Ich habe neulich über den Aufsatz von Kallis und d’Alisa (D’Alisa & Kallis, 2020) über Degrowth und den Staat geschrieben. Ich denke seitdem weiter über die Thesen dieses Textes zum Staat nach. Ein Anlass dafür ist, dass ich immer wieder merke (oder befürchte), dass marxistische Konzepte, die ich aus der Nach-Achtundsechziger Zeit kenne, in der Klimabewegung wieder aufleben. Mich haben diese Konzepte, ich könnte auch sagen: mich hat diese Ideologie damals selbst stark beeinflusst, und ich habe mich vielleicht nie konsequent von ihr gelöst. Jetzt sehr ich in dem, was in dem Aufsatz als interstitial bezeichnet wird, einem Ausgangspunkt, um das marxistische oder traditionell sozialistische Modell der Transformation in Frage zu stellen—zum Teil vielleicht im Widerspruch zu den Thesen dieses Aufsatzes.
Ich schreibe hier in einer vagen Form über Konzepte des politischen und ökonomischen Handelns und Bewertungen, die mit ihnen verbunden sind. Ich kann nicht einmal sagen, ob es dabei um Prinzipien, Praktiken oder Muster geht. Von einer wirklichen Analyse bin ich damit weit entfernt. Ich glaube, dass man eine solche Analyse nicht ohne Bewertungen vornehmen kann, und ich argumentiere hier sicher auf der Ebene der Bewertung—aber hoffentlich nicht nur zur ethischen Qualifizierung oder Disqualifizierung, sondern vor allem um die Verbindung von Analysen und Bewertungen zu durchschauen und analytische Alternativen zu erfassen. Konkret: Ich glaube, dass man durch den Rückgriff auf Elemente der anarchistischen Tradition besser erfassen kann, was die Klima- und die Degrowth-Bewegung nicht nur von marktliberalen, sondern auch von staatsorientierten sozialistischen Konzepten unterscheiden könnte.
Mir überzeugt die Gegenüberstellung von drei Wegen der Transformation. Ich würde sie aber anders benennen und auf die drei Typen ökonomischen Handelns beziehen, die Benkler unterscheidet (Benkler, 2002):
- Märkte
- hierarchische Organisationen
- soziale Produktion (peer produchtion)
Diese lassen sich vielleicht auf drei Eigentums-Formen beziehen, auf Privateigentum, Staatseigentum und Gemeineigentum.
Was ihn den Aufsatz mit interstitial bezeichnet wird, entspricht der sozialen Produktion Yochai Benklers. Der symbiotische Weg ist der Weg des Marktes und der Verhandlung. Der revolutionäre oder disruptive Weg ist der des zentralisierten und staatlichen Handelns.
Ein Zitat Benklers, das auf das kritische Potential eines am Gemeineigentum und sozialer Produktion orientierten Ansatzes hinweist (Benkler, 2013):
Weil Peer-Produktionspraktiken und funktionierende mutualistische Assoziationen in einer Weise funktionieren, die orthogonal zu beiden – staatsbasierten Praktiken und kapitalbasierten Systemen – ist, bieten sie eine neue Dimension der verfügbaren Systeme. Es ist nicht unbedingt ein inhärenter Vorteil, den diese Systeme als Instanzen der freien Assoziation haben, der entscheidend ist; es ist die Diskontinuität zwischen diesen Systemen – Staat, Unternehmen und Gesellschaft im traditionellen Sinn – die für die Industriewirtschaft charakteristisch ist. Der entscheidende Beitrag dieser kooperativen Systeme besteht darin, dass sie einen Freiheitsgrad im technischen Sinne bei der Gestaltung menschlicher Systeme bieten. (Because peer production practices and functioning mutualistic associations operate in ways that are orthogonal to both state-based and capital-based systems, they offer a new dimension of available systems. It is not necessarily an inherent advantage that these systems have as instances of free association that is critical; it is the discontinuity between these systems—state, corporate, and traditional social—that typified the industrial economy. The critical contribution of these cooperative systems is the fact that they offer a degree of freedom, in the engineering sense, in the design of human systems. Übers. H.W. mit Hilfe von deepl.com)
In der sozialistischen Tradition werden vor allem Staatseigentum und Privateigentum einander gegenübergestellt. Aber sind nicht für eine Degrowth-Perspektive die soziale Produktion und das Gemeineigentum viel relevanter? Privat- und Staatseigentum sind dialektisch auf Knappheit oder Verknappung angewiesen, um sich durchzusetzen. Das Gemeineigentum impliziert einen Überfluss an Ressourcen, um den man nicht konkurrieren muss.
Mir ist an dem gramscianischen Ansatz des Aufsatzes von Kallis und d’Alisa sympathisch, dass Staat- und Zivilgesellschaft als miteinander verbunden und unaufhebbar verstanden werden. Zugleich werden aber der Bereich des Gemeineigentums und der der zivilen Gesellschaft miteinander identifiziert. Man kann aber auch Privateigentum und Gemeineigentum vom zentralisierten Staat und seinem Eigentum unterscheiden. Die begriffliche und strategische Fixierung auf den Staat als Antithese zum Privateigentum kann eine Privilegierung des Staats bis hin zur Diktatur einer Kaste von Funktionären und zur extraktiven Kontrolle von Ressourcen legitimieren. Die Privilegierung des Privateigentums und des zu ihm gehörenden Teils der bürgerlichen Gesellschaft bis hin zur Verabsolutierung des Markts kennzeichnet den bis zur Brutalität ungebremsten Kapitalismus z.B. in seiner jetzt herrschenden “neoliberalen” Form. Beiden kann man das Gemeineigentum und den freien Zugang zu Ressourcen gegenüberstellen, den man dazu nicht verabsolutieren muss (etwa im Sinne der Utopien einer vorstaatlichen oder einer nachstaatlichen kommunistischen Gesellschaft). Dieses Gemeineigentum ist nicht nur etwas, das in einer Utopie wie der des Kommunismus hergestellt werden kann oder soll, sondern es existiert z.B. als Eigentum an noch nicht privatisierten natürlichen Ressourcen und an großen Teilen von Wissen und Kultur. In ihm sehe ich den Ausgangspunkt für die Revolte der Klimabewegung, der es um die Erhaltung von Gemeingütern geht (die natürlichen Lebensgrundlagen) und die sich auf das Gemeingut des wissenschaftlichen Wissens bezieht.
Ich kann mich an Gemeineigentum und an der sozialen Produktion ethisch orientieren, vielleicht auch in einer Verbindung mit einer “religiösen” Orientierung an etwas nicht Hintergehbarem wie dem Anderen, der Natur oder der Schöpfung. Ich kann sie aber auch, ohne damit ideologisch zu argumentieren, analytisch benutzen, um die Begrenztheit von politischen und ökonomischen Konzepten zu kritisieren, die sich nur am Privateigentums und am Staat orientieren. Damit ist eine anarchistisch inspirierte Kritik an Markt- und Staatsideologien möglich, die nicht impliziert, dass man den Staat oder das Privateigentum in einer utopischen Gesellschaft ganz abschafft, die aber begründen kann, warum sie von der lokalen bis zur globalen Ebene begrenzt und mit Gemeineigentum und sozialer Produktion verbunden werden müssen.