Armin Thurnher sorgt sich in seinem Kommentar Warum ich mich weigere, das Internet als Medium wirklich ernst zu nehmen im Falter vom 17.12.2008 um die Qualität der öffentlichen Diskussion. Ich fürchte, dass Interventionen wie dieser Artikel dem Niveau der Debatten über die Medien mehr schaden als nutzen, denn sie zielen nicht auf das Internet sondern auf eine Karikatur des Netzes: Urheberrechtsverletzer, anonyme Poster, gefakete Identitäten und irrationale Suchmaschinen-Algorithmen bestimmen das Bild. Diese Karikatur ist sicher nicht beabsichtigt; Thurnher hat Gegenargumente verdient. Auch und gerade in seinen Missverständnissen ist er ein interessanterer und nicht zuletzt eleganterer Widerpart als Wolfgang Lorenz mit seinem Sager vom Scheiss-Internet. Außerdem teilen viele der Gebildeten unter den Verächtern des Internets seine Vorstellungen von diesem Medium, das sie nur mit intellektuellen Beisszangen anfassen. Leider hat von den österreichischen Bloggern kaum jemand auf Thurnher reagiert (Ausnahmen: Gerald Bäck, Tom Schaffer; [Update und Korrektur, 24. Dezember: nachzutragen sind Blumenau, Andreas Ulrich und Bruckner]). Hier ein paar Kommentare zu Zitaten aus Thurnhers Artikel:

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An unserem Studiengang kommt es immer wieder zu Diskussionen über die Zukunft des Journalismus. Dabei geht es auch um unser zukünftiges Masterprogramm. Ich bin dafür, auch darin Journalisten auszubilden und das auch öffentlich deutlich zu machen, so wie wir es jetzt im Bachelorstudiengang tun.

Für unsere Hochschule ist die Frage, wie wir es mit dem Journalismus halten, zentral. Ich möchte nicht, dass der Eindruck entsteht, dass ich als Evangelist der sozialen Medien den Journalismus für tot halte. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Position möchte ich in einigen plakativen, provisorischen und persönlichen Thesen beschreiben. Ich werde an ihnen weiterarbeiten und hoffe auf eine Diskussion.

  1. Apokalyptische Schemata und revolutionäre Rhetorik sagen mehr über ihre Urheber aus als über die Wirklichkeit. Entwicklungen in komplexen Systemen lassen sich grundsätzlich nicht voraussagen. Wer über die Medien in der Zukunft spricht, und meint, er könne seine Aussagen verifizieren, ist bestenfalls ein Scharlatan.

  2. Der Journalismus endet nicht, weil die Verlage sterben. Die Geschäftsmodelle der Verlagsbranche sind in einer Krise. Verlage haben immer davon gelebt, Inhalte zu kaufen oder zu erstellen, Träger für diese Inhalte zu reproduzieren und sie zu distribuieren. Dieses Modell ist für digitale Inhalte obsolet. (Damit ist aber nicht gesagt, dass es nicht auch Inhalte geben wird, die weiterhin auf Papier verteilt werden.) Viele Verlage und Medienhäuser bewegen sich auf einer Todesspirale: Einnahmeverluste lassen die Qualität sinken und umgekehrt. Dass mit dieser Krise der Journalismus aufhört, ist so unwahrscheinlich, wie dass die Krise der großen Plattenlabels zum Untergang der Popmusik führt — auch wenn die Labels das behaupten.

  3. Journalismus im Web findet verteilt und dezentral statt. Das Web vernetzt Menschen und Medien: Wenn alles mit allem verknüpft werden kann, entwickeln sich die Knoten am besten, die für die anderen Knoten wichtig sind und sich intelligent mit ihnen verbinden.

  4. Unsere Kultur wird auf den Journalismus so wenig verzichten wie auf die Wissenschaft oder die unabhängige Rechtsprechung. Journalismus dient im Kern dazu, unbeeinflusst von Interessen über aktuelle Ereignisse zu informieren; dazu haben sich eine Reihe von Methoden, Techniken und Praktiken entwickelt. Kulturell sind sie vergleichbar mit anderen Methoden der Wahrheitsfindung im Rechtssystem, in der Philologie und Historiographie oder in den Naturwissenschaften. (Ich bin vielleicht naiv, aber wie Tim Bray glaube ich an die Wahrheit. Ich bin davon überzeugt, dass die Bedeutung eines Satzes in seinen Wahrheitsbedingungen besteht.)

