Paul Bradshaw: Local news is changing – but not fast enough « Online Journalism Blog. U.a. eine ganze Reihe von Bemerkungen zur Journalistenausbildung. Tenor: Die am besten ausgebildeten Journalisten können am ehesten mit Online-Formaten umgehen, viele Journalisten wissen immerhin schon mehr als die Verlage für die sie arbeiten. Bradshaw legt vor allem darauf Wert, dass alle Plattformen und Kanäle (Flickr, YouTube, Twitter usw.) genutzt werden, um Nachrichten zu verbreiten — das gehört auch zum Thema unbundling the news.

74% aller deutschen Journalisten haben die Wikipedia zu Recherchezwecken verwendet. Wichtigstes Instrument der Recherche ist laut der PR-Agentur Storymaker Google.

(Der Online-Standard verzichtet leider auf ein Link zur Quelle — hier die Pressemeldung der Agentur — und bleibt damit hinter dem Wikipedia-Grundsatz Say where you found the material zurück.)

Für den Studiengang, an dem ich arbeite ist das eine Anregung, die Wikipedia und Google ausführlicher zu behandeln und das Arbeiten mit ihnen intensiver zu üben. Zugleich müssen wir wieder einmal die Frage stellen, worin die Professionalität von Journalistinnen heute noch bestehen kann. Die Storymaker-Studie nennt außer Google und der Wikipedia als wichtigste Informationsquellen die Online-Archive der Redaktionen und Gespräche mit kompetenten Personen. Ob die internen Archive noch lange eine Informationsvorsprung sichern werden, ist zumindest fraglich — es spricht nichts dafür, dass sie nicht bald von frei oder fast frei zugänglichen Quellen im Netz überholt werden. Und gut gepflegte soziale Netzwerke werden nicht nur Journalisten Zugang zu Informanten bieten.

Professionalität im Journalismus bestünde dann zum einen darin, Instrumente, die allen zur Verfügung stehen, besser zu beherrschen. Und zum anderen darin, Informationsprozesse (ich entschuldige mich für das hässliche Wort-Provisorium) zu organisieren, also Netzwerke oder Sub-Netzwerke zu organisieren, die ihren Teilnehmern bestimmte Informationen zur Verfügung stellen. Medien werden dann vielleicht nichts anderes mehr sein, als soziale Netze, deren Zweck Information oder auch Unterhaltung ist.

Zurück zur Pressemeldung von Storymaker und zu unserem Studiengang: Die Studie hat noch einen weiteren Aspekt, der für uns wichtig ist, da wir auch PR-Leute ausbilden: Journalistinnen informieren sich über Unternehmen vor allem über deren Websites, dort suchen sie auch nach Angaben zu kompetenten Gesprächspartnern. Sie erwarten dort fundierte inhaltliche Informationen zu den Firmen und ihren Arbeitsgebieten. Sie

vermissen … hier „häufig“ oder „manchmal“ Fakten (88 Prozent), Hintergrundinformationen (82 Prozent), verständliche Texte (80 Prozent), Links zu weiterführenden Quellen (68 Prozent) und druck- und pressefähige Bilder (65 Prozent). Videoclips oder Audiofiles würden etwa ein Zehntel (9 Prozent) der Journalisten gerne zur Verfügung gestellt bekommen.

Wir sind gerade dabei, ein Projekt zur Verbesserung der inhaltlichen Qualität steirischer Unternehmens-Websites zu starten (auch das eine Frage der literacy), da ist diese Meldung Wasser auf unsere Mühlen! In unseren Lehrveranstaltungen müssen wir uns mit diesen Themen noch viel mehr als bisher beschäftigen.

Wie bildet man Journalisten so aus, dass sie ihre Fähigkeiten online vermarkten können? Mark Glaser hat zusammengestellt, was an amerikanischen J-Schools versucht wird, um angehende Journalisten auch zu Unternehmern auszubilden. Dazu hat er eine Reihe von Größen des amerikanischen Online-Journalismus befragt.

Zwei Statements Glasers, die ich für plakativ, aber bemerkenswert halte:

  1. Die journalistische Karriere heute beginnt oft nicht mehr mit dem Volontoriat in einer Redaktion, sondern mit der Selbstvermarktung als Blogger, Podcaster o.ä. (Das hängt nicht nur mit der aktuellen wirtschaftlichen Situation zusammen, sondern mit der Veränderung des Berufs der Journalistin und der journalistischen Produkte. Siehe dazu, gerade gestern, wie Peter Hogenkamp die Unterschiede in der Arbeitsweise eine Bloggernetzwerks und einer herkömmlichen Redaktion beschreibt.)

