Ich beschäftige mich gerade mit einer detaillierten Untersuchung der Beziehungen zwischen Konsum und Treibhausgas-Emissionen (Dubois et al. 2019). Einerseits finden sich darin sehr genaue Angaben dazu, welche Rolle der Verbrauch der Haushalte für die Erhitzung der Erdatmosphäre spielt. Insgesamt seien die Haushalte durch ihren Verbrauch für 72% der Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich, und das vor allem in den Bereichen Mobilität (Autoverkehr und Flüge) und Lebensmittelkonsum (Fleisch- und Milchprodukte). Andererseits haben die Autorinnen und Autoren untersucht, wie man Haushalte zu einer Verringerung der Emissionen bringen kann. Ein Ergebnis ist, dass es utopisch wäre, auf eine nennenswerte Reduktion der Emissionen nur durch bewusste Veränderung des Konsumverhaltens zu setzen. Die Haushalte, also die Verbraucherinnen und Verbraucher, werden ihr Verhalten nur verändern, wenn sich die Policies der Regierungen ändern, wenn also politisch entschlossen gegen klimaschädlichen Konsum vorgegangen wird und umgekehrt klimafreundliches Verhalten gefördert wird. (Nicht im Fokus dieser Untersuchung stehen soziale und globale Unterschiede, also der Anteil der Reichsten—sowohl in bestimmten Ländern als auch weltweit—an den CO2-Emissionen. Siehe dazu u.a. Oswald, Owen, and Steinberger (2020), Wiedmann et al. (2020) und Ivanova and Wood (2020).) Weiterlesen

Happy and a bit proud to be on this list. I hope that more people will join us. Digital communications must sever ties with toxic growth

Sorry, aber das ist ein Beispiel für sehr simple rechte Propaganda. Gerade die armen Länder können den Abstand zu den Reichen durch Wachstum allein nie aufholen. Deshalb brauchen wir bei uns eine Schubumkehr. Siehe u.a. http://wer.worldeconomicsassociation.org/files/WEA-WER-4-Woodward.pdf /c @t_wiedmann

Am Montagabend habe ich mich mit einigen Leuten aus dem Griesviertel getroffen, die wie Ana und ich Einspruch gegen einen Straßentunnel in unserer Nähe eingelegt haben, weil er zu noch mehr Autoverkehr in einem Viertel führen würde, in dem Lärm und Feinstaub schon jetzt die Gesundheit gefährden. Das Verfahren geht in die nächste Runde, und wir müssen alle noch einmal eine Stellungnahme abgeben. Einige der Leute, die widersprochen haben, kennen sich mit der Stadtentwicklung und Verkehrsplanung sehr gut aus. Ich habe wieder einmal viel gelernt (und wünsche mir dieselbe Gründlichkeit in der Content-Strategie).

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An den Pfingsttagen habe ich an der Degrowth Vienna teilgenommen. Bei dieser Online-Konferenz hat sich eine ganz andere Szene getroffen als die der BarCamps und Onliner-Events, mit denen ich vertraut bin. Diese Szene ist mir immer noch neu, trotz meines Aktivismus für XR, und vermutlich wird sie mir als jemandem, der über 20 Jahre versucht hat digital zu leben, auch etwas fremd bleiben. (In die beiden Sessions über digitale Kommunikation für die Degrowth-Bewegung bin ich leider nicht hineingekommen und hoffe auf die Dokumentation der Konferenz.)

Seit dem Ende des Ostblock-Sozialismus, dem Durchbruch des digitalen Kapitalismus und der Erosion der demokratischen Linken in den westlichen Ländern konnten sich viele (wie ich) für die Zukunft in Ländern wie Österreich und Deutschland nur liberale Szenarien vorstellen. Degrowth steht für eine Alternative—aber nicht für eine illiberale Demokratie sondern für eine demokratische, regionalisierte Kontrolle der Wirtschaft. Angesichts des ökologischen Zusammenbruchs drängt sie sich auf—wobei Degrowth ein umbrella term ist und keinen Universalschlüssel zur Lösung aller gesellschaftlichen Problem bietet. Gegen den Sozialismus konnte man damit argumentieren, dass er nicht so effizient ist wie eine Marktwirtschaft. Diese Effizienz ist aber angesichts der planetaren Grenzen nicht mehr die Lösung sondern das Problem—wobei von den angelegten Maßstäben abhängt, was Effizienz ist.