  5. Die journalistischen Recherche- und Verifikationsmethoden verändern sich radikal. Immer mehr Informationen sind öffentlich zugänglich; Journalistinnen können (und sollen) publizieren, wie sie zu ihren Aussagen kommen; Newsrooms werden transparent arbeiten, wenn sie in einer vernetzten Öffentlichkeit eine Chance haben wollen. Journalismus hängt immer mehr von Daten ab und muss mit Daten umgehen. Diese Veränderungen bedeuten für den Journalismus Chancen auf größere Aktualität, mehr Kontext, direkteren Zugang zu Quellen, also zu größerer Qualität. Die Grundlagenkrise wird den Journalismus so wenig umbringen, wie Grundlagenkrisen in der Wissenschaft des 20. Jahrhunderts zum Ende der Physik geführt hat.

  6. Die Gesellschaft wird mehr und nicht weniger Journalismus brauchen. Je mehr die Gesellschaft zu einer Informations- oder Wissensgesellschaft wird, desto größer wird der Bedarf nach verlässlicher Information. Das Leben von immer mehr Menschen hängt davon ab, dass sie nicht nur über Politik, sondern auch über Entwicklungen in der Wirtschaft, der Wissenschaft und den Medien informiert werden. Je mehr Firmen und Organisationen auf Kommunikation angewiesen sind, desto wichtiger werden neutrale Informationsquellen. Wenn journalistische Qualität weniger von Unternehen (Verlagen) finanziert wird, wird der gesellschaftliche Druck wachsen, die anders zu ermöglichen, z.B. im öffentlich-rechtlichen System und durch Non-Profit-Organisationen und NGOs.

  7. Es entwickeln sich neue Geschäftsmodelle und Berufsbilder. Es gibt viele Beispiele dafür, dass journalistische Kompetenz im Web erfolgreich vermarktet werden kann, von der Sportberichterstattung bei adrivo bis zu einem Branchenmagazin wie turi2. Zum Erfolg gehört es dabei, die Vorteile des Webs zu nutzen und auf eine überflüssige materielle Infrastruktur zu verzichten.

  8. Journalistische Kompetenz wird mehr und mehr außerhalb der traditionellen Berufsfelder gefragt werden. Jeder Mensch und jede Organisation kann im Web selbst publizieren. Blogs, Microblogs und Wikis haben bereits einen blühenden Mikrojournalismus hervorgebracht. Erfolg mit solchen Publikationen ist auch eine Sache journalistischer Kompetenz. Journalisten sind deshalb immer mehr auch als Vermittler und Pädagogen gefragt. Dass jeder journalistisch arbeiten kann, bedeutet aber nicht, dass es keine professionellen Journalisten mehr geben wird. Die professionelle Fotografie ist nicht untergegangen, weil sich jeder Mensch eine Kamera leisten kann.

  9. Öffentlichkeitsarbeit und PR werden sich nicht weniger radikal verändern als der Journalismus. Aus der Krise in der Medienbranche kann man nicht schließen, dass es sinnvoller sei, für PR und Unternehmenskommunikation auszubilden. PR, die sich auf die klassischen Medien verlässt, wird weniger wichtig werden, wenn diese Medien zu Randphänomenen werden. Gerade in der Organisations- und Unternehmenskommunikation ist aber journalistische Kompetenz gefragt, und dabei wird es sich immer mehr die Kompetenzen handeln, die Robert Scoble „Journalismus Plus“ nennt.

  10. Erfolgsfaktoren für Journalistinnen sind Medien- und Netzwerkkompetenz und Wissen auf einem Fachgebiet. Durch das Web sinkt die Bedeutung von materieller Infrastruktur und hierarchischer Organisation. Inhaltlich kompetente Menschen können direkt die Öffentlichkeit und die Medien erreichen. Noch mehr als bisher wird der Erfolg eines Journalisten damit von seiner fachlichen Kompetenz und seiner Fähigkeit abhängen, sich eine persönliche Marke aufzubauen. Wie und wie gut so etwas funktionieren kann, zeigen in unserer Region Georg Holzer oder Norbert Mappes-Niediek.

