Ein wichtiges Post von Jeff Jarvis wurde im deutschen Sprachraum
bisher nur wenig diskutiert: The building block of journalism is no
longer the article
.

Jarvis fragt: Ist der Artikel, die Geschichte, wie wir sie vom Print-
und auch vom Radio- und Fernsehjournalismus her kennen, noch
zeitgemäß? Er antwortet klar: Nein. An die Stelle des Artikels muss etwas Neues
treten, das Jarvis provisorisch Topic nennt, und für das er auch andere
Bezeichnungen findet. (Mir gefällt beat bliki!) Ein solches journalistisches
Molekül besteht aus vier verschiedenen Elementen:

  • einer kuratierten Sammlung von Links zu relevanten Informationen
    über ein Thema;
  • einer Serie von Posts, die immer den neuesten Stand der Recherche und
    ihrer Ergebnisse dokumentieren;
  • einer Wiki-artigen Zusammenstellung von Grund- und Hintergrundinformationen;
  • der Diskussion des Themas.

Die neue Grundform des Journalismus ist

collaborative and distributed and open but organized. Think of it as
being inside a beat reporter’s head, while also sitting at a table
with all the experts who inform that reporter, as everyone there can
hear and answer questions asked from the rest of the room — and in
front of them all are links to more and ever-better information and
understanding.

Warum soll der Artikel oder die Story abgelöst werden? Jarvis‘
Hauptargument: Was
heute passiert (Stichwort: Finanzkrise), ist so komplex, dass es sich in
geschlossenen, geradlinigen Geschichten nicht wirklich wiedergeben lässt.

Hier möchte ich Jeff wiedersprechen. Es gibt andere Argumente für
die journalistische Basisform Topic, und sie alle finden sich bei Jarvis
auch. Nicht die Komplexität der Wirklichkeit fordert neue Formate
— war
die Realität 1933 oder 1945 weniger komplex? Die Eigenschaften des
neuen Mediums Web, deren Konsequenzen für den Journalismus niemand so
treffend charakterisiert wie Jarvis, machen den einmal geschriebenen, abgeschlossenen Artikel obsolet:

  • Links, die die Einheit der Story
    auflösen und dafür Informationen zusammenbringen, jedes neue Stück
    Microcontent mit anderen verbinden;
  • kollaboratives Schreiben: Alle können zu einem Thema
    beitragen, gleich ob sie Mitglied derselben, einer anderen oder gar
    keiner Redaktion sind;
  • laufende Aktualisierungen — das Arbeiten jenseits des WORM-Prinzips (write once, read many times), von
    dem Bob Wyman in den Kommentaren spricht;
  • die Archivierung von allem, was zu einem Thema publiziert wird,
    im Web als einem gigantischen, durch Suchmaschinen erschlossenem Archiv.

Was Jarvis fordert — darin ist er sich mit den
meisten Kommentatoren seines Posts einig — wird bisher nur in Ausnahmen
verwirklicht. Jarvis hat nicht eine Lösung formuliert sondern eine
Aufgabe — eine der interessantesten für alle, die an
neuen journalistischen Formaten arbeiten.

Jarvis hat sein Konzept in seinem Blog und im Guardian wiederholt und präzisiert. Ich möchte versuchen, seine Idee
in weiteren Beiträgen dieses Blogs zu diskutieren, und ich hoffe, dass wir sie an unserem Studiengang auch umsetzen können, z.B. in der nächsten Ausgabe des
Magazins blank.

Heute arbeiten in den USA 25% weniger Journalisten als vor zehn Jahren; in vier Wochen haben gerade 4000 Angestellte von US-Zeitungen ihren Job verloren. Aus Großbritannien kommen ähnliche Schreckensmeldungen. Paul Bradshaw fragt deshalb:

Should journalism degrees still prepare students for a news industry that doesn’t want them?

Die Diskussion fand (und findet) auf seesmic statt; sie beginnt mit einem Statement Bradshaws:

In seinem Online Journalism Blog hat Bradshaw die Diskussion zusammengefasst.

Great Decoupling, Journalismus als Prozess

Es kommt eine Fülle von Statements, Erfahrungen und Ideen zusammen, äußerst anregend für jeden, der sich fragt, wie Journalismus und Journalistenausbildung aussehen können, wenn das Broadcast-Modell der Massenmedien tatsächlich zuende geht. Zwei zentrale Formulierungen:

JD Lasica spricht vom Great Decoupling: Journalismus löst sich von den Behältern, die ihn bisher ermöglicht, geschützt und gefangen gehalten haben.