  2. Werbung muss bei Online-Publikationen als Inhalt verstanden werden. Sie funktioniert nur, wenn die Benutzerinnen sie wollen und sie einen eigenen Mehrwert hat. Wer publiziert, muss sie in sein redaktionelles (nicht nur wirtschaftliches) Konzept integrieren.

Kevin Sites hat an der USC Annenberg über seine Dokumentation In the Hot Zone berichtet. Ein Must für zukünftige Journalisten! Sites war der erste Korrespondent der Yahoo! News und ist ein Pionier des „one-man band“-Journalismus: Ein Journalist erzählt seine Geschichten multimedial mit Text, Video und Fotografie. Sites reflektiert die Aufgaben der verschiedenen Medien.

Interessant auch der Hinweis auf People of the Web, Sites‘ neues Projekt über mediale Erfolgsgeschichten im Web.

(Zu Sites auf LoF: Kriegsberichterstattung bei Yahoo, Spiegel online über Yahoos "Hotzone")

Jeff Jarvis hat einen wunderbar leichten Kurzessay über die Ausbildung von Journalisten im Zeitalter des Web geschrieben. Der Schluss-Satz:

News is a conversation. Life is a conversation. The question for us is, how do we teach our students to be great conversationalists?

Vom Unterricht im Bloggen über die Ethik des Links bis zur Entrepreneurship fehlt kein wichtiger Aspekt — lesenswert für alle, die Menschen für den Gebrauch von Online-Medien ausbilden.

Caroline Little, Verlegerin und CEO der Washington Post, hat in einer Keynote bei der britischen Association of Online Publishers dargestellt, was die Post auf dem Gebiet des Lokaljournalismus unternimmt und was geplant ist. Die Washington Post ist nicht nur eine der bekanntesten Zeitungen der USA, sie ist dort auch eine der wichtigsten Lokalzeitungen. Übrigens wird die gedruckte Ausgabe nur im Gebiet von Washington D.C. verkauft. In den USA erreicht die Post mit 40% die höchste Marktdurchdringung aller lokalen Online-Nachrichtenangebote (das entspricht 1,3 Millionen Benutzern im Monat). Die lokale und die internationale Ausgabe zusammen kommen im Monat auf 9 Millionen Benutzer und 250 Millionen Page Views.

Seit einigen Jahren baut die Post ihr lokales Angebot intensiv aus. Wie in einem Labor kann man bei der Washington Post beobachten, was im kommerziellen Online-Lokaljournalismus möglich ist und was funktioniert. Das dahinterstehende Konzept bringt Martin Stabe auf die Formel: very deep information at a very local level . Man kann sie vielleicht mit „so lokal und so tief wie möglich“ wiedergeben. Im Folgenden ein paar Notizen, als Teil einer Materialsammlung zum Thema hyperlocal journalism.

Lokal und International

Caroline Littles Präsentation hieß Hyperlocal and International. Die Ansprüche der Benutzer an die lokale und an die internationale Ausgabe unterscheiden sich so stark, dass beide als eigene Geschäfte verstanden werden müssen. Die Post hat für lokale und internationale Leser unterschiedliche Startseiten; dabei entscheiden der URL der Leserin und ihre Angaben während der Registrierung darüber, welche sie zu sehen bekommt. Ganz unabhängig voneinander sind das lokale und das nationale/internationale Angebot nicht. Das große Gesamtangebot der Post erlaubt es, Benutzer auf die Lokalseiten weiterzuleiten. Gemeinsam ist auch die Marke; die brand awareness zu vergrössern ist das Hauptziel vieler Änderungen und Ergänzugen der Site in den letzten Monaten.

Kundenbindung und Anzeigengeschäft

Lokale Benutzer besuchen die Site öfter als User aus den übrigen USA und aus dem Ausland. Sie gehen tiefer in das Angebot und klicken mehr Seiten an. Die lokalen Benutzer sind für nur 10% des Gesamttraffics verantwortlich, aber für 90% der Page Views. Die große Leserbindung, die Intensität der Nutzung und die Lokalisierung machen das lokale Angebot für Anzeigenkunden besonders interessant. Es sorgt für 60% der Online-Werbeeinnahmen der Zeitung. Viele Anzeigenkunden betreiben nur in der Washington Post Online-Werbung, weil sie nur hier Kunden lokal gezielt anspechen können.