Leider berichtet Sebastian Bauer korrekt: ORF-Programmdirektor Wolfgang Lorenz sprach beim ORF Dialogforum auf dem Elevate Festival vom Scheiss-Internet, forderte die jungen Leute auf, sich da zu äußern, wo sie der ORF auch hören könne, und warf ihnen dann auch noch vor, nicht zu rebellieren. Ich saß selbst auf dem Podium und war zunehmend entsetzt. Lorenz, den sich die rechten Feinde der Meinungsfreiheit gerade als Zielscheibe ausgesucht haben, demontierte sich selbst und verhinderte damit übrigens nahezu jede Diskussion über das eigentliche Thema des Abends. Mich hat das ständig wiederholte Scheiss- nicht so sehr gestört wie der Vorwurf, dass sich die jungen Leute

ins Internet verkriechen.

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Leider komme ich im Moment kaum dazu zu bloggen; vor allem weil ich mit der Neufassung eines Forschungsantrags für ein Kompetenzzentrum Webkommunikation beschäftigt bin.

Heute und morgen bin ich auf einer Klausurtagung unseres Studiengangs. Um mich vorzubereiten, habe ich in ein paar Thesen mein derzeitiges Selbstverständnis als Lehrender formuliert. Ich hoffe, sie sind ohne die eigentlich nötigen Erläuterungen nicht zu kryptisch:

  • Der Studiengang ist eine Lerncommunity, in der Wissen ausgetauscht und damit
    erweitert wird.
  • Seine Aufgabe ist es, den Studierenden eine — offene — Toolbox mit Werkzeugen zu vermitteln, um nachhaltige… Dialoge mit der Öffentlichkeit und Stakeholdern (Gerrit Eicker) beginnen und führen zu können. Theorie ist nichts Sekundäres, sondern das Wissen, mit dem man von der eigenen Kommunikation Rechenschaft ablegen kann.
  • Professionelle Kommunikation lässt sich heute nur über einen offenen, experimentellen Zugang vermitteln.
  • Der Kontext, in dem wir Inhalte vermitteln, ist für den Erfolg nicht weniger entscheidend als die Inhalte selbst. Durch diesen Kontext lernen die Studierenden, wie sie weiterlernen.
  • Die wichtigsten Komponenten der Lehre sind die Vermittlung von Techniken, die Analyse von Beispielen und die von Lehrenden und Mitstudierenden unterstützte eigene Praxis.
  • Die Studierenden lernen zu einem großen Teil selbstgesteuert und voneinander. Als Lehrende sollten wir sie dabei unterstützen und nicht ersetzen.
  • Die Möglichkeiten der Vernetzung und die Inhalte, die wir unterrichten, erfordern, dass wir weitgehend öffentlich unterrichten und uns den damit gegebenen Risiken aussetzen.

Ich werde an dieses Thesen weiterarbeiten und sie ausführlich begründen, sobald ich dazu komme. Ich freue mich auf interne und externe Diskussionen, durch die ich sie ergänzen oder revidieren kann.

Wer jemals auf einer Webseite auf ein Link geklickt hat wie dieses, weiß, wie man mit Hypertext (englische Aussprache hier) umgeht. Wie legt man ein solches Link an? Die Erklärung ist vielleicht etwas trocken, aber sie erleichtert es zu verstehen, um was es sich bei Hypertext handelt.

Die meisten Webseiten sind in HTML geschrieben, einem Code zum Verfassen von Hypertext. Bei einem HTML-Dokument wie dem, das ich hier gerade schreibe, stellt der Browser Code wie den folgenden als Link (oder Hyperlink) dar:

<a href="http://de.wikipedia.org/wiki/Hypertext"
title="Hypertext – Wikipedia">dieses</a>