Adam Tinworth unterscheidet Journalismus als Prozess und Journalismus als Produkt, ähnlich wie es neulich auch Mercedes Bunz getan hat.

Journalistische Professionalität jenseits des Berufsjournalismus

Zur Diskussion stehen nicht so sehr die Inhalte, die angehenden Journalisten vermittelt werden sollen: klassische journalistische skills wie Schreiben, Recherche, Interviewtechnik; technische Fähigkeiten, z.b. Bild- und Medienbearbeitung und Umgang mit Desktop Publishing Systemen; Social Media Kompetenz, also die Fähigkeit, gemeinsam mit dem einstigen Publikum zu recherchieren und Debatten zu führen. Änderungen gibt es eher in der Zielsetzung und im Berufsbild. Wohl die meisten Teilnehmer gehen davon aus, dass die Fähigkeiten professioneller Journalisten immer mehr außerhalb der herkömmlichen journalistischen Berufsbilder gebraucht werden, z.B. bei Webagenturen. (Journalismus-Fakultäten müssen sich also auch entsprechend vernetzen und nicht nur auf Partnerschaften mit etablierten Medienhäusern und Verlagen setzen.) Immer wieder wird auch von Entrepreneurship gesprochen: Eigene Unternehmen bieten oft bessere Aussichten als etablierte Verlagshäuser und Rundfunkanstalten.

Einstellungen sind wichtiger als Fähigkeiten

Mark Comersford unterstreicht, dass potenzielle Arbeitgeber mehr auf den mind set als auf den skill set von Bewerbern achten. Das ist zwingend: Die Technik ändert sich alle paar Jahren radikal, und Journalismus wird immer weniger isoliert von Publikum und Betroffenen betrieben; Medienprofis müssen mit diesen Veränderungsprozessen umgehen und mit wechselnden und unterschiedlichen Gruppen kommunizieren können. Auch die Hartnäckigkeit in der Recherche und der Wille, komplexe Zusammenhänge selbst zu verstehen und verständlich darzustellen, sind in erster Linie eine Sache der Einstellung, unabhängig vom Medium, in dem man arbeitet. Sie lassen sich kaum direkt lehren, sondern nur auf einer Metaebene vermitteln. Sie werden nicht über die Inhalte, sondern über den Kontext mitgeteilt, in dem die Inhalte unterrichtet werden.

Recherche via Seesmic-Panel

Eine Schlussbemerkung: Die Diskussion, die Bradshaw angestoßen hat, ist selbst ein exzellentes Beispiel für Journalismus als Prozess. Die Recherche wird mit Betroffenen und Interessierten gemeinsam durchgeführt, die journalistische Arbeit ist in allen Phasen nachvollziehbar und transparent; sie endet nicht mit einem fertigen Produkt, sondern mit offenen Fragen, die von anderen aufgegriffen werden können. Die Video-Konversation-Plattform seesmic beweist ihre Tauglichkeit im journalistischen Werkzeugkasten.

Die Synapsen des World Wide Web heißen Links. Von den Servern über die Browser bis zu den Suchmaschinen hat die Infrastruktur des Web nur einen Sinn: An jedem Ort der Welt kann jede Nutzerin jedem Verweis folgen — verwiesen wird auf Texte, auf Medien und immer mehr auch auf Personen, Orte, Institutionen und Dienste.

Verlinkter Text, Hypertext lässt Bibliotheken in der Vorgeschichte verschwinden, so wie er die gedruckten Lexika überflüssig gemacht hat. Links sind zum wichtigsten Hilfsmittel für den Austauch, die Vermittlung und die Erweiterung des Wissens geworden: ohne Links keine Wikipedia und kein Google.

Warum schreibe ich diese Binsenweisheiten: Weil ich auf drei Texte gestoßen bin, die angehenden Journalistinnen vermitteln können, wie und vor allem warum man Links setzt. In meinem Unterricht werde ich sie zur Pflichtlektüre erklären.