Alternativen zum technischen Fortschritt

Immer wieder ist mir bei der Konferenz eine Haltung begegnet, die Probleme durch Reduktion, das Entdecken von jetzt vorhandenen Alternativen und Kooperation in einem ökologischen Sinn angeht statt sich an einem Fortschritt zu orientien oder auf Technik und immer weitere Verbesserungen bzw. Reparaturen zu setzen. Als Beispiele einer solchen Haltung wurden am Sonntag André Gorz und Ivan Illich vorgestellt, beide Wiener Emigranten. Unausdrücklich spielte diese Haltung immer wieder eine Rolle. So wurden in der Vorstellung des Buchs über die Postwachstumsstadt (Brokow-Loga, 2020) über Alternativen zu Konzepten der Stadtentwicklung wie der Smart City diskutiert. In einem sehr informativen Panel über die IPCC-Szenarien zur Begrenzung der globalen Erhitzung wurden Analysen des Einflussses der Wachstums- und Entwicklungsideologie auf die IPCC-Szenarien und wissenschaftliche Alternativen dazu vorgestellt. Auch die Session zu Degrowth in der Luftfahrt zeigte ein Gebiet, in dem die Lösung darin bestehen muss, auf Bestehendes zu verzichten statt es zu optimieren. (Mir bleibt aus der Diskussion der Postwachstumsstadt auch der Ausdruck Exnovation im Gedächtnis.)

Auf Bestehendes zu verzichten bedeutet mit gesellschaftlichen und individuellen Habits zu brechen, es ist disruptiv. Solche Disruptionen mobilisieren nicht nur den Widerstand von Konzernen (es war von 130 Milliarden geforderter Bailouts für die Luftfahrtbranche nach COVID-19 die Rede), sondern auch den Widerstand großer Gruppen in der Bevölkerung, z.B. der Menschen, die von der Arbeit in der Automobilindustrie abhängig sind. (Ich habe nur eine der Diskussionen zu dieser Thematik besucht.)

Imperiale Lebensweise

In jeder der Sessions, an denen ich teilgenommen habe, war von der imperialen Lebensweise die Rede. Der Ausdruck imperiale Lebensweise drückt sehr gut aus, gegen was sich die Degrowth-Bewegung richtet: gegen Wachstum, das die schlimmsten negativen Auswirkungen nicht bei uns, in den reichen Ländern hat, sondern in anderen Zonen der Erde, meist im globalen Süden. Ulrich Brand, auf dessen Buch (Brand & Wissen, 2017) er zurückgeht, war einer der Diskutanten des Eröffnungspanels—gemeinsam mit Brototi Roy, Isaac Asume Osuoka und Susan Paulson, die die Internationalität der Degrowth-Bewegung verkörperten. Brand sprach von einer möglichen Allianz der antikapitalistischen Degrowth-Bewegung mit progressiven Liberalen. Darin sehe ich eine große Chance, diese Bewegung weiter gesellschaftlich zu verankern.

Ich habe den Ausdruck Degrowth erst vor kurzem kennengelernt, und nach Jason Hickels Buch (Hickel, 2018) hat mich die erste Lektüre Georgescu-Roegens von der Notwendigkeit überzeugt, den materiellen Verbrauch in unseren Gesellschaften deutlich zu reduzieren. Ich habe immer wieder gemerkt, wie weit eine grundlegende Kritik am Wachstum von den Konventionen entfernt ist, in denen wir normalerweise denken. Mir ist auch erst langsam klargeworden (vielleicht wegen meiner Abneigung gegen den dogmatischen Marxismus, den ich in der Nach-Achtundsechzigerzeit kennengelernt habe), dass sich Degrowth nur über einen konsequenten Antikapitalismus verwirklichen lässt. Den Gegenentwurf zur marktliberalen Gesellschaft sehe ich jetzt in der Regulierung und Ökologisierung der Märkte, nicht in der Etablierung eines alles kontrollierenen Über-Staats. Bei dieser Konferenz konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, dass die Degrowth-Idee sich in der Gesellschaft durchsetzt—hoffentlich beschleunigt durch die Unterbrechung der gesellschaftlichen Habits durch die COVID-19-Krise.

Nachweise

Brand, U., & Wissen, M. (2017). Imperiale Lebensweise: zur Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Kapitalismus. München: Oekom Verlag.
Brokow-Loga, A. (2020). Postwachstumsstadt: Konturen einer solidarischen Stadtpolitik.
Hickel, J. (2018). Die Tyrannei des Wachstums: wie globale Ungleichheit die Welt spaltet und was dagegen zu tun ist (K. Petersen & T. Pfeiffer, trans.). München: dtv.