Das Wort dieses ist mit zwei Tags — das sind die Zeichenketten in den Spitzklammern, englische Aussprache hier — als Links ausgezeichnet oder markiert. Die hintere Auszeichnung, das Schlusstag </a>, sagt nur, dass der markierte Bereich zu Ende ist. Die vordere Auszeichnung, das Starttag, hat mehrere Funktionen. Der Buchstabe a (eigentlich ein Elementnamen), sagt, dass es sich bei dem markierten Textteil dieses um ein Link handelt, eine Verknüpfung mit anderen Informationen. Ein Webbrowser gibt ein solches Link in der Regel farbig und unterstrichen wieder; wenn man mit der Maus darüberfährt, verändert sich der Cursor in eine Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. (Das a steht für das englische Wort anchor, Anker.) Die beiden Zeichenketten href="http://de.wikipedia.org/wiki/Hypertext" und title="Hypertext – Wikipedia" sind Attribute. Der Wert des ersten Attributs — die Zeichenkette http://de.wikipedia.org/wiki/Hypertext" — bezeichnet eine bestimmte Ressource im Web; nämlich den Artikel über Hypertext in der deutschsprachigen Wikipedia. Wenn ich im Browser auf das Link klicke, öffnet sich dieser Artikel. Der Wert des zweiten Attributs — Hypertext – Wikipedia — sagt mir, um welche Ressource es sich handelt. Wenn ich das Link mit der Maus überfahre, öffnet sich ein ganz kleines Fenster und gibt mit diesen Titel an. Die Buchstabenkette href, der Name des ersten Attributs, steht für hyper reference, deutsch: Hyper-Verweis. Ein Webbrowser, also die Software, mit der ich ein HTML-Dokument lese, ist dazu in der Lage, diesem Verweis zu folgen und sein Ziel darzustellen, im selben oder in einem anderen Browserfenster. Dazu braucht er natürlich sehr viel Infrastruktur, um die es hier jetzt nicht geht.

Ein HTML-Dokument — also ein Text, der in der Hypertext Markup Language geschrieben ist — wird durch Links zu Hypertext. Hypertext ist nicht einfach Text, der mit anderem Text verknüpft ist. Jeder Text bezieht sich auf andere Texte; die Intertextualität ist ein altes Thema in Sprachwissenschaft, Linguistik und Philosophie. Das Besondere an Hypertext ist, dass ich der Verknüpfung sofort folgen kann, dass ich die Verweise nicht nur in meinem Kopf realisiere — eventuell mit Hilfe von Büchern oder anderen Texten, die ich mir besorgt habe. Mit Hypertext habe ich es zu tun, wenn ich — z.B. indem ich auf ein Link klicke — direkt von dem Text, den ich lese, zu einem anderen Text übergehen kann, auf den der erste Text verweist. Aber auch diese Übergangsmöglichkeit reicht eigentlich nicht aus, um Hypertext zu definieren: Zwei Texte die aufeinander verweisen und die nebeneinander vor mir auf dem Tisch liegen, machen noch keinen Hypertext. Zum Hypertext gehört, dass der eine Text die Verbindung zum anderen (das Link) in sich enthält. Goethes Werther ist kein Hypertext, weil ich auf ihn verlinke; aber dieses Link macht meinen Text hypertextuell.

Hypertext ist Text, der mir als Leser die technische Möglichkeit bietet, die Lektüre sofort durch andere Texte, Textpassagen oder Informationen als die unmittelbar benachbarten fortzusetzen. Dabei verknüpft die Autorin nur bestimmte Teile eines Texts mit bestimmten Zielen. Als Leser kann ich diese Verknüpfungen realisieren, muss es aber nicht. Hypertext ist interaktiver Text; ich kann, über das Lesen hinaus, etwas mit ihm machen, Informationen mit ihm ansteuern. Ein Hypertext-Dokument kann ich — selbst wenn es nur ein einziges Link enthält — nicht nur lesen, sondern als Anwendung oder Programm benutzen.

Die Ausdrücke Anwendung und Programm stammen aus der Informatik; Hypertext wird mit Computern (im weitesten Sinn) geschrieben und rezipiert. Das bedeutet aber nicht, dass es sich bei Hypertext um so etwas wie Computertext handelt; Computer werden dazu benutzt, um Hypertexte zu verwirklichen, so wie sie auch dazu benutzt werden, Berechnungen durchzuführen. Hypertexte sind Texte, die die Möglichkeit bieten, mit Informationen zu interagieren, die mit Computern (und Netzwerken) in Echtzeit produziert oder bereitgestellt werden.