Am detailreichsten Burkhard Schröder in der Telepolis: Project Xanadu, reloaded. Mit deutscher Gründlichkeit und auch mit deutschem Ernst führt er in die Kunst des Verlinkens journalistischer Text ein und hält zugleich ein Plädoyer: Zu berichten, ohne auf online erreichbare Belege und Erklärungen zu verweisen, verstößt nicht nur gegen die Regeln der journalistischen Professionalität, sondern auch gegen die journalistische Ethik. Wer nicht oder schlecht verlinkt, erklärt seine Leserinnen für dümmer als sich selbst.

Fast so pointiert wie ein Katechismus: Christiane Schulzki-Haddouti, Die Linkrevolution. Sie beschreibt, wie sich die soziale Rolle von Journalistinnen durch Links verändert. Hypertext-Autoren schreiben nicht nur anders als ihre Print-Kollegen; sie begeben sie sich in andere Verbindungen zu Lesern, Kollegen und Konkurrenten. Durch Links verknüpfen sie ihre Arbeit mit den Texten professioneller und nicht professioneller Schreiber; Links verdanken sie ihre Relevanz und ihre Reputation.

Wer die Texte von Burkhard Schröder und Christiane Schulzki-Haddouti kennt, wird von Robert Niles (How, and where, to hyperlink within a news story) nicht viel Neues lernen. Lesenswert ist sein Artikel trotzdem, weil er außer attribution, der Angabe von Quellenangaben, und context, der Herstellung von Zusammenhang, noch eine dritte Aufgabe der Links betont: in ihnen sind easter eggs versteckt. Links machen einen Text und seine Autorin nicht nur glaubwürdiger und inhaltsreicher: sie schenken den Lesern etwas, stoßen sie auf auf Unerwartetes, laden sie zu neuen Beziehungen ein. Den Klick auf ein Link diktiert das Lustprinzip nicht weniger als das Realitätsprinzip.

Dan Gillmor formuliert Prinzipien einer neuen Medienbildung (leider scheint es für media literacy keine anderen Äquivalente zu geben als die hässliche Medienkompetenz und die überhöhte Medienbildung). In diesem kurzen Essay bleibt er sehr allgemein. Er fordert eine Medienerziehung, die der Demokratisierung der Medien Rechnung trägt. Prinzipien der herkömmlichen journalistischen Ethik wie Gründlichkeit, Genauigkeit und Fairness müssen Allgemeingut werden, wenn jede und jeder medial kommuniziert. Mit Unbehagen liest man, dass kritisches Denken in den amerikanischen Bildungseinrichtungen zunehmend als störend empfunden wird. Gillmor reflektiert in diesem Text nicht über den Gegensatz zwischen der Demokratisierung der Medienproduktion und der zumindest latent autoritären und konformistischen Haltung, die offenbar weite Teile des öffentlichen Lebens in den USA bestimmt (ich sage das mit aller Vorsicht, weil ich es selbst nicht beurteilen kann). Besteht zwischen beiden Phänomenen ein Zusammenhang?

Gillmor weist auf die Selbstverständlichkeit hin, dass Medienkompetenz nicht vor allem darin besteht, Techniken zu beherrschen, sondern darin, die Glaubwürdigkeit von Informationen beurteilen und rhetorische Mechanismen durchschauen zu können. Zum Schluss ein paar gute Sätze über Transparenz. Etwa:

It’s difficult, in fact, to name a business as opaque as journalism, the practitioners of which insist that others explain their actions but usually refuse to amplify on their own.

Frei übersetzt:

Tatsächlich findet man kaum eine Branche, die so undurchsichtig ist wie der Journalismus. Seine Vertreter bestehen darauf, dass andere ihre Handlungen erklären, lassen sich aber nur unwillig über ihre eigenen aus.

Shirky
Ich lese gerade Clay Shirks Here Comes Everybody. Ich empfehle das Buch jedem, der sich für die gesellschaftlichen Folgen des Internets interessiert.

Shirkys Ausgangspunkt ist, dass das Internet drastisch die Kosten reduziert, die für die Bildung und Organisation von Gruppen anfallen. Mit Kosten ist nicht nur finanzieller Aufwand gemeint, sondern auch Aufmerksamkeit und Zeit. Clay popularisiert Yochai Benklers Analyse der Netz-Ökonomie: Das Netz ermöglicht, dass neben Märkten und Hierarchien ein dritter Typ von Organisationen entsteht, in denen Menschen ohne unmittelbare wirtschaftliche Interessen kollektiv handeln.

