionen. Sie sprechen für sich und damit für die Allgemeinheit statt für diejenigen, die sich zu deren Vertretern ernennen. Blogs sind erst durch das Web möglich geworden, aber die Haltung hinter ihnen hat eine lange Geschichte, die mit der Geschichte der Demokratie verwoben ist.
Am 10. Juni habe ich Martin Langeder einige Fragen zu Lost and Found beantwortet. Martin Langeder stellt mein Blog heute im Österreichischen Journalist vor. Hier meine Antworten; Martin Langeder hat mir erlaubt, sie zeitgleich zum Artikel online zu publizieren.
1) Warum bloggen Sie? Und seit wann?
Ich versuche, Dinge festzuhalten, Gedanken zu klären, die mir wichtig
sind, und für andere erkennbar zu werden. Ich habe kein bestimmtes
Ziel. Mir gefällt diese Schreibform.
Ich weiß nicht genau, wann ich angefangen habe. Ich hatte ziemlich
früh einen Account bei Pyra Labs, und etwa ab 2002 habe ich mit Chris Langreiters vanilla gebloggt. Damals habe ich das Blog aber eher als Werkzeug benutzt, um Links zu sammeln. Intensiver blogge ich seit
2005.
2) Wie lautet die Selbstcharakterisierung Ihres Blogs?
Sie ist für mich ein dauerndes Problem, und ich ändere sie
gelegentlich. Im Augenblick lautet die Tagline: Notizen aus Graz über
.
Soziale Medien und Journalismus im Web
3) Wie viel Zeit verwenden Sie täglich für das Schreiben der Beiträge,
das Lesen der Kommentare etc.? Ist es Teil des Jobs oder reines
Privatvergnügen?
Zwischen 0 und zwei Stunden, je nachdem, wieviel Zeit ich dafür habe
(in den letzten Monaten leider kaum). Das Bloggen ist für mich Teil
des Jobs und Privatvergnügen. In den vergangenen Monaten habe ich
versucht, in meinem Büro in der Fachhochschule zu bloggen – es ist mir
nicht gelungen. In einem Büro ist wohl für das Schreibvergnügen zu
wenig Platz.
4) Was ist Ihre Hauptinspirationsquelle?
Ich habe ein paar Vorbilder in der ersten Generation der Blogger. In
Amerika Dave Winer, Jeffrey Zeldman, Tim Bray, David Weinberger, Doc Searls; in Europa Jörg Kantel und Chris Langreiter. Inzwischen lese ich sehr viele andere Blogs. In Österreich sind Max Kossatz, Helge Fahrnberger und Luca Hammer für mich am wichtigsten, außerdem Georg Holzer, Jana Herwig und Christoph Chorherr, hier in Graz auch Christian Klepej. Es gibt auch ein paar fernere Quellen — ohne dass ich mich mit großen
Namen schmücken will. Montaigne und Erasmus von Rotterdam würde ich
gerne als Vorbilder nennen können.
5) Welches Feedback bekommen Sie auf Ihre Bloggerei – von Studenten,
Kollegen und Lesern?
Von Studenten: wenig, außer dass ich vielleicht einige zum Bloggen
gebracht habe. Ich schreibe wohl nicht unmittelbar genug. Mir ist aber
wichtig, dass die Studenten sehen können, was ich denke und wie ich
schreibe. Kollegen an der FH lesen mein Blog, können aber nur selten
etwas damit anfangen. Ein paar besonders Wohlmeinende haben mich schon
wegen frecher Bemerkungen in Blogs und auf Twitter bei unserer
Geschäftsleitung verpetzt. Am meisten Echo bekomme ich von anderen
Bloggern und Leuten aus der Social Media-Szene. Und — nicht zu
vergessen — von meinem inzwischen 87-jährigen Vater, der mein Blog
sehr genau liest.
Ich habe durch das Blog eine Reihe von sehr interessanten und sehr
netten Leuten kennengelernt. Obwohl ich wenig Leser habe, hat das Blog
meinem Ruf außerhalb der Blogosphäre genutzt.
6) Wie viele Besucher klicken im Schnitt täglich auf Ihren Blog?
Ich habe auf meinem Blog Links zu Sitemeter und einen FeedBurner-Button installiert, damit diese Zahlen transparent sind.
Auf die Website gehen zwischen 30 (wenn ich nichts schreibe) und über
100 Leuten (bei neuen Einträgen, die verlinkt werden) pro Tag; der
RSS-Feed hat ca. 300 Abonnenten.
7) Wie heißt Ihr aktueller Lieblingsblog? Warum ist er derzeit Ihr Favorit?
Mein Lieblingsblogger ist nach wie vor Dave Winer. Ich schätze seine
Schreibweise — ungekünstelt und sehr präzise — und seinen Blick auf
Medien und Technik.
8) Was können Blogger in Österreich von Bloggern z.B. in den USA noch lernen?
Vor allem: selbstbewusst Themen zu setzen. Wichtiger finde ich aber,
dass die Österreicher außerhalb der Blogspäre lernen, was man mit
Blogs machen kann.
9) Ein Blick in die Zukunft: Welche Pläne haben Sie für Ihren Blog?