Noch zwei Hinweise:

Den Ausdruck Hypertext hat Ted Nelson in der 60er Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt. Das Konzept selbst ist älter; oft wird Vannevar Bushs Aufsatz As We May Think von 1945 als erste Beschreibung eines Hypertext-Systems genannt. Durchgesetzt hat sich Hypertext durch das World Wide Web, das nichts anderes ist als ein weltweites Hypertext-System auf der Basis des Internet. (Das Internet ist mit dem World Wide Web nicht identisch; Email ist zum Beispiel auch ein Teil des Internet, hat aber mit dem WWW ursprünglich nichts zu tun.) Im World Wide Web wurde bei weitem nicht alles verwirklicht, was Ted Nelson und andere Vordenker des Hypertexts entworfen haben. Umgekehrt bestimmt vor allem die Entwicklung des WWW, was heute Hypertext ist. Zur Zeit wird die fünfte Version von HTML definiert; HTML ist nach wie vor das wichtigste technische Format für Hypertext, aber nicht das einzige.

Formulierungen wie As we may think oder Ted Nelsons Motto SOMEBODY’S GOT TO DISAGREE legen es nahe: Hypertext ist eine Sache der Leute, die Jean-Pol Martin Weltverbesserer nennt. So wie der Buchdruck eine Kulturrevolution ausgelöst hat, tut es heute der Hypertext — und dieser Wirkung haben seine Vordenker beabsichtigt. Links unterstützen vernetztes, nichtlineares Denken; sie verbinden nicht nur Texte, sondern auch Menschen. Das Video The Machine is Us von Michael Wesh beschwört das utopische Potenzial, das der Hypertext noch nicht verloren hat:

[Erste Version dieses Textes: 23.7.2008]

Heute habe ich (als Gast) eine Doppelstunde Medienethik unterrichtet. Nicht ungern, denn ich kann dabei an mein — unterbrochenes — Philosophiestudium anschließen. Ich glaube allerdings nicht, dass es so etwas wie eine eigene Medienethik gibt. Wenn man überhaupt ethische Regeln begründen kann, gelten sie überall, schon der Ausdruck Medienethik gehört für mich in eine gemeinsame Schublade mit Sexualmoral, Grundwerten und anderern Verlegenheitskomposita.
Trotzdem habe ich versucht, den Studenten so etwas wie Richtlinien oder Werte für soziale Medien vorzuschlagen. Ich bin allerdings nicht sicher, ob es sich dabei überhaupt um ethische Begriffe handelt, und vielleicht gehören sie auch nicht auf dieselbe Ebene. An drei ethischen Prinzipien kann man sich möglicherweise bei Webmedien orientieren:

  1. Transparenz
  2. Dialogbereitschaft
  3. Respekt

Keiner dieser Werte betrifft nur Online-Medien (aber woher sollten auch eigene Werte für Online-Medien stammen?) Aber alle drei gehen Online-Medien in einer besonderen Weise an.

Transparenz ist ein Wert, der bei anderen Medien und jenseits anderer Medien nur bedingt gilt, weil dort schlicht begrenzt ist, wieviel publiziert werden kann. In einer Zeitung erwarte ich keine Fussnoten; es ist auch nicht möglich, dass eine Journalistin alle Details ihrer Recherche publiziert. Online ist es dagegen möglich, die Genese einer Publikation mitzupublizieren, und auch wenn sich dafür nur wenige interessieren werden — es gibt keine Grund sie nicht zu veröffentlichen. So haben alle Leser/User wenigstens eine Gelegenheit nachzuvollziehen, wie ein bestimmtes Ergebnis zustande gekommen ist. Erst recht ist bei einem Online-Medium zu erwarten, dass alle möglichen Befangenheiten einer Autorin offen gelegt werden.

Dialogbereitschaft gehört wahrscheinlich zu jeder Form von Ethik; sie ist eine Voraussetzung ethischen Argumentierens. Soziale Medien bauen aber direkt auf ihr auf. Dialogbereitschaft bedeutet dabei, dass es immer möglich sein muss, dass Leser und Betroffene antworten. Ich muss also so arbeiten, dass ich dem anderen seine Fähigkeit zu antworten nicht nehme oder abspreche, etwa durch verletzende Polemik. Die Dialogbereitschaft kann erst aufhören, wo der Adressat nicht zum Dialog willens oder fähig ist. Soziale Medien sollten also vorsichtiger sein als herkömmliche Massenmedien, die nicht auf Antworten ihrer Nutzerinnen angelegt sind; bashing ist in ihnen mindestens schlechter Stil, auch wenn sie dadurch gegenüber der älteren Konkurrenz an Prägnanz verlieren.