In dem Kapitel Everyone is a Media Outlet stellt Shirky dar, welche Folgen es für den Journalismus hat, dass Medien nahezu kostenlos produziert und vertrieben werden können. Man übertreibt nicht, wenn man das Ergebnis so zusammenfasst: Der Journalismus wird das Internet nicht überleben. Er ist an die technische und ökonomische Infrastruktur der Industriegesellschaft gebunden. Als Journalist oder Journalistin kann man sinnvoll nur Menschen bezeichnen, deren Arbeit von einem Verlag oder Medienhaus veröffentlicht wird. Das Netz macht Verlage und Medienhäuser (englisch: media outlets) überflüssig. Damit löst sich der Journalismus als Profession auf.

Drei Gedanken unterhalb dieser allgemeinen These notiere ich mir. Sie sind nicht ganz neu, aber sie werden selten so stringent formuliert wie von Shirky:

  1. Die Medienwirtschaft, wie wir sie bisher kennen, hängt von der Knappheit an Publikations- und Distributionsressourcen ab. Es war teuer, Medien zu produzieren, und es war noch teurer, Medien unter die Leute zu bringen. Die Ressourcenknappheit war der Grund und auch die Legitimation dafür, dass eine Profession, eben die Journalisten, kontrollierte, was überhaupt publiziert wurde. Letztlich ist auch das journalistische Ethos, die besondere Verantwortung der Journalisten daran gebunden, dass sie Zugang zu knappen und teuren Ressourcen haben.

  2. Wie jede Profession definieren auch die Journalisten ein eigenes System von Normen und Standards; sie erfüllen ihre gesellschaftliche Funktion z.T. sogar gerade dadurch, dass sie sich ihre Regeln selbst geben. Dies Autoreferentialität, die Orientierung der Arbeit an der eigenen sozialen Gruppe, nicht nur an der allgemeinen Öffentlichkeit, kann heute von einer Stärke zu einer Schwäche werden. Sie erschwert es, die technischen und ökonomischen Veränderungen wahrzunehmen, die die Existenz der Profession in Frage stellen.

  3. (zum Stichwort unbundling): Die Ressourcenknappheit ist die Ursache dafür, dass in journalistischen Produkten Inhalte miteinander verbunden werden, die nichts miteinander zu tun haben: Kulturberichte, Horoskope und Kleinanzeigen. In Print- und Broadcastformaten wird zusammengepackt, was sich zusammen vertreiben und verkaufen lässt. Diese Kombinationen werden überflüssig, wenn die Kosten für die Distribution gegen Null gehen.

Shirky ist anders als viele Autoren, die sich mit dem Web beschäftigen, nicht einfach ein Idealist. Er orientiert sich an ökonomischen und gesellschaflichen Fakten, die er theoretisch durchdringt. Dennoch gelingt es ihm, ein populäres Sachbuch zu schreiben, das keine Fachkenntnisse und nur minimales Wissen über das Internet vorausetzt. Ich hoffe, dass das Buch bald ins Deutsche übersetzt wird: Es könnte vielen, die das Internet noch immer nicht ernst nehmen, zeigen, wie dramatisch und unausweichlich die Folgen des Netzes für Gesellschaft und Wirtschaft sind.

Link: sevenload.com

Perfektion ist der Feind der Innovation, sagt Brad Bird. Wäre es anders, würde ich dieses Video nicht veröffentlichen. Ich versuche, eine Linkliste in Form eines Screencasts zu publizieren, Adressaten sind vor allem meine Studenten. Ausgewählt habe ich Beiträge zu Themen des Online-Journalismus, die ich seit dem 1. Mai gesammelt habe. Die Quellenangaben finden sich bei del.icio.us. Produziert habe ich mit ScreenFlow. Bis zum nächsten Mal beschäftige ich mich so gründlich mit der Software, dass ich mich auf die Inhalte der Präsentation konzentrieren kann!

(Aus Versehen habe ich den Elektrischen Reporter als Video bezeichnet; tatsächlich handelt es sich natürlich um einen Video-Podcast, und zwar um einen der besten in deutscher Sprache.)

An die Stelle der Presse tritt die Presse-Sphäre. Nicht die Journalisten organisieren die Welt der Nachrichten, sondern die User. Internetbenutzer wählen ihre Quellen selbst aus: von Blog-Postings und Pressaussendungen über Nachrichten-Sites bis zu Fotos bei flickr und Videos auf YouTube.