Mehr und leichter schreiben. Ich möchte Lost and Found noch mehr
als meine persönliche öffentliche Plattform nutzen und dabei mit
unterschiedlichen Tonlagen experimentieren. Außerdem würde ich gerne
die älteren Inhalte besser erschließen. Eine offene Frage für mich
ist: In welchem Verhältnis zueinander stehen die verschiedenen Social
Media-Plattformen die ich nutze, außer meinem Blog z.B. auch Twitter,
Friendfeed, delicious und Facebook?
10) Was können denn österreichische Journalisten vom Bloggen lernen?
Bloggen ist eine onlinetypische Schreibweise – eine der ersten, die
sich herausgebildet haben und in der es sogar schon Traditionen gibt.
Plakativ gesagt: Journalisten können vom Bloggen lernen, wie man fürs
Web schreibt. Es gibt einen eigenen zeitlichen Rhythmus: Laufende
Aktualisierungen. Man schreibt immer verlinkt, mit Beziehung auf
andere Texte. Man steht im Dialog mit anderen Bloggern und mit den
Leuten, die kommentieren. Man ist als Person deutlicher erkennbar als
in herkömmlichen Medien und muss an seiner individiuellen „Marke“
arbeiten. Man schreibt improvisierter, mündlicher als für den Druck –
denn ein großer Teil des Redaktionsprozesses findet erst in der
Diskussion oder in anderen Posts statt.
11) Warum sollten – sowohl aus Ihrer persönlichen Sicht, als auch aus
Ihrer Sicht als Medienwissenschafter – mehr Journalisten bloggen?
Durch Blogs können Journalisten ihre Arbeit in Kontexte stellen, die zum Web passen. Sie dokumentieren wie sie arbeiten, klären über ihre
Motive auf, stellen Vermutungen, Interviewfragen und Quellenmaterial
zur Diskussion und können ihre Arbeiten laufend aktualisieren. Jeff
Jarvis hat in Replacing the article beschrieben wie Blogposts mit anderen Formen (Wiki, kommentierte
Links, Diskussionsforum) zusammen funktionieren können.
Persönlich sehe ich die Blogger noch immer als eine Community. Diese
Community wird interessanter, wenn mehr Journalisten, die etwas zu
sagen haben, an ihr teilnehmen.
12) Und eine Bitte habe ich noch: Können Sie mir bitte Ihr Alter verraten?
Ich bin 1956 geboren und gerade noch 52. Für dieses Genre also alt. Ich bin sehr früh mit Computern in Berührung gekommen und habe mich später auch für Software-Entwicklung interessiert — von dort ist der Weg zum Bloggen vielleicht kürzer als vom herkömmlichen
Journalismus.
Gestern abend: Zweiter Grazer Webmontag in der Scherbe — eher ein Stammtisch als ein Mini-Barcamp. Einige Diskussionen darüber, ob das Grazer Designcamp und das nächste Grazer Politcamp, die beide am vorletzten Maiwochenende stattfinden sollen, zusammengelegt werden können. Mir gefällt die Kombination; beide Veranstaltungen würden gewinnen.
Unter den 20 – 30 Grazer Geeks war Henriette Zirl, die mir einiges über ihr Blog und über Chyrp erzählt hat, das Tumblelog-CMS, mit dem sie es betreibt. Tumblelogs sind Weblogs, in denen vor allem Fundstücke und Zitate aneinandergereiht werden; eine sorgfältige diskursive Darstellung, Kommentare oder Widgets zur Erschließung der eigenen oder der Verknüpfung mit anderen Inhalten spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle. Das bekannteste Tumblelog-System hier in Österreich ist soup, hinter dem u.a. Christopher Clay steht; international wird wohl tumblr am meisten für gehostete Tumblelogs benutzt. Chyrp ist ein System für Tumblelogs auf dem eigenen Server; beim letzten Grazer Barcamp hat Peter Scheir es erwähnt. (Henriette hat mir gestern erklärt, dass soup keine selbständigen Pages erlaubt, so dass man nicht z.B. kein Impressum anlegen kann.)
Tumblelogs faszinieren mich, aber ich habe noch nie länger mit jemand gesprochen, der wirklich ein Tumblelog betreibt. Henriettes Blog zeigt, dass Tumblelogs alles andere als chaotisch sind, sie sind kein Mischmasch, sondern Sammlungen von Präparaten, Fundstücken und Nahaufnahmen, denen keine Ordnung übergestülpt wird. Das Bloggen wird zu einer seiner Essenzen konzentriert; Tumblelogs sind Blogs, in denen sich die Kommentare fast vollständig auf den Blick beschränken, mit dem die Elemente ausgewählt werden — das Gegenteil von dem, was ich hier mache, obwohl ich auch an eine Sammlung von Fundstücken dachte, als ich begonnen habe zu bloggen.
Ich hoffe, dass Henriette bald auf die FH in eine Übung zum Schreiben im Web kommt. Abgesehen davon, dass ich das Gespräch gerne fortsetzen würde: Von ihr könnten unsere Studenten lernen, wie eng beim Online-Schreiben der Zusammenhang von Inhalt und Form und wie wichtig die Aufmerksamkeit für die scheinbar nur technischen Details der Content Management Systeme ist, die man dabei benutzt.