Lokalisierung

Die lokalen Anzeigen sind eine Komponente der Lokalisierung des Inhalts, sie unterscheiden sich bis auf das Niveau der counties voneinander. Eine ganze Reihe weiterer Funktionen sorgen für ein Maximum an lokaler Information und lokaler Relevanz. Eines der wichtigsten Features ist dabei der Local Explorer. Dabei handelt es sich um eine thematische Karte auf der Basis von Google Maps. Man findet u.a. Lebensmittelläden und Drogerien, Krankenhäuser, Büchereien, Kinos, Museen, religiöse Stätten, Postämter und Restaurants.

Auf lokaler Ebene arbeiten Blogger, die in den Communities verwurzelt sind. Intensiv bemüht sich die Post um lokalen Video-Content. Lokalreporter wurden mit 75 kleinen Videokameras ausgestattet und darin geschult, real-life-stories sofort aufzunehmen. Ein Beispiel für erfolgreichen lokalen Video-Inhalt: Pearls Before Breakfast. Der Auftritt eines berühmten Violinisten als Straßenmusiker löste intensive Diskussionen unter den Lesern aus; sie fingen an, über ihr eigenes Leben zu erzählen.

Die Entwickler der Post konzentrieren sich im Augenblick auf Inhalte für mobile Geräte wie iPhone und Blackberry. Für das Frühjahr 2008 ist ein Relaunch geplant. Interessant auch für die lokale Version ist, dass alle Inhalte in der Datenbank mit Keywords getaggt sind, so dass den Benutzern Artikel gezielt aufgrund ihrer Suchgeschichte zugespielt werden können. Außerdem werden so insgesamt 300.000 Seiten zu verschiedenen Themen generiert.

Die Washington Post bietet auch in ihrer Lokalausgabe in erster Linie ein redaktionell erstelltes Angebot; social media-Features spielen nur eine untergeordnete Rolle. Um Interaktivität, vor allem Diskussionen der Leser, zu ermöglichen, verwendet die Post die Tools des Dienstleisters Pluck

LoudonExtra

Der Local Explorer ist vor allem für die innerstädtischen Leser interessant und dort offenbar sehr erfolgreich. Um die Leserschaft in den Vororten zu erreichen experimentiert die Post mit spezifischen hyperlokalen Angeboten. Gestartet hat man mit LoudounExtra.com für eine wohlhabende Gemeinde mit etwa 250.000 Einwohnern. Eine ähnliche Site soll demnächst in einem anderen Gebiet gelauncht werden. Dabei will die Post bis auf die Ebene von Dörfern heruntergehen. Sehr dichte Information auf einer sehr lokalen Ebene bleibt das Ziel. (Siehe dazu u.a. The Washington Post to Trade in Hyperlocal News on the Web – The New York Times)

Quellen für die Little-Präsentation: Inflection Point: Washington Post – local and international, Press Gazette Blogs – Fleet Street 2.0 » @AOP: WPNI’s Caroline Little: How the Washington Post caters for both hyperlocal and global audiences, Falling Off A Blog: Caroline Little, CEO Washingtonpost.Newsweek Interactive, @AOP: Managing both local and global audiences | PDA: The Digital Content Blog | Guardian Unlimited, Washington Post in web 3.0 push | New media | MediaGuardian.co.uk

Dan Gillmor:

So the R&D that the news industry should have done years ago is now being done in a highly distributed way. Yes, some is being done by people inside media companies, but most is not — and increasingly it won’t be. It’ll take place in universities, in corporate labs, in garages and at kitchen tables.

In other words, not only don’t you need permission, but you don’t need much money, either. This is one reason I’m so optimistic about the future of media, and of journalism. [Center for Citizen Media: Blog » Blog Archive » Citizen Media: A Progress Report.]

Das ist ein Aspekt des crowd sourcing und der commons based peer production. Wichtig für die Arbeit in Hochschulen: Ganz anders als früher (vermute ich) arbeiten wir in einer Gemeinschaft, in der die nicht akademisch oder wenigstens von Unternehmen approbierte Forschung und Entwicklung oft weiter ist als die in den Institutionen.

Dan Gillmors Report ist auch sonst lesenswert — ein guter Überblick zum state of the art bei den (amerikanischen) Bürgermedien.