In wenigen Absätzen und mit ein paar Grafiken zeichnet Jeff Jarvis ein Bild des state of the news media. Er blendet von der Totale — dem Blick auf das neue, globale Medium WWW — auf das Detail hinunter: die einzelne Story. Sie wird im Web zu so etwas wie Umberto Ecos offenem Kunstwerk: Nicht Seitenzuteilungen oder Sendezeiten legen ihren Anfang und ihr Ende fest, sondern die Aufmerksamkeit der Leser. Nicht eine Journalistin oder ein Journalist schreibt die Geschichte; sie wird von vielen Urhebern verfasst und fortgesetzt. Jeder Kommentar, jedes del.icio.us-Link verändert sie.

Jarvis beschreibt die Konsequenzen des Hypertext für den Journalismus, auch wenn er weder Links noch HTML erwähnt. Die hypertextextuellen Strukturen, die Verlinkungen und Verlinkungsmöglichkeiten machen den qualitativen Unterschied zwischen Online- und Offline-Medien aus. Durch Links, die weltweit beobachtet und nachvollzogen werden können, greifen die User in die Geschichten ein und ermögliche es anderen, an ihre Versionen einer Geschichte anzuschließen.

Buzzmachine bleibt für mich das wichtigste Journalismus-Blog. Es sind es nicht Jarvis‘ Thesen, die sein Blog interessant machen, sondern Jarvis‘ Perspektive und seine polyphone Schreibweise, die die Vielstimmigkeit des Webs aufnimmt. Um meinen Studenten zu erklären, warum das Web den Journalismus verändert, werde ich in den nächsten Semestern Jarvis‘ Posting zitieren.

Ein Hinweis auf Eric Altermans Out of print: Alterman reflektiert die Krise der Print-Zeitungen in den USA, deren dramatisches Ausmaß wöchentliche Hiobsbotschaften auch den professionellen Gesundbetern deutlich machen. Ein Viertel der Stellen in den amerikanischen Zeitungen ist seit 1990 verschwunden. Seit Ende 2004 sank der Börsenwert der New York Times um 54%. Nur 19% der 18-34jährigen Amerikaner lesen nach eigenen Aussagen Tageszeitungen. Der Durchschnittsleser ist über 55. Schon seit 2004 stehen Zeitungen bei jungen Amerikanern am letzten Platz der Nachrichtenmedien, weit abgeschlagen hinter dem Internet. Nur 8% dieser Altersgruppe verlassen sich noch auf Zeitungen.

Diese dramatischen Zahlen sind für Altermans Artikel nur der Ausgangspunkt. Er stellt fest, dass die Zeitungen auf die Krise vor allem reagieren, indem sie sparen, Stellen streichen und die Inhalte reduzieren — es den Lesern also noch mehr erleichtern, auf dieses Medium zu verzichten. Alterman stellt den klassischen Qualitätszeitungen einerseits die Online-Zeitung Huffington Post gegenüber, die in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Nachrichtenmedien geworden ist. Sie arbeitet mit wenig Personal, verlässt sich auf Links zu anderen Nachrichtenquellen und vielfach auch einfach auf Tratsch im Netz. Andererseits erwähnt er den investigativen, communitygestützten Online-Journalismus im Stil von Talking Points Memo.

Man kann Altermans dichten Artikel schwer resümieren. Er interpretiert die aktuelle Situation vor dem Hintergrund der Geschichte des Journalismus in den USA; auch deshalb ist er für Leser diesseits des Atlantik sehr aufschlussreich. In amerikanischen Medienblogs löste er eine kleine Lawine von Verlinkungen aus.

Interessant ist die idealtypische Gegenüberstellung zweier Modelle der Funktion des Journalismus, von denen eines auf Walter Lippmann, das andere auf John Dewey zurückgeht. Für Lippmann ist der Normalbürger nicht dazu in der Lage, politischen und sozialen Entwicklungen kompetent zu folgen. Objektive Information ist eine Sache professioneller Eliten, die ihrerseits auch nur Eliten erreichen. Lippmanns intelligence buraus sind der Idealtyp der Redaktionen von Qualitätsmedien, die den Anspruch erheben, umfassend und objektiv zu informieren und dabei strikt zwischen Bericht und Information zu unterscheiden. Für John Dewey vergessen die Anhänger dieses Modells, dass auch die informierten Eliten Interessen vertreten und die Wirklichkeit interessengebunden wahrnehmen — wobei sich übrigens die Interessen der politischen Eliten und der Eingeweihten, die über diese Eliten informiert sind und informieren, überlappen. Dewey steht für ein Modell des Journalismus, das die öffentliche gesellschaftliche Debatte in den Vordergrund stellt. Sehr, vielleicht zu sehr vereinfacht gesagt, stirbt für Alterman mit der gedruckten Qualitätspresse das an Lippman orientierte Modell des Journalismus; in der Blogosphäre siegt Deweys Konzept der öffentlichen Debatte.