Respekt ist für mich der schwierigste der drei Begriffe, aber der entscheidende. Mit Respekt meine ich Rücksicht auf die Bereitschaft oder Fähigkeit, Publikationen über sich zu ertragen. Warum ist es verwerflich, Hinrichtungsvideos zu publizieren oder anzusehen? Es wird dabei etwas veröffentlicht, das nicht öffentlich gemacht werden soll, die Publikation ist ein Teil der Entwürdigung, die das eigentliche Ziel jeder Hinrichtung ist. Es wird ein Tabu gebrochen — vielleicht geht es hier um einen Bereich jenseits oder diesseits einer rationalen ethischen Argumentation. Respektlos ist es aber auch — um ein viel alltäglicheres Beispiel zu nennen –, in Konversationen einzugreifen, um ein Produkt zu verkaufen. Die Frage des Respekts stellt sich bei Online-Medien besonders heftig, weil sie die tradionellen Grenzen zwischen Privatem und Öffentlichem verschieben oder sogar aufheben. Schon die Publikation eines Namens oder Bildes kann respektlos sein.

Sicher kann man Transparenz, Dialogbereitschaft und Respekt nicht voneinander trennen. Die Perspektive ist bei diesen drei Prinzipien aber unterschiedlich: Transparenz betrifft die Autorin selbst, Dialogbereitschaft ihr Verhältnis zu ihrem Publikum und Respekt die Beziehung zu Dritten, über die publiziert wird. Vielleicht forden sich die drei Werte deshalb gegenseitig.

[Letzte Version: 7.6.2007]

Die Synapsen des World Wide Web heißen Links. Von den Servern über die Browser bis zu den Suchmaschinen hat die Infrastruktur des Web nur einen Sinn: An jedem Ort der Welt kann jede Nutzerin jedem Verweis folgen — verwiesen wird auf Texte, auf Medien und immer mehr auch auf Personen, Orte, Institutionen und Dienste.

Verlinkter Text, Hypertext lässt Bibliotheken in der Vorgeschichte verschwinden, so wie er die gedruckten Lexika überflüssig gemacht hat. Links sind zum wichtigsten Hilfsmittel für den Austauch, die Vermittlung und die Erweiterung des Wissens geworden: ohne Links keine Wikipedia und kein Google.

Warum schreibe ich diese Binsenweisheiten: Weil ich auf drei Texte gestoßen bin, die angehenden Journalistinnen vermitteln können, wie und vor allem warum man Links setzt. In meinem Unterricht werde ich sie zur Pflichtlektüre erklären.

Am detailreichsten Burkhard Schröder in der Telepolis: Project Xanadu, reloaded. Mit deutscher Gründlichkeit und auch mit deutschem Ernst führt er in die Kunst des Verlinkens journalistischer Text ein und hält zugleich ein Plädoyer: Zu berichten, ohne auf online erreichbare Belege und Erklärungen zu verweisen, verstößt nicht nur gegen die Regeln der journalistischen Professionalität, sondern auch gegen die journalistische Ethik. Wer nicht oder schlecht verlinkt, erklärt seine Leserinnen für dümmer als sich selbst.

Fast so pointiert wie ein Katechismus: Christiane Schulzki-Haddouti, Die Linkrevolution. Sie beschreibt, wie sich die soziale Rolle von Journalistinnen durch Links verändert. Hypertext-Autoren schreiben nicht nur anders als ihre Print-Kollegen; sie begeben sie sich in andere Verbindungen zu Lesern, Kollegen und Konkurrenten. Durch Links verknüpfen sie ihre Arbeit mit den Texten professioneller und nicht professioneller Schreiber; Links verdanken sie ihre Relevanz und ihre Reputation.

Wer die Texte von Burkhard Schröder und Christiane Schulzki-Haddouti kennt, wird von Robert Niles (How, and where, to hyperlink within a news story) nicht viel Neues lernen. Lesenswert ist sein Artikel trotzdem, weil er außer attribution, der Angabe von Quellenangaben, und context, der Herstellung von Zusammenhang, noch eine dritte Aufgabe der Links betont: in ihnen sind easter eggs versteckt. Links machen einen Text und seine Autorin nicht nur glaubwürdiger und inhaltsreicher: sie schenken den Lesern etwas, stoßen sie auf auf Unerwartetes, laden sie zu neuen Beziehungen ein. Den Klick auf ein Link diktiert das Lustprinzip nicht weniger als das Realitätsprinzip.