Alterman schließt nicht mit Antworten, sondern mit Fragen: Was wird aus der Demokratie, wenn sich nicht länger investigative Journalisten um versteckte oder unerschlossene Quellen bemühen, so dass sie den debattierenden Lesern überhaupt erst sagen können, was diese wissen müssten? Was wird aus verfolgten Aktivisten ohne eine mediale Öffentlichkeit, die sie schützt? Wie lassen sich katastrophale gesellschaftliche Entwicklungen verhindern, wenn sie nicht mehr von einer Armee professioneller Reporter beobachtet werden?

Altermans Perspektive ist die der Qualitätsmedien des letzten Jahrhunderts, nicht die eines media hackers (Dave Winer). Er nimmt an den Internetmedien wahr, was sie mit den älteren journalistischen Medien vergleichbar macht: das Verhältnis zu den Quellen, die Beziehungen zwischen Bericht und Meinung, Darstellung und Diskussion. Er schreibt nicht über die technische Realtät der neuen Medien, über die Infrastruktur des Web, über die Funktion von Verlinkungen und die technisch ermöglichte Verbreitung von Nachrichten in sozialen Netzen. Hier könnte eine Diskussion seines Aufsatzes ansetzen, die Altermans dystopische Wahrnehmung des Endes des Printjournalismus in Frage stellt, ohne euphorisch was fällt, das soll man stürzen zu rufen.

(Zur Debatte zwischen Lippmann und Dewey habe ich diese kurze Darstellung gefunden.

Tim Berners-Lee ist in der Times grotesk falsch wiedergegeben worden und korrigiert den Bericht in seinem Blog. Dabei erwähnt er den Media Standards Trust, eine Organisation, die Qualitätsstandards bei Nachrichten durchsetzen will. Diese Organisation versucht gemeinsam mit der Web Science Research Initiative Standards für objektive Berichterstattung formal zu definieren. Das bedeutet, dass eine Reportage (maschinenlesbar in einem RDF-Statement) die Information enthalten würde, dass es sich bei ihr um einen Augenzeugenbericht handelt, oder die Matadaten eines Fotos die Auskunft geben könnten, dass es beschnitten, aber sonst nicht bearbeitet wurde.

Wenn diese Initiative Erfolg hat, könnte sie für den Journalismus (oder Postjournalismus) im Web viel bedeuten. Es wäre zum Beispiel möglich, über die Grenzen von Sites hinweg Originalquellen mit anderen Informationen automatisch zu verknüpfen. Man kann sich einen völlig anderen Workflow vorstellen, als er bis jetzt noch in Verlagen üblich ist.

Natürlich können solche Metadaten gefaked sein. Aber das unterscheidet sie nicht von allen anderen journalistischen Produkten. In jedem Fall machen sie es leichter, den Wahrheitsanspruch des Materials zu überprüfen und seine Entstehung nachzuvollziehen.

Mehr zu der Initiative hier.

Interessante Diskussion bei Mindy McAdams: Journalists, HTML, and Dreamweaver. Fast alle Beteiligten sind sich darüber einig, dass Journalistinnen ohne HTML- und CSS-Kenntnisse heute entschieden schlechtere (bzw. überhaupt keine) Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, und dass man beides im Quellcode, also mit einem Texteditor erlernen muss, statt mit Tools wie Dreamweaver. Am wichtigsten ist es dabei, auch darin besteht Konsens, die semantische Struktur von Dokumenten zu verstehen; Code-Feinheiten sind nicht relevant.

Ich mache in meinem Unterricht die Erfahrung, dass man HTML alleine — also ohne Rücksicht auf die Präsentation — nur Studenten vermitteln kann, die schon wissen, um was es geht. In den kommenden Semestern möchte ich noch mehr mit Tools wie Markdown arbeiten, um die Studierenden dazu zu bringen, möglichst flüssig Hypertext zu schreiben.